Nationalismus raus aus den Köpfen
31. Januar 2020
Tagung der Lagergemeinschaft Ravensbrück / Freundeskreis
»… und das braune Gift macht sich wieder breit. Bitte kämpft mit aller Kraft dagegen.« Dieser Ausspruch von Maria Potrzeba, Überlebende des Jugendkonzentrationslagers Uckermark war der Einladung zur Jahrestagung 2019 der Lagergemeinschaft Ravensbrück / Freundeskreis (LGRF) vorangestellt. Die Tagung fand vom 15. bis 17. November 2019 in der Antifaschistischen Bildungs- und Erholungsstätte Heideruh in Buchholz (Nordheide) statt. 30 Mitglieder der LGR nahmen daran teil.
Das umfangreiche Programm umfasste Berichte, Erfahrungsaustausch, zwei Vorträge, Diskussionen und einen Filmabend. Zentrales Thema war der 75. Jahrstag der Befreiung des Konzentrationslagers Ravensbrück, der im April 2020 begangen wird.
Schon seit einigen Jahren gibt es erhebliche Irritationen um den Jahrestag der Befreiung in Ravensbrück. Der Charakter der zentralen Gedenkfeier wird in zunehmendem Maße durch Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Polen geprägt. Bereits in der Vergangenheit nahm eine große Zahl polnischer Gäste an den Gedenkfeiern teil. Dafür gab es und gibt es gute Gründe: Die Polinnen waren die größte nationale Häftlingsgruppe in Ravensbrück. Hinzu kommt die geographische Nähe zu Polen, die die Anreise erleichtert. Die polnischen Gäste waren jahrelang daran zu erkennen, dass sie blau-weiß gestreifte Halstücher trugen mit einem roten Winkel und dem schwarzen Buchstaben P. Diese Halstücher sind nicht mehr zu sehen. An ihre Stelle sind nationale und religiöse katholische Zeichen getreten.
Seit einigen Jahren gibt es in Ravensbrück nach der offiziellen Gedenkfeier einen katholischen Gottesdienst im Freien, zelebriert von einem polnischen Bischof. Besuchergruppen, die zeitgleich in stillem Gedenken Gebinde am Mahnmal niederlegen, fühlen sich dadurch gestört. Für großen Unmut sorgten junge polnische Männer, die sich anmaßten, die Rolle von Ordnungshüter zu übernehmen, oder jugendliche Trommler deren Uniform erschreckend an das Outfit der Hitlerjugend erinnerte. 1918 gab es während der Gedenkfeier ein Gerangel zwischen Vertretern der LGRF und polnischen Besuchern, die sich widerholt demonstrativ vor das Transparent der LGRF stellten, um es zu verdecken.
Während der letzten Jahre sind unter den Rednerinnen Polinnen stärker als andere Nationen vertreten. Sie erinnern in ihren Redebeiträgen an die Zeit des Nationalsozialismus, aber auch an die anschließenden 45 Jahre polnischer Nachkriegsgeschichte. So werden die Verbrechen des Naziregimes relativiert und es wird leicht dabei vergessen, dass die überlebenden Häftlinge von Ravensbrück ihr Leben dem Vorrücken der Roten Armee verdanken. Für die Gedenkfeier im Jahre 2020 erhielt die Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück eine Anfrage der polnischen Botschaft, in der das Interesse des polnischen Präsidenten Duda bekundet wird, auf der Gedenkfeier zum 75. Jahrestag der Befreiung in Ravensbrück zu sprechen.
Während der Tagung der LGRF wurde in zwei Referaten die derzeitige politische Situation in Polen beleuchtet: Holger Politt von der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Warschau sprach »Zur aktuellen geschichtspolitischen Debatte in Polen« und die Historikerin Dr. Franziska Bruder referierte über »Nationalistische Gruppierungen und ihr Einfluss auf die Gedenkpolitik in Polen.« Beide Referate machten deutlich, wie sehr die Entwicklung in Ravensbrück konform geht mit der offiziellen polnischen Gedenkpolitik. In der anschließenden Diskussion waren sich die Anwesenden einig, dass bei den zentralen Gedenkveranstaltumgen aller Opfergruppen gleichermaßen zu gedenken ist und dass nationalistischen und rechtsextremen Tendenzen entgegengewirkt werden muss. Dazu wurden folgende Beschlüsse gefasst:
Die LGRF schlägt dem Internationalen Ravensbrück-Komitee und der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück vor, die beide den Jahrestag der Befreiung organisieren, Esther Bejarano und MicrophoneMafia als musikalische Umrahmung für die zentrale Gedenkfeier am 19. April 2020 zu engagieren.
Die LGRF wird insgesamt 6 Beiträge zum Gesamtprogram des 75. Jahrestages der Befreiung liefern und erwartet, dass sie in das offizielle Programm übernommen werden.
Neben der Markierung des Fußwegs vom Bahnhof zum Lager durch Schülerinnen und Schüler und dem ebenfalls bereits traditionellen Rundgang über das Lagergelände, lädt die LGRF unter dem Titel »Nationalismus raus aus den Köpfen« am Samstag, dem 18. April 2020, zu einem internationalen Treffen mit Antifaschistinnen und Antifaschisten – unter anderem aus Warschau – in das Haus der LGRF ein. Am gleichen Tag wird das Theaterstück »… die Anderen« zum Thema Rassismus aufgeführt. Abends gibt es eine Veranstaltung mit Urszula Kraus, Tochter eines Ravensbrück-Häftlings, deren Familie aus Polen stammt.
Für Sonntag, dem 19. April, organisiert die LGRF vor der zentralen Gedenkfeier in Ravensbrück wieder die Gedenkfeier an Sowjetischen Ehrenmal in Fürstenberg.
Zum Ende der Tagung der LGR in Heideruh besuchten Teilnehmerinnen und Teilnehmer noch die Gedenkstätte Sandbostel.
Bei Gedenkfeiern bestimmten polnische rot-weiße Fahnen und Fähnchen das Bild. Hinzu kamen Embleme rechtsextremer Gruppen wie den NZS. Die NZS (übersetzt »Nationale Streitkräfte«) waren während des Zweiten Weltkriegs und auch noch danach eine katholisch-nationalistische bewaffnete Gruppe im Untergrund, betont antikommunistisch und antisemitisch. Sie kämpften sowohl gegen die deutschen Besatzer als auch gegen die vorrückende Rote Armee. Die NSZ sind verantwortlich für Verbrechen an nationalen und religiösen Minderheiten in Polen während und nach dem Zweiten Weltkrieg.