Die Goldegger Deserteure

geschrieben von Gerald Netzl

22. September 2019

Beachtenswerte Gedenkkultur in kleinen Orten in Österreich

In den frühen Morgenstunden des 2. Juli 1944 wurden die BewohnerInnen der Häuser und Anwesen im salzburgischen Goldegg-Weng von Schüssen und Geschrei aus dem Schlaf gerissen. Gestapo, Gendarmerie und SS hatten in der Nacht die Wälder um den beschaulichen Weiler durchkämmt, jeden Heustadel mit Lanzen durchbohrt, die Höfe und Ställe durchsucht und Verdächtige verhaftet.

Ziel der Razzia waren junge Männer aus dem Ort, die seit 1943 nicht mehr zur Wehrmacht einrücken wollten. Der Krieg schien verloren, dem sinnlosen Morden wollten sie sich nicht mehr länger aussetzen. Die Bauernsöhne Schorsch Kößner, Franz Unterkirchner, Richard Pfeiffenberger und der Scheiberbauer Peter Ottino hatten sich bei Fronturlauben dem Sägearbeiter Karl Rupitsch angeschlossen, der sich seit Herbst 1943 in den Wäldern und auf den Almen um Goldegg-Weng versteckt hielt.

v.l.n.r. Annemarie Zierlinger, Paul Chalupny und Brigitte Höfert am »Russenfriedhof«

v.l.n.r. Annemarie Zierlinger, Paul Chalupny und Brigitte Höfert am »Russenfriedhof«

Der 2. Juli des Jahres 1944 hat sich tief in das Gedächtnis der Familien eingegraben. Beim Unterdorf wurden die unbeteiligten Söhne Alois und Simon Hochleitner von der Gestapo meuchlings ermordet. Peter Ottino fiel im Kampf mit der SS, Karl Rupitsch und Gustl Egger wurden festgenommen und im Oktober 1944 im KZ Mauthausen erhängt, Georg Kößner noch im März 1945 in Glanegg erschossen. Richard Pfeiffenberger fiel in einer Strafkompanie. Nur Franz Unterkirchner und Sebastian Bürgler, der bereits vor Karl Rupitsch desertiert war, überlebten. Dutzende Sennerinnen, Altbauernleute und Nachbarn, die ihre Verwandten und Freunde unterstützt und nicht verraten hatten, sind in Konzentrationslager verschleppt worden. Wer überlebte, kam nach dem Krieg mit schweren körperlichen und seelischen Verwundungen nach Goldegg zurück. Jahre und Jahrzehnte nach Kriegsende waren die Goldegger geteilter Meinung, was die Deserteure betrifft. Das ist auch heute teilweise noch der Fall. Erst im Sommer 2018 beschloss die Gemeindevertretung jenen Teil der Ortschronik, der sich mit diesen Ereignissen beschäftigt – in diesem werden die Deserteure als »Landplage« bezeichnet – neu zu verfassen. 2014 wurde, nach einer langen Diskussion zwischen noch lebenden Angehörigen und Opfern und der weiteren Bevölkerung, am Ortseingang ein Gedenkstein für sie errichtet.

Im Rahmen des Gedenkens an »75 Jahre Sturm in Goldegg« fand am 6. Juli 2019 ein inhaltlich breiter Gedenktag im Pongau statt. Erste Station war der »Russenfriedhof« in St. Johann, wo an 3.744 sowjetische Kriegsgefangene erinnert wurde, die dort ihr Leben lassen mussten. Annemarie Zierlinger von der »Geschichtswerkstatt St. Johann« vermittelte das Wissen über das STALAG XVIII C (Stammlager für Soldaten).

Der Gedenkstein in Goldegg (Fotos: Fritz Lorber

Der Gedenkstein in Goldegg (Fotos: Fritz Lorber

Josef Neumaier informierte im Anna Bertha von Königsegg-Saal von »Provinzenz Schernberg-Schwarzach« über 123 »Euthanasie«-Opfer, die aus dieser Pflegeeinrichtung nach Hartheim gebracht und im Rahmen der T4-Aktion erstickt wurden und den Widerstand der Barmherzigen Schwestern. Ein Besuch der »Friedensoase« beim Mahnmal der Opfer beschloss diesen Teil des Tages.

Schließlich wurde an die Wehrmachtsdeserteure und ihre Unterstützerinnen und Unterstützer in Goldegg beim Gedenkstein erinnert. Brigitte Höfert, Tochter des Deserteurs Karl Rupitsch, begrüßte die Anwesenden. Etwa 100 Personen, darunter BesucherInnen aus Wien aber auch KameradInnen der VVN aus Traunstein und aus Augsburg, nahmen jeweils an den drei Orten des Gedenkens teil und konnten sich selbst ein Bild von den Tatorten und Geschehnissen des nationalsozialistischen Terrors und dem Widerstand im Pongau machen. Dem engagierten Team muss für seine Aktivitäten in dem ländlich-konservativen Klima hoher Respekt gezollt werden. Gegen zähen Widerstand wurde Wichtiges geschaffen und eine beachtenswerte Gedenkkultur etabliert.

www.goldeggerdeserteure.at