Ein »Lernort« von Format
21. Juli 2020
Seit fünf Jahren gibt es das NS-Dokumentationszentrum in München
Vor fünf Jahren wurde am 30. April, dem Jahrestag der Befreiung der Stadt vom Faschismus, in München ein neues Ausstellungs-Gebäude eröffnet. Mit diesem sollte informativ, kritisch und zukunftsweisend an die NS-Vergangenheit der einst von den Hitlerfaschisten zu ihrer »Hauptstadt der Bewegung« ausgerufenen bayerischen Landeshauptstadt erinnert werden. Vorangegangen waren weit über ein Jahrzehnt Initiativen und Aktionen, mit denen Forderungen nach solch einem Zentrum als »Erinnerungs- und Lernort« artikuliert und von offizieller Seite oft recht zögerlich aufgenommen wurden.
2015 war es aber dann schließlich so weit: Auf einer Freifläche in der Innenstadt am Rande der Briennerstraße, dem Grundstück, auf dem einst das »Braune Haus« gestanden hatte, konnte ein imposanter Museums-Neubau eingeweiht werden. Das NS-Dokumentationszentrum haben die Berliner Architekt*innen Bettina Georg, Tobias Scheel und Simon Wenzel entworfen. Die Stadt München, die Bayerische Staats- und die Bundesregierung hatten schließlich jeweils zu einem Drittel die Finanzierung dieses 28 Millionen Euro teuren Projekts ermöglicht.
Vom »Braunen Haus«, der berüchtigten »Reichsparteizentrale« der NSDAP, das an dieser Stelle einst gestanden hatte, war am Kriegsende nur noch eine Ruine übriggeblieben, die schließlich 1947 abgerissen wurde. Seit 2018 hat der kleine Platz, auf dem der Museums-Neubau errichtet wurde, nun auch einen eigenen Namen: Er heißt Max-Mannheimer-Platz, zum Gedenken an den 2016 verstorbenen Holocaust-Überlebenden und langjährigen Präsidenten der Lagergemeinschaft Dachau.
Max Mannheimers heutiger Nachfolger als Präsident der Lagergemeinschaft, Ernst Grube – auch er Schoah-Überlebender, Gründungsmitglied der VVN in München und, inzwischen 87 Jahre alt war von Anfang an ein Mitinitiator des »Lernort«-Projektes »NS-Dokumentationszentrum«. In einem »antifa«-Interview zur 2015 bevorstehenden Einweihung sagte er damals über die Vorgeschichte: »Gemeinsam konnten wir in den vergangenen Jahren viel auf den Weg bringen. Es gab aber bei all den Institutionen, die gebraucht wurden, um solch ein Projekt zu finanzieren, jede Menge Vorbehalte.« Und er präzisierte: »Gerne wurde etwa darauf hingewiesen, dass sich die Schwerpunkte der NS-Herrschaft ja nach der Machtübernahme der NSDAP schnell von München nach Berlin verlagert hätten. Da war viel von den Verdrängungen spürbar, die nach 1945 gerade in München und Bayern eine Rolle gespielt hatten und oft noch spielen: Vom Unwillen, sich kritisch mit der Entstehungsgeschichte des deutschen Faschismus, mit seinen Wurzeln, Ursachen und Umfeldern auseinanderzusetzen.«
Seit diesem Gespräch sind über fünf Jahre vergangenen. Immer wieder hat sich seither gezeigt, etwa am Beispiel der Dauerausstellung des Dokumentationszentrums »München und der Nationalsozialismus« über konkrete regionale und überregionale Bezüge, das Entstehen und die verbrecherische Herrschaft des NS-Regimes betreffend, dass hier mit großem Engagement versucht wurde und wird, jenen Verdrängungen und Verdrehungen Fakten entgegenzusetzen. Dies wiederum geschieht meist in einer Form, die es vor allem jungen Besucherinnen und Besuchern möglich macht, die von Grube erwähnten Ursachen und Umfelder zu begreifen und Empathie mit den Opfern zu empfinden.
Unterstützt wird dies von sachkundigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Zentrums, die durch die Ausstellungsräume führen, aber auch durch zahlreiche audiovisuelle Hilfsmittel, die in den Ausstellungsräumen und im größeren Umfeld des Lernortes angebracht sind und mancherlei zur Aufklärung beitragen. Die Optik ist nach wie vor geprägt vom ehemaligen Aufmarsch- und Bücherverbrennungs-Ort »Königsplatz«, von der NS-Architektur zweier »Führerbauten« links und rechts der Briennerstraße und von den Überresten ehemaliger Nazi-»Ehrentempel« für die »Hitlerputsch«-Teilnehmer von 1923.
Im Dokumentationszentrum gibt es »Lernräume« zur Vertiefung und zum Weiterarbeiten für Schüler*innen und andere Interessierte. Und es gibt immer wieder Wechselausstellungen zu Themenbereichen, die ganz konkret Gegenwartsbezüge herstellen. 2018 hieß eine dieser Ausstellungen »Nie wieder. Schon wieder. Immer noch. Rechtsextremismus in Deutschland seit 1945« die letzte große Schau – bevor der Coronavirus auch hier wie in allen Museen und Bildungseinrichtungen zu bedauerlichen Einschränkungen führte – hieß »Die Stadt ohne. Juden Ausländer Muslime Flüchtlinge«. Schon die Ausstellungstitel sprechen für deren jeweiligen Aufklärungswert.
Daneben gab und gibt es hoffentlich bald wieder Kunst-Präsentationen, Ausstellungen zu einzelnen Verfolgtengruppen (Sinti und Roma etwa, »Euthanasie«-Opfer, Zeugen Jehovas). Die seit der Eröffnung jährlich vorgesehene Besucherzahl von 25- bis 30.000 Menschen wird wohl in diesem Pandemie-Jahr nicht erreicht werden. Aber gehofft werden darf und sollte gerade an einem solchen wichtigen Ort.
Das Münchner NS-Dokumentationszentrum. Links davon ein Stück vom einstigen »Führerbau«, in dem 1938 das »Münchner Abkommen« den Nazi-Eroberungskrieg vorbereitete.