Worauf warten wir noch

geschrieben von Heinrich Fink

21. Mai 2020

Bonhoeffer mahnte früh zum kirchlichen Widerstand gegen den Krieg

»…Der nächste Krieg muß durch die Kirchen geächtet werden!« Diese Überzeugung vertrat Dietrich Bonhoeffer schon 1932 auf einer Konferenz für junge Christen in der Tschechoslowakei. 1934 kamen Delegierte von christlichen Jugendverbänden Europas auf der dänischen Insel Fanø zusammen. Dabei setzte Bonhoeffer seine Hoffnung darauf, dass die Abgesandten ihre Kirchenleitungen auffordern, aus biblischer Verantwortung Kriege zu ächten. Bonhoeffer war überzeugt, dass die Kirchen die Autorität haben, ihren Söhnen die Waffen aus der Hand zu nehmen. Militärseelsorgern sollte der kirchliche Auftrag entzogen werden. Seine Hoffnung war, durch dieses Engagement den Zweiten Weltkrieg zu verhindern, zumindest aber europaweit auf kirchlicher Ebene die Kriegsgefahr zu thematisieren.

Warnungen blieben ungehört

Den jungen Delegierten schien nicht bewusst zu sein, dass sie sich demnächst möglicherweise als Feinde bekämpfen müssten. Sie hatten augenscheinlich die drohende Kriegsgefahr noch nicht realisiert…

Viel schmerzhafter muss für Bonhoeffer jedoch die Erfahrung gewesen sein, dass Mitglieder der deutschen Delegation seine Antikriegsposition nicht teilten. Sie wehrten sich gegen die Idee, wonach es biblisch keine Rechtfertigung für Kriege gibt. Vielmehr sorgten sie dafür, dass sein Referat ohne Diskussion von der Tagesordnung genommen wurde.

Da Bonhoeffer aber auch eine Morgenandacht zu halten hatte, brachte er das Anliegen seines Referats in die Andacht ein: »Unsere Konferenz europäischer Christen hat die geistliche Autorität, die evangelischen Kirchenleitungen aufzufordern, im Namen Christi, Kriege zu ächten. Die Bischöfe müssen den Getauften im Namen Christi die Waffen aus der Hand nehmen…«  Aber das von Bonhoeffer erwartete Echo auf diese Worte blieb aus. Viele Teilnehmer wollten sich nicht in solch schwerwiegenden Fragen einmischen. So wurde ein Beschluss gegen den Krieg gar nicht erst diskutiert. Bonhoeffer warnte: »Die Welt starrt in Waffen und furchtbar schaut das Mißtrauen aus allen Augen, die Kriegsfanfare kann morgen geblasen werden – worauf warten wir noch? Wollen wir selbst mitschuldig werden, wie nie zuvor?«

Dem »Rad in die Speichen fallen«

Bonhoeffer zog aus den immer wieder aufbrechenden Auseinandersetzungen eine Lehre: Die Bibelinterpretation müsse aus der Befangenheit ihres bürgerlich-religiösen Interessengeflechts gelöst werden. »Ich spüre, wie in mir der Widerstand gegen alles 
‚Religiöse‘ wächst,. Oft bis zu einer intuitiven Abscheu… Ich bin keine religiöse Natur, aber an Gott, an Christus muß ich immerfort denken, weil es darum geht, Leben nicht in Gefahr zu bringen. An Freiheit und Barmherzigkeit liegt mir sehr viel… Jesus ruft nicht nach Religion, sondern zum Leben!«

Die Kirchen ließen sich 1939 bereitwillig vor den Kriegswagen spannen. Da war es nur folgerichtig, dass sich Bonhoeffer aktiv einem keineswegs pazifistischen Kreis anschloss. Der Krieg sollte durch Militärputsch und Tyrannenmord beendet werden. Sein Bruder und zwei Schwäger waren involviert. Unter Einsatz ihres Lebens waren sie bereit, dem »Rad in die Speichen zu fallen.« Bonhoeffer musste allerdings erleben, wie schwer es war, auch bei einflussreichen Freunden im Ausland um Vertrauen und Verständnis für das geplante Attentat auf Hitler zu werben.

Am 5. April 1943 wurde Bonhoeffer verhaftet. Im Gefängnis erfuhr er vom gescheiterten Anschlag auf Hitler am 20. Juli 1944. Dass Bonhoeffer seine vielen Briefe und Texte aus der Haft schmuggeln konnte, ist Bewachern zu danken. Sie riskierten ihr Leben, indem sie Menschlichkeit zeigten. Dagegen war die Kirche in ihrem Obrigkeitsgehorsam fatal gebunden. Noch 1947 nannte sie das Scheitern des Attentats eine »Gnade Gottes« und jene, die den Widerstand organisierten, »Verräter«.

Dietrich Bonhoeffer wurde nach nächtlichem Standgericht am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg als Vaterlandsverräter erhängt. Deutschland erfuhr von seinem Tod erst am 27. Juli, als die BBC einen Trauergottesdienst aus der Holy Trinity Church in London übertrug. Wenige Tage zuvor noch hatte es zum ersten Jahrestag des Attentats auf Adolf Hitler eine Kanzelabkündigung in Berlin und Brandenburg gegeben. In der Mitteilung an die kirchlichen Gemeinden hieß es, der Anschlag auf Hitler könne niemals gutgeheißen werden.

Das »Konzil des Friedens«, zu dem Bonhoeffer 1934 als Warnung vor dem Zweiten Weltkrieg so dringend aufgerufen hatte, wurde 50 Jahre später Wirklichkeit. Der«Konziliare Prozeß« stellte einen wichtigen Bestandteil ökumenischer Friedensarbeit dar. Bonhoeffer hoffte, dass die Kirchen mit ihrer Autorität dabei helfen, Krieg endlich zu ächten, Ob sich dieser Wunsch erfüllt, bleibt offen, obwohl die Welt wieder wie damals in Waffen starrt…