Militante Querverbindungen

geschrieben von Axel Holz

1. Oktober 2019

Das rechte Netzwerk »Hanibal« und die »Sicherheitsbehörden«

Lange Zeit galten die Prepper von »Nordkreuz« in Mecklenburg-Vorpommern, ähnlich wie die Reichsbürger, als harmlose Spinner. Warum sollte jemand gefährlich sein, der Lebensmittel und Sprit hortet? So dachte wahrscheinlich nicht nur die Innenbehörde im nordöstlichen Bundesland. Doch mit der Festnahme des Offiziers Franco A. am Wiener Flughafen, der dort eine Pistole auf der Toilette versteckt hatte, hat sich ein Teil eines rechten Netzwerkes entblättert, das tief in die Innenbehörden reicht. Wie sonst wäre zu erklären, dass Festnahmen von verdächtigen Preppern in Mecklenburg-Vorpommern auf Veranlassung der Bundesanwaltschaft ohne Wissen der örtlichen Polizei erfolgten und auch Innenminister Caffier erst kurz vor der Aktion eingeweiht wurde. Tatsächlich hatten Beschuldigte aus dem Norden auch Waffen und Munition gebunkert, darunter 20.000 Schuss aus Polizeibeständen. Die Verdächtigen fabulierten über Internierungslager im Krisenfall, für die sie geeignete Orte suchten und über die Internierung und Erschießung von Linken.

In diesem Zusammenhang wurden auch sogenannte Feindeslisten gefunden, mit Hinweisen, die wiederum teilweise nur aus Polizeiquellen stammen können. Die Bundesanwaltschaft hatte angegeben, dass derartige Feindeslisten nicht vorhanden wären. Das nahm Innenminister Caffier zum Anlass, wegen der öffentlichen Diskussion seine Parlamentskollegen und weitere Personen darüber zu informieren, was letztlich bestätigte, dass es bedrohliche Listen rechter Netzwerke gegeben hatte.

Die »Nordkreuz«-Aktivisten hatten sich darauf vorbereitet, im Krisenfall Checkpunkte mit Bundeswehrlastern und gefälschten Bundeswehrdokumenten zu queren und damit neben dem Missbrauch polizeilicher Personendaten auch Bundeswehr-identitäten für verbrecherische Handlungen zu verwenden. Nicht umsonst ermittelt der Generalbundesanwalt in diesem Zusammenhang wegen der Herbeiführung einer staatsgefährdenden Straftat. Denn die Verdächtigen stehen auch in Verbindung mit dem »Hanibal«-Netzwerk des mittlerweile ehemaligen Mitglieds des Kommandos Spezialkräfte in Calw, André S., in das auch Franco A. nicht nur elektronisch sondern auch durch persönliche Treffen verwickelt ist. Eben jener Bundeswehroffizier, dessen Plan am Wiener Flughafen aufflog, mit einer fingierten Registrierung als Flüchtling einen inszenierten Anschlag Geflüchteten in die Schuhe zu schieben.

Focus berichtete vor geraumer Zeit über ein konspiratives Netzwerk aus ca. 200 ehemaligen Bundeswehrangehörigen. Schließlich lieferte die taz eine umfangreiche Recherche über ein rechtes Netzwerk in Bundeswehr, Verfassungsschutz, Polizei, bei Reservisten, Juristen und Politikern der AfD, in dessen Mittepunkt der Verein UNITER steht. Noch schlimmer sei, so hieß es in Kommentaren dazu, dass die Offenlegung der taz scheinbar niemanden der zuständigen Stellen zu interessieren scheine oder zu Ermittlungen veranlasst habe. Die IMI-Studie berichtet nun ausführlich über die Hintergründe des »Hanibal«-Netzwerkes.

Ein ehemaliger KSK-Elitesoldat, der für dieses Netzwerk angeworben worden sein soll, berichtet über einen harten Kern von 80 bis 100 Personen, die auch Waffenlager angelegt haben sollen. Das Netzwerk bestehe aus verschiedenen Zellen, die durch Chatgruppen, den Verein UNITER e.V. und dessen langjährigen Vorstand, André S., mit dem Decknamen »Hanibal« verbunden sein sollen. Zu diesem Netzwerk gehört auch der unter Terrorverdacht stehende Soldat Franco A., eine Gruppe von rechten Reservisten und Preppern aus Mecklenburg-Vorpommern und der baden-württembergische Verfassungsschützer Ringo M., der zuvor in der selben Polizeieinheit wie das NSU-Opfer Michele Kiesewetter gearbeitet hat.

Nach Ansicht der Bundesregierung ist der »Hanibal«-Komplex aber kein Netzwerk, sondern eine Ansammlung von Einzelfällen. Das erinnert doch sehr an die NSU-Untersuchung, die trotz vieler Hinweise während eines jahrelangen Prozesses die Taten des NSU als Werk eines Mörder-Trios mit wenigen Helfern darstellte.

Im Zentrum des Netzwerkes stehe André S. Der 1982 in Halle geborene Soldat war von Gründung des UNITER-Vereins 2012 bis zum Frühjahr 2019 dessen stellvertretender Vorsitzender und bis zu seiner Versetzung am 31.03.2018 selbst KSK-Soldat. Zuvor hatte das Bundeskriminalamt im September 2017 Durchsuchungen in dessen privaten Räumen und an seinem Dienstort durchgeführt und Hinweise auf Verstöße gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz gefunden, wie die Bundesregierung auf eine Anfrage von Tobias Pflüger (Die Linke) bestätigte. Regelmäßige Kontakte zu André S. soll der MAD-Mitarbeiter und ehemalige KSK-Soldat, Peter W., gehabt haben, dessen Arbeitsschwerpunkte die Beobachtung der KSK, die Beobachtung des Vereins UNITER und des Falls Franco A. seien. Der MAD-Mitarbeiter soll sich zwei Tage vor der Razzia mit André S. getroffen haben und ihn vor weiteren Razzien gewarnt haben. Peter W. wurde jedoch im März 2019 vom Vorwurf des Geheimnisverrats freigesprochen worden. André S. hatte vor Gericht zugegeben, von den Durchsuchungen im Vorhinein gewusst zu haben.

Der Verein UNITER soll eine dreistellige Mitgliederzahl haben und überwiegend aus Soldaten, Polizisten, Geheimdienstlern und Personen der Sicherheitsbranche bestehen. Der Verein scheint nicht explizit rechtsradikal zu sein, weil er sich auf seiner Homepage öffentlich von Extremismus abgrenze und niemanden aufgrund seiner Abstammung, Religion oder politischen Anschauung ausschließe. Ab 2017 war UNITER zwei Jahre lang Mitglied der Lazarus-Union, die ein diffuses rechts-konservatives Weltbild erkennen lasse, indem ein Recht auf Einwanderung abgelehnt und geheimbündische Rituale praktiziert würden. Mit dem UNITER-Beitritt wurde André S. 2017 laut Urkunde »Major general CSLI and Commander in Chief oft the UNITER CSLI Special Corps«, offensichtlich eine Spitzenposition im Netzwerk. Es handelt sich damit vermutlich um eine Art bewaffneten Arm der Lazarus-Union, kommentieren die Autoren. In dessen Rahmen fanden im In- und Ausland eine Reihe paramilitärischer Übungen statt, etwa das Schießen aus einem Heliokopter. Auch im baden-würtembergischen Mosbach soll eine solche paramilitärische Übung mit 25 beteiligten Personen auf einem ehemaligen Bundeswehrgelände stattgefunden haben. Offen bleibt, wofür diese paramilitärischen Übungen dienen sollen, die auch von der Sicherheitsfirma OPCON mit Sitz in Calw unterstützt worden sein sollen, wo auch die KSK ihren Sitz hat.

André S. nimmt aber nicht nur in UNITER eine zentrale Stellung ein. Er leitete zusammen mit dem KSK-Soldaten Robert P. unter dem Decknamen »Petrus« mehrere Chatgruppen im geschützten Smartphone-Messenger Telegram. Darin hatten sich Prepper über etwaige Krisensituationen wie Naturkatastrophen, Börsencrashs, Stromausfälle und Kriege ausgetauscht und Vorräte an Lebensmitteln, Bunker aber auch Waffenlager angelegt. Ins Auge gefasst wurde auch der Ausbruch eines Weltkrieges oder Bürgerkriegs durch vermeintliche Massenzuwanderung. In den Chatgruppen verabredeten sich die Prepper zu militärischen Trainings. Die im Zuge der Ermittlungen gegen Franco A. gelöschten Chatgruppen bestanden neben Versicherungsvertretern und Handwerkern überwiegend aus Anwälten, Soldaten, Polizisten und anderen Vertretern staatlicher Sicherheitsorgane – im Nord-Chat aus drei Polizisten und mindestens fünf Reservisten, im Süd-Chat aus mindestens zwei Polizisten und sechs Soldaten.

Beim KSK waren zuvor bereits zahlreiche rechtextremistische Vorfälle aufgefallen. Im Afghanistan-Einsatz wurden positive Bezugnahmen zum Afrika-Korps der Wehrmacht offengelegt. Wegen öffentlicher Sympathien für eine antisemitische Rede des CDU-Bundestagsabgeordneten Homann musste KSK-Kommandeur Reinhard Günzel seinen Hut nehmen. Im April 2017 kam es bei einer Feier anlässlich der Verabschiedung des Kompaniechefs Pascal D. zu neonazistischen Szenen, bei denen zur Musik der rechtsextremen Band »Sturmgewehr« der Hitlergruß gezeigt wurde. Auf eine Anfrage der Linken wurde bekannt, dass 2018 gegen zehn Angehörige der Division Schnelle Kräfte ermittelt werde, zu der auch die KSK gehört.

Oberleutnant Franco A., der aus dem Jägerbatallion 291 im elsässischen Ittelkirch als Teil der Deutsch-französischen Brigade stammt und dem rechte Terrorpläne vorgeworfen werden, fiel bereits bei seiner Masterausbildung im Rahmen der Offiziersausbildung auf. Seine Masterarbeit beschäftigte sich mit dem »Niedergang der Kulturen« und lässt sich als völkisch nationalistisch charakterisieren. Das hatte für Franco A. keine Konsequenzen, weshalb auch nicht der MAD eingeschaltet wurde. Franco A. wurde schließlich am Wiener Flughafen festgenommen, nachdem er sich zuvor am 29.12.2015 in Offenbach als syrischer Flüchtling David Benjamin ausgegeben hatte. Die Bundesanwaltschaft warf ihm vor, unter der Identität eines Geflüchteten Terroranschläge auf Personen des öffentlichen Lebens vorbereitet zu haben, um diese dann Geflüchteten unterzuschieben.

Nach seiner erneuten Festnahme auf dem Bundeswehrgelände Himmelsmacht fanden gleichzeitig an 16 Orten in Deutschland, Österreich und Frankreich Durchsuchungen statt. Dabei wurden Gewehre, Pistolen und Sprengkörper sowie in Waffen, eingeritzte Hakenkreuze und andere Wehrmachtsrereliquien beschlagnahmt. Darüber hinaus wurden detaillierte Ausspähnotizen und Fotos zur Amadeo-Antonio-Stiftung und weitere Notizen mit konkreten Anschlagsplänen gefunden. Auch gab es Pläne, die Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck aus dem Gefängnis zu befreien. Die Anklage gegen Franco A. wurde vom Oberlandesgericht Frankfurt am Main im Juni 2018 abgewiesen, weil nicht erwiesen sei, dass der Angeklagte fest entschlossen gewesen sei, die Taten zu begehen. Offensichtlich muss es erst Tote geben, bevor rechte Terrorverdächtige von Gerichten ernst genommen werden.

Es scheint so, dass die Terrorpläne sowohl im Fall des Chats Nordkreuz als auch im Fall Franco A. sehr weit fortgeschritten waren, wie mögliche Tatwaffen und Ausspähprotokolle belegen. Es ist davon auszugehen, dass laut Chat-Protokollen noch größere Bestände an Waffen und Munition gebunkert wurden, von denen aber noch keine gefunden wurden, mutmaßen die Autoren. Weit verheerender sei aber, dass dieses rechte Netzwerk in Teilen der Staatsgewalt eng vernetzt sei, darunter in MAD, verschiedenen Verfassungsschutzämtern und auch in Spezialkräften der Bundeswehr.

Wer wird das rechte Netzwerk in den Sicherheitsorganen stoppen? Wird es neben dienstrechtlichen je strafrechtliche Konsequenzen für die Betroffenen geben? Die Erfahrungen beim Umgang mit rechten Terrorgruppen in den letzten Jahrzehnten lassen daran erhebliche Zweifel aufkommen.

Ein militantes rechtes Netzwerk ist offenbar seit Jahren in Bundeswehr, Geheimdiensten, Polizei, Justiz und nun auch im Parlament ungehemmt tätig. Darüber berichtet eine Studie der Informationsstelle Militarisierung e.V. (IMI). Download unter https://www.imi-online.de/2019/07/09/der-hannibal-komplex-2/