Grimma für alle

geschrieben von Cornelia Kerth

9. Februar 2020

Sächsischer Förderpreis für Demokratie geht ans Dorf der Jugend

27,5 Prozent der Wähler haben bei der Landtagswahl in Sachsen am 1. September AfD gewählt. In den großen Städten teils deutlich weniger, in ländlichen Regionen mehr. Grund dafür ist auch, dass vorwiegend junge und vielfältig engagierte Menschen, die üblicherweise nicht AfD wählen, die ländlichen Regionen so schnell wie möglich verlassen.

Weil im Vorfeld der Wahl die begründete Sorge bestand, dass die sächsische CDU die AfD zur (Mit-)Regierungspartei machen könnte, haben auch wir uns an der bundesweiten Mobilisierung zur Unterstützung der sächsischen Antifaschistinnen beteiligt. Beim Abschlusskonzert der »Markplatztour« im Dorf der Jugend in Grimma haben wir dieses großartige Projekt kennengelernt und waren schwer begeistert. Während andernorts immer wieder Nazis mit ihrer »Kümmerer«-Strategie erfolgreich sind, wo der öffentliche Raum verödet, werden hier Jugendliche – nun schon in der dritten »Generation« – selbst aktiv. Sie formulieren ihre Interessen, entwickeln Ideen und jede Menge Energie und Organisationskraft sie umzusetzen, auch gegen starke Widerstände.

Im November 2019 hat das Dorf der Jugend den sächsischen Förderpreis für Demokratie gewonnen. Wir gratulieren zu diesem Erfolg. Und wir wollen auch 2020 beim Crossover Festival wieder dabei sein.

Simply Saxony

Das Dorf der Jugend stellt sich vor

»Und darum denke nach, sei schlau und nimm die Beine in die Hand. Pack deine Sachen, solange es noch geht. Was gibt es groß zu überlegen? Wenn du bleibst, wirst du vielleicht einer von denen und dann ist es zu spät, dann ist es zu spät!« – Egotronic

Ja, fehlende Infrastruktur, ein Mangel an ausreichendem Freizeitangebot für junge Menschen, eine immer stärker werdende AfD in parlamentarischen Institutionen, eine Mehrheit von konservativer Meinung, viele faschistische Jugendorganisationen – Landflucht wird sehr verständlich, wenn man nur genug Zeit im Hinterland verbringt.

Das Dorf der Jugend ist nur eines von vielen Projekten, die versuchen, der Landflucht entgegen zu wirken und die Stellung zu halten in good old rural saxony. Seit mittlerweile 5 Jahren arbeiten Jugendliche in und um Grimma an der Alten Spitzenfabrik, um Jugend- und Subkulturen Raum zu geben.

Wir haben die Alte Spitzenfabrik gepachtet und bauen sie seitdem aus und es hat sich bereits Einiges getan. An der Fabrik findet sich ein öffentlicher Grillplatz, ein Bolzplatz, eine Selbsthilfe-Fahrradwerkstatt und ein Container Café, welches durch selbst angebaute Früchte und Gemüse im Garten versorgt wird, ebenfalls im Garten laufen 6 Hühner und Rocky, unser Hahn herum. Doch es wird nicht nur viel gebaut, in erster Linie ist das Dorf der Jugend ein Projekt der offenen Kinder- und Jugendarbeit.

Die Kerngruppe der Aktiven umfasst ca. 15-20 Jugendliche im Alter von 15 bis 24 und seit 2017 haben wir eine vom Jugendamt geförderte 30h Stelle für eine Sozialarbeiterin. Der größte Schwerpunkt des Projektes liegt auf der jugendlichen Selbstverwaltung. Bei uns gibt es keine vorgefertigten Angebote, die von Jugendlichen wahrgenommen werden können, sondern es gibt viel Freiraum und Unterstützung beim Ausleben der eigenen Utopien. Alles auf dem Gelände Geschaffene hatte den Antrieb Jugendlicher zum Ursprung. Wir kümmern uns um die Finanzierung, die Planung, Kooperationspartner, Durchführung und Erhaltung von allen Projekten – das schafft natürlich immense Identifikation mit dem Geschaffenen und dem Ort an sich und bringt zahlreiche Kompetenzen mit sich. Was natürlich bei jugendlichen Interessen nicht fehlen darf, sind Veranstaltungen, allem voran Konzerte. Im Schnitt finden bei uns über das Jahr verteilt, 10 Konzerte und ein zweitägiges Festival, das Crossover Festival statt. Auch hier sind die vielfältigen Facetten von Jugendkultur gut sichtbar: von Hardcore, Indie, Rap über Reggae ist alle dabei, je nachdem worauf Jugend Bock hat.

Beim Crossover Festival verbindet sich all dies, an zwei ereignisreichen Tagen trifft Musik auf Politik, Sport auf Kultur und Kunst auf gutes Essen. Es ist die größte Veranstaltung des Jahres an der Spitzenfabrik, in diesem Jahr wird sie am 04. und 05. September stattfinden. Immer eine gute Möglichkeit, um einen reellen und lebensnahen Einblick in die Diversität von Jugend- und Subkultur zu bekommen.

Bei allen Veranstaltungen steht im Vordergrund, möglichst niedrigschwellig Jugendangebote zu schaffen. Deshalb sind die meisten Angebote kostenlos, oder basieren auf geringer Spendenbasis – schließlich kann man von jungen Menschen nicht erwarten, dass sie ihr gesamtes Taschengeld opfern, nur um einmal im Monat auf ein Konzert zu gehen, geschweige denn, ein politisches Bildungsangebot wahrzunehmen. Unser momentan größtes Projekt ist der Ausbau unseres Fabrikerdgeschosses in einen öffentlichen Veranstaltungsraum. In Grimma gibt es keine finanziell erschwinglichen öffentlichen Räume, die junge Zivilbevölkerung nutzen könnte, dem wollen wir gern Abhilfe schaffen.

Natürlich gibt es kein Geheimrezept, wie man Landflucht aufhalten kann, geschweige denn kurzfristig realisierbare Lösungen, um den ländlichen Raum für junge Leute so attraktiv zu machen, dass sie selbstverständlich dort bleiben.

Aber es ist ein aktiver Versuch das Hinterland nicht zu vergessen!

#supportyourlocalhinterland