Die Zeit wird knapp

geschrieben von Thomas Willms

26. Juli 2019

Die AfD, die Mörder und die Deutschen

Der ermordete Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke wird immer wieder mit einem Satz zitiert, den er 2015 in einer Bürgerversammlung rechten Pöblern entgegengehalten hatte – wer die Werte des Zusammenlebens nicht teile, könne »Deutschland jederzeit verlassen«.

Ob bewusst oder nicht, Lübcke traf damit den empfindlichsten Nerv jedes Rechtsradikalen und eben auch den des in Saal sitzenden späteren, mittlerweile geständigen, Mörders. Es ist die Vorstellung vom »großen Austausch«, zurückgehend auf das Buch »Le grand remplacement« des französischen Ideologen Renaud Camus. Es ist die – in verschiedenen Graden der Wahnhaftigkeit verbreitete – Vorstellung, dass es ein Programm gebe die echten Deutschen (bzw. Amerikaner, Franzosen usw.) durch (muslimische) Einwanderer zu ersetzen. Früher hieß so etwas »Umvolkung«. Neu ist nur die Dimension der daraus resultierenden Selbstermächtigung bis hin zum Mord an den vermeintlich Verantwortlichen. Nicht umsonst heißt die deutsche, in Götz Kubitscheks Antaios-Verlag erschienene Ausgabe, »Revolte gegen den großen Austausch«.

Bei der AfD manifestiert sich diese dystopische völkische Weltsicht in einer weitverbreiteten »5 vor 12-Rhetorik«. Die AfD sei die »letzte demokratische Chance« alles noch zurechtzurücken, nur Zeit habe man dafür nicht mehr viel. Bei Gottfried Curio, dem von den Kumpanen mit am meisten gefeierten Hetzer, sind es nur noch »wenige Jahre«. Mit dieser Ansage ist die Partei weit gekommen, macht sich sogar daran, stärkste Partei in den östlichen Bundesländern zu werden.

Doch was der Faschismusforscher Ernst Nolte zu seinen vernünftigen Zeiten über das Urmodell faschistischer Mobilisierung, der »Action française«, feststellte, gilt auch für die AfD heute: »Es ging mit ihr zurück, weil es nicht mehr vorwärts ging«. Die AfD kann sich nicht, wie andere Parteien, einfach auf einem bestimmten Niveau einpegeln, mal regieren, mal Opposition betreiben, jedenfalls nicht ohne ihren Charakter zu verändern. Ihr ideologischer Furor lässt nur den Sieg zu und sie hat sich damit selbst in eine Art Zeugen-Jehova-Situation gebracht. Der Weltuntergang wird kommen, motiviert die Anhängerschaft – und fällt aus! In den benannten »wenigen Jahren« wird sich nämlich zeigen, dass die düsteren Prognosen der AfD der Realität nicht entsprechen. Deutschland wird auch mit – dann bereits stark integrierten – Flüchtlingen in etwa so aussehen wie heute, jedenfalls kein muslimisches Land geworden sein.

Das ist der eine grundlegende Faktor, der gegen einen unendlichen Aufstieg der AfD spricht. Der andere, den eigentlich gerade die AfD im Blick haben müsste, ist die Demografie. Das Bundesland Nordrhein-Westfalen hat in etwa so viele Einwohner wie die neuen Bundesländer zusammen. Wenn in Thüringen 22,5 % der Wahlberechtigten AfD wählen, ist das in absoluten Zahlen weniger, als wenn dies in Hessen 9,9 % tun. Mit anderen Worten: Die AfD kann sich im Osten und auch in Sachsen zu Tode siegen, ohne dass sich daraus automatisch eine Mehrheit auf Bundesebene herleiten würde. Der Höcke-Flügel will das noch nicht wahrhaben. Er fühlt sich durch die hohen Ergebnisse im Osten bestätigt, denkt er kann Ähnliches im ganzen Land erreichen und strebt danach, auf dem nächsten Bundesparteitag im Herbst die Karten im Bundesvorstand neu zu mischen. Entgegengesetzt sieht es die »Junge Freiheit«. Mahnend heißt es in einem Kommentar (Nr. 23/19), dass die AfD endlich »bündnisfähig« werden müsse, da sie es alleine nicht schaffen werde.

Der Ruf wird in der CDU gehört, z.B. beim ehemaligen VS-Präsidenten Maaßen. Doch noch gibt es klare Absagen der CDU-Führung an Bündnisse mit der AfD, ja selbst die Erkenntnis, dass die Hetze von AfD-Politikern ein Klima mit erzeugt hat, in dem ein CDU-Politiker wie Lübcke umgebracht wurde.

Weitere Mörder stehen bereit. Alarmierende Berichte über das politische Klima und beginnende gewaltbereite bis terroristische Organisierung in Polizei und Bundeswehr, insbesondere in den Reihen ihrer »Spezialeinheiten«, lassen aufhorchen.

Was wir jetzt bräuchten, wäre u.a. tatsächlich einmal ein Law-and-Order-Politiker, gerne aus den Reihen von CDU/CSU. Jemand, der den Mord an einem der Ihren nicht teilnahmslos an sich vorbeiziehen lässt. Jemand, der das vorhandene Instrumentarium tatsächlich einmal in aller Härte gegen die Mörder von rechts anwendet. Aber ach: Lübcke mag das CDU-Buch gehabt haben. Aber vielleicht war er zu anständig, als dass Maaßen und Co ihn als einen der Ihrigen ansehen.

Elemente des entstehenden rechtsterroristischen Netzwerkes in Bundeswehr, Geheimdiensten und Polizei beschreibt die Broschüre »Der Hannibal-Komplex« der Informationsstelle Militarisierung:
www.imi-online.de/2019/06/13/der-hannibal-komplex/