Mit Anastasia in die Diktatur

geschrieben von Janka Kluge

20. November 2019

Wenn aus Büchern Bewegungen entstehen

Am Anfang war das Wort. Dieser Satz aus der Bibel könnte auch am Anfang der Anastasia Gruppe stehen. Richtiger wäre aber, am Anfang waren die Wörter, die Sätze. Um genauer zu sein, am Anfang standen Bücher. Zehn Bände umfasst die Reihe »Die klingenden Zedern Russlands« des Schriftstellers Wladimir Megre. Die darin erzählte Geschichte ist eigentlich banal. Der Erzähler beschreibt, wie er 1994 auf einer Geschäftsreise eine geheimnisvolle Frau trifft und fasziniert ist von ihr und der Geschichte, die sie ihm erzählt. Sie sei die Botschafterin der Wedrussen, eines angeblich uralten Volkes das in der Taiga lebt. Sie selbst lebt in einer Höhle, ernährt sich von Früchten und Nüssen, die auch schon mal Eichhörnchen für sie sammeln und hat außergewöhnliche Fähigkeiten, die den Menschen durch die Zivilisation abhandengekommen sind. Sie beherrscht alle Sprachen der Welt, kann Gedanken lesen und beeinflussen und Kranke heilen.

Alle könnten sich diese Fähigkeiten aneignen, wenn sie sich an bestimmte Regeln halten würden. Dazu gehört unter anderem, dass man vegan leben und das Gemüse und Obst selbst anbauen muss. Dafür ist es notwendig, dass alle Menschen einen Hektar Land selbst bewirtschaften. Diese sogenannten Familienlandsitze bilden inzwischen den Kern der Anastasia-Bewegung. In der Ukraine und in Russland soll es schon über 1000 solcher Höfe geben, in Deutschland sind bis jetzt 12 bekannt. Neben Fragen der Ernährung werden in den Büchern auch Fragen der Sexualität behandelt. Sex darf nur der Fortpflanzung dienen und darf nur von verheirateten (natürlich heterosexuellen) Paaren praktiziert werden. Um die Fähigkeiten von Anastasia zu erreichen, darf der Partner, oder die Partnerin, nicht von einer anderen »Rasse« sein. Anastasia-Anhänger sind davon überzeugt, dass der erste Sexualpartner einer Frau die zukünftigen Kinder mehr prägt, als der wirkliche Vater. Diese These (Telegonie) wird seit jeher von Rassisten und Nazis vertreten.

Zu den vielen kruden Gedanken, die Megre Anastasia in den Mund legt gehört auch, dass sich auf der Welt zurzeit ein Kampf zwischen guten und bösen Kräften vollzieht. Wer dabei in den Romanen für die gute Seite steht, ist klar. Für das Böse werden stark antisemitische Klischees benutzt. Ein dunkler Oberpriester hat alle Juden »programmiert«, damit sie die Welt unterjochen. Im sechsten Band heißt es: »Da das schon mehr als ein Jahrhundert geschieht, kann man den Schluss ziehen, dass das jüdische Volk vor den Menschen Schulden hat. Aber worin besteht die Schuld? Die Historiker, die alten wie die jungen, sprechen davon, dass sie Verschwörungen gegen die Macht anzettelten. Sie versuchen, alle zu betrügen, vom jungen bis zum alten. (…) das bestätigt die Tatsache, dass viele Juden wohlhabend sind und sogar auf Regierungen Einfluss nehmen können.« Demokratie lehnen die Anhänger der Anastasia-Bewegung ab. Sie sprechen schon mal von einer »Dämon-Kratie« um zu zeigen, dass die Demokratie ein Teil des jüdischen Plans ist, die Welt zu unterjochen.

In den Büchern wird auch eine eigene Pädagogik gelehrt. Danach muss den Kindern und Jugendlichen zuerst das »kosmische Urwissen« zugänglich gemacht werden, damit sie dann in der Lage sind, das ganze Schulwissen von der ersten bis zur letzten Klasse zu erfassen. Dieses angebliche Modell wird unter dem Namen Laising (LAIS)-Pädagogik und Laising Schulen unter die Menschen gebracht. In Bayern gab es bereits den ersten Versuch, so eine Schule zu gründen.

Die Bücher sind zwischen 1999 und 2011 in Deutschland erschienen. 2014 haben sich zum ersten Mal Leser der Anastasia Bücher in Deutschland getroffen. Mittlerweile gibt es ein jährliches Festival, viele Veranstaltungen und einige Siedler-Stammtische.

Bei diesen rassistischen, sexistischen und antisemitischen Vorstellungen wundert es nicht, dass sich bei Veranstaltungen der Anastasia Bewegung in Deutschland Reichsbürger, Holocaustleugner und Rassisten tummeln. Die Familienlandsitzbewegung bietet allen eine geistige Heimat an, die vegane Ernährung, ökologische Lebensweise und Rassismus miteinander verbinden wollen. Auf der Internetseite des Hofes »Goldenes Grabow« heißt es beispielsweise unter dem Stichwort Weltanschauung »Wir fühlen uns frei und souverän geboren, bereit mit jedem Menschen jeder Weltanschauung ins Gespräch zu kommen. Wir sind frei von rechts-links Denken.« Dass ihre Dialogbereitschaft aber nicht alle Menschen einschließt, zeigt das darauf folgende Stichwort Einwanderung: »Wir stehen dafür, dass jedes Dorf für sich selbst frei entscheiden kann, wie es mit der Einwanderung umgeht.«

Es ist schon lange bekannt, dass die Natur- und Umweltschutzbewegung auch einen rechten völkischen Arm hat. Jetzt ist noch ein esoterisch rassistischer hinzugekommen.