»Das Vorkommnis weckte mich«

geschrieben von Ernst Antoni

1. November 2019

Ausstellung über Erika Mann als politische Aktivistin

»›Es ist also ein Mädchen‹ – schreibt Thomas Mann nach der Geburt seines ersten Kindes (…) und ergänzt, einen Sohn hätte er als ›poesievoller…als Fortsetzung und Wiederbeginn der eigenen Person‹ empfinden können.« So steht es auf der Tafel, mit der eine neue Ausstellung in der Münchner »Monacensia«-Stadtbibliothek zum Thema »Erika Mann« eingeleitet wird. Im Lauf der Jahre habe Erika aber eine »Vorzugsstellung beim Vater« gewonnen: »Das kühne, herrliche Kind«, wie er sie nannte, habe ihn »mit ihrem Kabarett zu Tränen gerührt« und »in heftige politische Gewissenskonflikte« getrieben. »Und doch soll in dieser Ausstellung eine andere, es soll Erika Manns eigene Geschichte erzählt werden. Sie ist eingebettet ins große Zeitgeschehen des 20. Jahrhunderts, sie handelt von Politik, spielt gelegentlich in der Familie, illustriert das leidenschaftlichen Engagement einer Schauspielerin und Journalistin von hoher Aktualität.«

In bisherigen Retrospektiven zur Familie Mann spielte die Würdigung ihre eigenständigen Beiträge oft eine eher sekundäre Rolle. Nun hat die Literaturwissenschaftlerin und Erika-Mann-Biographin Irmela von der Lühe es als Ausstellungs-Kuratorin möglich gemacht, einem breiteren Publikum genaueren Einblick in deren Werk und Wirken zu öffnen.

Programm-Broschüre zur Ausstellung in München, die bis Juni 2020 läuft.

Programm-Broschüre zur Ausstellung in München, die bis Juni 2020 läuft.

Kurz werden die Jugendjahre umrissen: Abitur 1924 in München, Schauspielausbildung bei Max Reinhardt in Berlin, Engagements dort und in anderen Großstädten. 1926 Heirat mit dem Schauspieler Gustav Gründgens, 1929 wird die Ehe geschieden. Oktober 1927 bis Juli 1928: Weltreise mit Bruder Klaus, 1929 erscheint darüber ein gemeinsames Buch. 1931 gewinnt sie eine 10.000-Kilometer-Autorallye durch Europa, veröffentlicht ein Kinderbuch, Bühnentexte und Journalistisches. Alles nicht ganz ungewöhnlich für eine vielfältig interessierte und begabte junge Frau aus »besseren Kreisen«.

Dann aber die Ausstellungstafel mit der Überschrift: »Dieses Vorkommnis war es, das mich weckte.« »Internationale pazifistische Frauenverbände«, so der Text, »haben für den Abend des 13. Januar 1932 in den Münchner Unionssaal eingeladen. Von München soll ein machtvolles Zeichen für die (…) Genfer Abrüstungskonferenzen ausgehen. Erika Mann ist als Rezitatorin engagiert.« Es kommt zu Störungen durch SA-Männer, vor allem aber danach zu einer rechten Pressekampagne: »Die Veranstalterinnen werden als ›Klub von Irrenhausanwärterinnen‹ und ›pazifistische Friedenshyänen‹ denunziert. Die Kampagne zeigt Wirkung. Mit Rücksicht auf ›national gesinnte Kreise‹, vor allem auf Druck des nationalsozialistischen ›Kampfbundes für deutsche Kultur‹ kündigt das Bergwaldtheater in Weißenburg einen bereits geschlossenen Vertrag. Erika Mann strengt einen Prozess an, der sich bis 1933 hinzieht. Als Schauspielerin wird sie in Deutschland nicht mehr engagiert.«

Parallel dazu wächst Erika Manns politisches Engagement: »Die Wahlerfolge und der wachsende Einfluss der NSDAP werden in der Familie Mann mit Entsetzen und Sorge beobachtet. Thomas, Heinrich und Klaus Mann reagieren literarisch und publizistisch. Erika Manns Antwort ist das Kabarett. Seit 1932 plant sie gemeinsam mit der Schauspielerin Therese Giehse, dem Musiker Magnus Henning und Bruder Klaus eine Kleinkunstbühne (…) Am 1. Januar 1933 eröffnet die ›Pfeffermühle‹ (…) in der Nähe des Hofbräuhauses. Publikum und Kritiker sind begeistert, die völkische Presse schäumt. Bis Ende Februar spielt man vor ausverkauftem Hause. Erstmals in der Geschichte des Kabaretts liegt die Verantwortung für die Texte, für die Aufführung und die Organisation in den Händen einer Frau.«

Ein kurzer Erfolg. Nazi-Machtübernahme, Flucht der »Pfeffermühle« nach Zürich, dort Neustart. Die positive Bilanz: Bis 1936 über 1000 Vorstellungen in der Schweiz, den Niederlanden, der Tschechoslowakei, Belgien und Luxemburg. Aber auch dies ist in der Ausstellung dokumentiert: »Im November 1934 kommt es während der Vorstellung der Pfeffermühle in Zürich zu Krawallen. Schweizer Nationalisten brüllen beim Auftritt Therese Giehses ›Juden raus‹. Schnell verbreitet sich die Nachricht von Störungen und Saalschlachten rund um die Pfeffermühle. Auftrittsverbote und Absagen sind die Folge.«

1937 emigriert Erika Mann in die USA, wo der Versuch, ein Kabarett »Peppermill« in New York zu etablieren, kläglich scheitert. Als »Lecturer« unternimmt sie antifaschistische Vortragsreisen durch die USA, beginnt mit Veröffentlichungen auf Englisch, zum Teil gemeinsam mit Bruder Klaus. Die wichtigste: »Escape to Life« über deutsche Kultur im Exil. 1940 während des »Blitzkriegs« arbeitet sie in London als Journalistin, 1943 als Kriegskorrespondentin der 9. US-Armee im Nahen Osten, 1945 in Europa und Deutschland und schließlich als Berichterstatterin bei den Nürnberger Prozessen.

Nachdem sie und ihre Familie sich während der McCarthy-Ära in den USA wie viele politisch eher links Engagierte Verdächtigungen und Überwachungen durch das FBI ausgesetzt sehen, 1952 Rückkehr mit den Eltern in die Schweiz. Sie wird »Sachwalterin«für die Werke ihres Vaters, für Verfilmungen und teilweise auch für das Werk ihres Bruders. Und meldet sich bis kurz vor ihrem Lebensende immer wieder vernehmlich zu Wort, wenn es um Frieden, Demokratie und Gerechtigkeit geht.

»Erika Mann. Kabarettistin, Kriegsreporterin, Politische Rednerin.« 1905 in München geboren und 1969 in Zürich gestorben, hat Erika Mann über Jahrzehnte mit vielfachen Aktivitäten und Talenten öffentlich eingegriffen in die Auseinandersetzungen ihrer Zeit.

Näheres unter:

www.muenchner-stadtbibliothek.de/monacensia