Ein neuer Aufbruch

geschrieben von Ulrich Sander

16. November 2019

Ratschlag für Demokratie in Frankfurt am Main

Viele reden darüber, doch sie haben es gewagt, die Leute des Arbeitsausschusses der Initiativen gegen Berufsverbote und für die Verteidigung demokratischer Rechte. Sie organisierten den ersten bundesweiten Ratschlag für »Demokratie wagen« – und zwar einen, der die Klimabewegung, die Friedensbewegung, die antifaschistischen und Bürgerrechtsbewegungen und Gewerkschaftsvertreter vereinte.

Sprecher der vom Berufsverbot Betroffenen und ihr engagierter Verteidiger, Rolf Gössner von der Liga für Menschenrechte, bilanzierten die Wirkungen des über 45jährigen »Radikalenerlasses«. Er löste eine verfassungswidrige Überprüfung mehrerer Millionen und die Verfolgung Zehntausender Anwärter für den öffentlichen Dienst oder dort bereits Beschäftigter aus. Er richtete sich nahezu ausnahmslos gegen engagierte Linke und führte zu zahlreichen Berufsverboten. Sie reichten von Universitätsangehörigen, Lehramtsanwärtern und Lehrern über Postboten bis hin zu Lokomotivführern. Erinnert wurde an die Solidaritätsbewegungen mit den Betroffenen im In- und Ausland und es wurde die stockende Aufarbeitung nachgezeichnet.

Dr. Rolf Gössner erinnerte daran, dass es immer wieder Versuche gibt, die Berufsverbotspraxis zu reaktivieren. So mussten sich der Heidelberger Antifaschist Michael Csaszkóczy und der in der Kurdistansolidarität aktive Münchner Wissenschaftler Kerem Schamberger in den letzten Jahren politisch und juristisch gegen ein Berufsverbot wehren. Nie aufgearbeitet wurden die politischen Verfolgungen von DDR-Bürgern nach der sog. Wende. Gössner warnte vor einem Weg in einen demokratisch kaum kontrollierbaren autoritären Sicherheits- und Überwachungsstaat, in dem der Mensch zum Sicherheitsrisiko mutiere und Angst als Herrschaftsinstrument diene. Den Berufsverbotsopfern müsse eine volle gesellschaftliche Rehabilitierung einschließlich materieller Entschädigung für Einbußen bei Renten und Pensionen zuteilwerden, forderte er.

Heinz-Jung-Stiftung (Hg.): Wer ist denn hier der Verfassungsfeind!, Redaktion: Dominik Feldmann / Patrick Ölkrug, in Zusammenarbeit mit Renate Bastian, Gerhard Fisch und André Leisewitz. 230 Seiten, papyrossa, 18 Euro

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Franz-Josef Hanke von der Humanistischen Union aus Marburg berichtete über die erschreckende Ausweitung der Überwachungsbefugnisse durch das neue Polizei- und Verfassungsschutzgesetz in Hessen. Mit der Analyse-Software Hessendata kann die Polizei Menschen und ihr Umfeld komplett durchleuchten. Die massenhafte Datenerfassung bedeute einen Angriff auf Freiheits- und Persönlichkeitsrechte.

In der Diskussion dazu stellte Silvia Gingold ihre jahrelange und bis heute andauernde Bespitzelung durch den Verfassungsschutz dem Umgang dieses Amtes mit dem mutmaßlichen Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, gegenüber. Obwohl Stephan Ernst wegen krimineller und rechtsextremistischer Delikte vorbestraft und dies dem VS bekannt war, konnte er ungestört agieren und morden. Dies werfe ein bezeichnendes Licht auf die politische Ausrichtung und die Arbeitsweise des Verfassungsschutzes.

Auch Matthias Maier von der Seebrücke war dabei. »Seenotrettung ist kein Verbrechen« war sein Thema. Er thematisiert die zahlreichen Fälle von Kriminalisierung der Bewegungen für Solidarität mit der Migration.

Asuka Kähler, der für die Schüler von Fridays for Future sprach, war zusammen mit zwei Schülerinnen dabei. Mit »Klima-Bewegung gegen Profitinteressen« als Thema war er nah dran an der notwendigen und von FFF oft geforderten Kapitalismuskritik. Er mahnte aber auch Differenzierungen an, denn der Kapitalismus z.B. Schwedens und der USA ist doch recht unterschiedlich. Schließlich betonte er auch, dass es wohl länger dauern werde, den Kapitalismus zu überwinden als das Klima zu retten. »Wirtschaftlicher und sozialer Wandel gehören zusammen«, erklärte Asuka Kähler.

Als Bundessprecher der VVN-BdA zeigte ich verborgene rechte Strukturen bei Militär und Polizei auf und verurteilte die schleichende Legalisierung des Antisemitismus, die zu terroristischen Taten führt. Zu Zeiten der RAF hingen deren Steckbriefe an jeder Tankstelle, heute, zu Zeiten des Rechten Terrorismus, wurden 501 Haftbefehle gegen Nazis nicht vollstreckt, die Verbrecher laufen frei herum. Zu fragen sei: wann die Justiz gedenkt, das Geschehen um die NSU-Morde wirklich aufzuklären. Was wird unternommen, um die Partei »Die Rechte« aufzulösen, die eine illegale Nachfolgeorganisation des verbotenen Nationalen Widerstandes ist?

Dass die vom Berufsverbot Betroffenen es nicht bei einer Rückschau auf erlittenes Unrecht belassen, sondern nach vorne blicken und neue Bündnisse für eine stärkere Demokratiebewegung schmieden – das zeigte sich auf diesem Ratschlag eindrucksvoll. Für sie sind aktuelle Proteste gegen Klimakatastrophe, Mietenwahnsinn oder Polizeigesetze ein Hoffnungsschimmer bezüglich eines neuen gesellschaftlichen Aufbruchs.« Unsere Erfahrungen aus dem Widerstand können nützlich sein für andere, jüngere Bewegungen«, erklärten die Vertreter des Arbeitsausschusses.

Als gemeinsame Losung schlug Klaus Lipps, einer der Initiatoren des Ratschlags, das »How dare you« Greta Thunbergs aus ihrer UNO-Rede vor.