Frieden entwickeln

24. Februar 2020

Aus der Rede von Dr. Margot Käßmann auf dem Friedensratschlag in Kassel

Am 2. August 1914 sprach der Berliner Hof- und Domprediger Bruno Döhring von den Stufen des Reichstags zu einer großen Volksmenge in einem improvisierten Gottesdienst:

»Ja, wenn wir nicht das Recht und das gute Gewissen auf unserer Seite hätten, wenn wir nicht – ich möchte fast sagen handgreiflich – die Nähe Gottes empfänden, der unsere Fahnen entrollt und unserm Kaiser das Schwert zum Kreuzzug, zum heiligen Krieg in die Hand drückt, dann müssten wir zittern und zagen. Nun aber geben wir die trutzig kühne Antwort, die deutscheste von allen deutschen: Wir Deutsche fürchten Gott und sonst nichts auf der Welt!«

Bei solcher Predigt graust es mir gut hundert Jahre später. Hier haben Menschen Ideologie und Zeitgeist mehr gehorcht als dem Gott, der die Ohnmacht am Kreuz kennt. … Doch es gab Ausnahmen. So sandte der schwedische Erzbischof Nathan Söderblom im September 1914 von Uppsala aus einen Friedensaufruf an die Kirchenverantwortlichen Europas. Deren Reaktionen allerdings sind aus heutiger Sicht beschämend. Deutschen, französischen und britischen Kirchenleitern war die Verbundenheit zur Nation wichtiger als die christliche Friedensbotschaft.

Gott sei Dank haben die Kirchen und die Christen seitdem gelernt. … Die Evangelische Kirche spricht nicht mehr von »gerechtem Krieg«, sondern allein von »gerechtem Frieden«. Das ist keine Phrase, sondern das Ergebnis vieler durchlittener Erfahrungen. …

Margot_Käßmann (Foto: Claude Truong-Ngoc)

Margot_Käßmann (Foto: Claude Truong-Ngoc)

Wir haben wenige Vorbilder, die … wachsam waren. Zu denken ist an Dietrich Bonhoeffer, der die ökumenische Bewegung als Friedensbewegung gesehen hat. An Friedrich Siegmund Schultze, der immer wieder zum Frieden mahnte. In diese Reihe gehört auch Martin Niemöller. Der Präsident der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau sagte 1959, also vor 60 Jahren hier in Kassel in einer Rede vor der Vereinigung »Christen gegen Atomgefahren«: »Mütter und Väter sollen wissen, was sie tun, wenn sie ihren Sohn Soldat werden lassen. Sie lassen ihn zum Verbrecher ausbilden…«. Es folgte medial das, was wir heute einen Shitstorm nennen würden. Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Strauß stellte bei der Staatsanwaltschaft Kassel Strafantrag gegen den Aufrüstungsgegner Niemöller wegen Beleidigung der Bundeswehr. Ich will dazu sagen, dass ich respektiere, wenn Christen bewusst Soldat oder Soldatin werden, das mit ihrem Glauben für vereinbar halten. Respekt für eine andere Meinung gehört zu christlichen wie demokratischen Grundüberzeugungen. Als langjährige Präsidentin der KDV habe ich mich aber stets besonders für Kriegsdienstverweigerer eingesetzt, weil ich das für Christen für »das deutlichere Zeichen« halte.

Als Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft ist mir wichtig, dass jedes Mitglied der DFG-VK mit der Unterschrift unter die Grundsatzerklärung ein persönliches Bekenntnis mit organisiertem gemeinsamem politischem Engagement verknüpft: »Der Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit. Ich bin daher entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen und an der Beseitigung aller Kriegsursachen mitzuarbeiten.«

Was aber heißt es, heute an der Beseitigung von Kriegsursachen mitzuarbeiten? Drei Beispiele will ich nennen, die für uns in Deutschland relevant sind:

Zum einen sind da die Atomwaffen. US-Präsident Donald Trump fragt: »Wenn wir Atomwaffen haben, warum setzen wir sie nicht ein?« Ralph Freund, stellvertretender Vorsitzender der Republicans Overseas sagte kürzlich in einem Interview mit dem Deutschlandfunk: »Warum haben Sie ein Atomwaffenpotenzial, wenn sie damit noch nicht mal drohen? – Diese Diktatoren müssen Sie damit zum Bewusstsein rufen, dass es noch andere Kräfte gibt. Ich halte das für richtig. Ich glaube nicht, dass dann letztendlich die Atomwaffe gezogen wird, aber man muss zumindest diese Militäroption gegenüber Diktatoren ziehen.«

Und mit Blick auf die Koalitionsverhandlungen sagte Alexander Graf Lambsdorff von der FDP am 2. November 2018: »Die ganz wenigen (Atomwaffen), die wir hier haben, sind deswegen wichtig, damit wir als Deutschland in der Nato bei diesem wichtigen Thema mitreden können….«. Angesichts solcher Aussagen muss uns gruseln nach Hiroshima und Nagasaki. Da ist ganz klar Widerspruch angesagt!

Zum anderen geht es um Bewusstseinsbildung in unserer Gesellschaft aber auch international. Die Friedensbewegung ist klein geworden, obwohl doch die Probleme groß sind. Im vergangenen Jahr tobten 18 Kriege der höchsten Eskalationsstufe. Syrien, Jemen, Sudan, Nigeria und Afghanistan sind Orte massivster Gewalt. Und auch in Europa ist der Krieg wieder in greifbare Nähe gerückt. Von Berlin nach Donbass sind es rund 2000 Kilometer! Dieser militärische Konflikt spielt sich gewissermaßen vor unserer Haustüre ab! Seit der Annexion der Krim durch Russland vor drei Jahren gibt es ständige Auseinandersetzungen zwischen der Ukraine und Russland, zwischen prorussischen Separatisten und ukrainischem Militär, die inzwischen 10.000 Tote zur Folge haben. Die Beziehungen zwischen Russland und der NATO sind dadurch angespannt und verstärken sich durch Militärmanöver und Truppenstationierungen.

Dem »Kriegsglauben« können wir nur etwas entgegensetzen, wenn wir international zusammenarbeiten als Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner. Zivile Methoden der Konfliktbearbeitung brauchen mehr Gehör, Mediation kann gelernt werden. Dazu gehört auch, dass wir international das Recht auf Kriegsdienstverweigerung unterstützen.

Lassen Sie mich noch einmal Martin Luther King zitieren: »Zuerst muß betont werden, daß gewaltloser Widerstand keine Methode für Feiglinge ist. Es wird Widerstand geleistet. … Weder eine Einzelperson noch eine Gruppe von Menschen braucht sich einem Unrecht zu unterwerfen oder Gewalt anzuwenden, um sich wieder Recht zu verschaffen; denn es gibt den Weg des gewaltlosen Widerstands. Das ist letzten Endes der Weg des Starken. Es ist keine Methode träger Passivität. Der Ausdruck ‚passiver Widerstand‘ erweckt oft den falschen Eindruck, daß das eine Methode des Nichtstuns sei, bei der derjenige, der Widerstand leistet, ruhig und passiv das Böse hinnimmt. Aber nichts ist weiter von der Wahrheit entfernt. Denn der Anhänger des gewaltlosen Widerstands ist nur insofern passiv, als er seinen Gegner nicht physisch angreift; sein Geist und seine Gefühle aber sind immer aktiv. Sie versuchen ständig den Gegner zu überzeugen, daß er im Unrecht ist. Die Methode ist körperlich passiv, aber geistig stark aktiv. Es ist keine Widerstandslosigkeit gegenüber dem Bösen, sondern aktiver gewaltloser Widerstand gegen das Böse.«

Und schließlich geht es um Abrüstung. Statt jetzt aber Friedensmissionen, Freiwillige, Mediationsexpertinnen zu entsenden, drängt US-Präsident Trump darauf, dass die NATO-Mitgliedsstaaten ihre Militärausgaben auf zwei Prozent der Wirtschaftsleistungen erhöhen. Bei den Feierlichkeiten der NATO vergangene Woche wurde gepriesen, dass immer mehr Staaten darauf zugehen. Der Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegt in Deutschland derzeit bei 1,2 Prozent, das sind rund 36 Milliarden Euro. Erwartet werden demnach mehr als 70 Milliarden! Wollen wir das? Wie kann es sein, dass wir im Jahr 2019 nicht fähig sind, Konflikte friedlich zu lösen? Warum nur wird das Heil weiter im Militär gesucht, wenn wir doch alle, alle wissen, dass mehr Rüstung nicht mehr Frieden bringt, sondern Krieg wahrscheinlicher macht?

Ganz zu schweigen davon, dass wir in den letzten Wochen realisieren, dass in der Bundeswehr wahrhaftig nicht alles nur zum Guten steht. Ja, die Mehrheit der Soldatinnen und Soldaten steht fraglos zu Verfassung und Grundgesetz. Aber einen Nährboden für rechtsextremes Gedankengut gibt es da offenbar auch. Die ehemalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sprach von einem »Haltungsproblem« – es ist zu hoffen, dass es allein darum geht…

Engagement für den Frieden muss einhergehen mit Engagement gegen Rüstungsexporte. Wir beklagen die Kriege und Bürgerkriege, wir sind schockiert über die Bilder aus Syrien – aber wir verdienen daran. Die deutschen Rüstungsexporte bleiben ein Skandal. Die evangelische und die katholische Kirche machen dies alljährlich zum Thema. Deutschland mit seiner eigenen Kriegsgeschichte muss sich in der Welt keinen Namen machen mit der Lieferung besonders wirksamer Waffen. Es ist doch absurd, dass Rüstungsfirmen gegen die Bundesregierung klagen, weil sie ein Exportmoratorium gegenüber Saudi-Arabien erklärt haben. Wenn es da nicht um eine Konfliktregion geht, wo denn dann?

Vor fünf Jahren durfte ich die Festrede auf Bertha von Suttner halten, die in Gotha an dem Tag bestattet wurde, als am 28. Juni 1914 der österreichische Thronfolger und seine Frau in Sarajewo erschossen wurden. Sie war zutiefst überzeugt, Frieden lasse sich nicht durch Abschreckung, sondern allein durch internationale Vereinbarung, Verhinderung der Kriegsursachen, Abbau von Feindbildern, internationale Verständigung erreichen. Aber ja, ich weiß, eine Frau der Kirche war die »FriedensBertha« nicht, aber ein Vorbild ist sie mir.

Nobel hat den Friedensnobelpreis auch auf ihr Drängen hin gestiftet. Als er 2017 an die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (Ican) ging, war das eine Ermutigung, die Wertschätzung jahrelanger Arbeit gegen Atomwaffen und damit eine kraftvolle Ermutigung für weiteres Engagement. Wenn heute von mehr internationaler Verantwortung die Rede ist, kann es doch nicht um mehr militärische Verantwortung Deutschlands gehen, sondern allein um mehr Friedensverantwortung!

Es gibt nicht viele Vorbilder. Bertha von Suttner ist eines. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges schrieb Stefan Zweig: »Aber eben diese Frau, von der man meinte, sie habe nichts als ihre drei Worte der Welt zu sagen, … wußte ja …. um die fast vernichtende Tragik des Pazifismus, daß er nie zeitgemäß erscheint, im Frieden überflüssig, im Kriege wahnwitzig, im Frieden kraftlos ist und in der Kriegszeit hilflos. Dennoch hat sie es auf sich genommen, zeitlebens für die Welt ein Don Quichotte, der gegen Windmühlen ficht«. Dem ist nichts hinzuzufügen. Danke, Friedens-Bertha! Windmühlen oder nicht, wir lassen uns nicht entmutigen!

Auf dem Kasseler Friedensratschlag hielt die ehemalige Ratsvorsitzende der EKD am 7. Dezember 2019 eine bemerkenswerte Rede über christliche Friedensorientierung.

Am Anfang stand eine persönliche Bemerkung zu ihrer Neujahrspredigt 2010, als sie mit dem Satz »Nichts ist gut in Afghanistan …« einen Sturm medialer Entrüstung ausgelöst hatte. In ihrer Rede begründet sie die Notwendigkeit eines Friedensengagements der Kirchen.