Das Gebot ernst genommen

geschrieben von Klaus Margraf

16. November 2019

Erinnerung an die Verfolgung der Zeugen Jehovas

Am Karfreitag des Jahres 2019, dem Tag des Leidens und Sterbens Jesu am Kreuz, kam mir neben dem Zeichen des Kreuzes das Zeichen des Pfahls in den Sinn, des Pfahls, an dem in den Konzentrationslagern Zeugen Jehovas aufgehängt wurden, weil sie in der Nachfolge Jesu leben wollten. (Kein Himmel verfinsterte sich.)

Der gewaltfreie kollektive Widerstand der Zeugen Jehovas gegen das nationalsozialistische Terrorregime ist beispiellos, und er macht insbesondere sichtbar, dass es Alternativen zum Angriffs- und Vernichtungskrieg gegeben hätte, und die Erinnerung daran und an die Vision einer Welt ohne Krieg gehört meines Erachtens »ins Herz unseres Landes«.

Die Erinnerung daran, dass eine christliche Glaubensgemeinschaft das göttliche Gebot »Du sollst nicht töten!« kompromisslos befolgt hat, darf in unserer Zeit, in der kriegerische Gewalt und Gewalt gegen Andersgläubige und gegen »primitive«, schutzlose Urvölker wieder auflebt – im Falle der indigenen Völker Brasiliens droht sogar eine »Endlösung« -, nicht vergessen werden.

Aus diesen Gründen bedarf es eines nationalen Mahnmals für die verfolgten Zeugen Jehovas, insbesondere für die wegen Kriegsdienstverweigerung Hingerichteten.

Wolfgang Benz macht in dem Buch »Ressentiments« darauf aufmerksam, dass nur das Mahnmal für die Juden einem gesamtgesellschaftlichen Bedürfnis entsprang, dass Sinti und Homosexuelle hingegen selbst die Initiative ergreifen mussten. Diesen beiden Kategorien ist m.E. noch eine dritte hinzuzufügen: Die Zeugen Jehovas haben weder gesamtgesellschaftliche Rückendeckung gehabt, noch haben sie selbst auf ein Mahnmal gedrängt.  Dabei hätten die Erinnerung an die Kriegsdienstverweigerung der Zeugen Jehovas und einiger weniger Angehöriger anderer christlichen Glaubensgemeinschaften (z.B. des siebzehnjährigen Mormonen Helmuth Hübener) und die Lehren daraus für ein neues Deutschland von der Stunde Null an die erste Stelle gehört. Es war dringend geboten, die Kriegsdienstverweigerung im Lichte des unsäglichen Unheils, das die Wehrmacht über die Völker gebracht hatte – Höhepunkt die Meldung, sie habe »Serbien judenfrei« gemacht – zu reflektieren. Stattdessen betrieb die BRD die Wiederaufrüstung, flankiert von der epochalen Lüge von der weißen Wehrmachtsweste, und strebte sogar nach atomarer Bewaffnung, obwohl niemand unserm Staat mit Vernichtung drohte. Zu allem Überfluss lieferte die Firma Böhringer ungehindert  Agent Orange oder Agent-Orange-Komponenten an die USA für ihren verbrecherischen  Krieg in Vietnam.

Hinzu kommt: Nach dem Sieg der Alliierten 1945 haben die Verfolgtengruppen anhaltend darüber gestritten, wessen Verfolgung und Widerstand im 3. Reich denn nun erinnerungswürdig sei. Gräfin Marion Yorck zu Wartenburg, die sich dem Kreisauer Kreis zurechnete, sprach den homosexuellen KZ-Häftlingen kategorisch das Recht auf eine Entschädigung ab. Die bundesdeutsche Justiz hielt unerschütterlich an der Rechtmäßigkeit der Todesurteile gegen Kriegsdienstverweigerer und Deserteure fest…

Ich denke deshalb, dass die Erinnerung an die Opfer der Zeugen Jehovas nicht von unserem Staat ausgehen sollte, sondern von Menschen aus der Mitte und vom Rande der Gesellschaft, denen diese Erinnerung ein Anliegen ist. Dieselben müssen nicht promoviert sein, die Opfer unter den Zeugen Jehovas waren es auch nicht, wohl aber die Hälfte der Teilnehmer der sog. Wannseekonferenz.

Der staatliche Beitrag könnte aber sein, einen Ort zur Verfügung zu stellen, an dem eine nicht-staatliche Initiative ein Mahnmal errichten kann. Ein Pfahl vis-a-vis vom Stauffenberg-Mahnmal oder vor der Kirche Regina Martyrum z.B. würde dem Betrachter vor Augen führen, wie extrem unterschiedlich die Formen des Widerstands gegen den Staatsterror waren – und ihn einladen, zu reflektieren, welche Form des Widerstands zukunftsfähig ist.