Archäologie der Zwangsarbeit

geschrieben von Christopher Hölzel

12. September 2020

Was Gegenstände über ihre Zeit erzählen können

Es wird absehbar bald keine Überlebenden des nationalsozialistischen Terrors und seiner Zwangssysteme mehr geben, die über diese Zeit berichten können. Wie politische Bildung und ein würdiges Gedenken ohne Zeitzeug*innen weitergehen kann, wird schon lange diskutiert. Mit der archäologischen Freilegung von Objekten und Strukturen der Zwangslager gibt es einen vielversprechenden Ansatz, die Erinnerung wach zu halten.

Im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit Berlin-Schöneweide widmet sich die Sonderausstellung »Ausgeschlossen. Archäologie der NS-Zwangslager« dieser Thematik. Es werden nahezu ausschließlich Funde aus archäologischen Grabungen gezeigt. Dieser Zugang ist ein Novum in der musealen, historischen und denkmalpolitischen Auseinandersetzung mit Täter- und Opferorten. Objekte aus 14 Zwangslagern in Berlin und Brandenburg, darunter bekannte Orte wie Sachsenhausen und Ravensbrück und weniger in der Öffentlichkeit präsente Orte wie das KZ-Außenlager bei den Arado-Werken Rathenow oder das Zwangsarbeiterlager Basdorf, sollen das nationalsozialistische Lagersystem »greifbar« machen.

Dinge erzählen über Lagerleben

Anhand der bei archäologischen Ausgrabungen, Oberflächenbegehungen oder Umbaumaßnahmen freigelegten Dinge wird das Leben in den Lagern geschildert. Objekte wie Stacheldraht und Barackenreste zeigen die ›Innenausstattung‹. Ausgestellt sind auch einige der Produkte, die die Zwangsarbeiter*innen für deutsche Firmen wie Lufthansa oder Siemens herstellen mussten. Am Schluss wird sich den Methoden der zeitgenössischen Archäologie gewidmet.

Der Aufbau der Ausstellung ist stark an kulturhistorischen, archäologisch- musealen Erzählweisen orientiert. Über 300 Objekte werden auf relativ kleinem Raum gezeigt. Die Inszenierung der Objekte, die allesamt gereinigt, restauriert und ohne Unterlage in Glasvitrinen präsentiert werden, ist sehr nüchtern und zurückhaltend. Die Objekte sollen auf diese Art und Weise nicht reliquienhaft wirken. Die Texte der Ausstellung sind zweisprachig, flüssig zu lesen und in angemessener Schriftgröße angebracht.

›Highlights‹ dieser Ausstellung sind die persönlichen, selbst hergestellten Objekte von Zwangsarbeiter*innen. Diese zeugen eindringlich von den Lebensbedingungen. An Alltagsgegenständen, wie zum Beispiel Tassen und Teller, zeigt sich die Lagerhierarchie – Porzellan für die Täter, Blech für die Zwangsarbeiter*innen. Teils lässt sich an der Qualität der materiellen Überreste die Schlechterstellung von Verschleppten aus der Sowjetunion ablesen.

Bei einigen der Objekte wurden Namensgravuren angebracht. Aufgrund dieser persönlichen Daten können Namen und Biografien erforscht werden, die häufig aus den Archiven nicht zu ermitteln sind. In diesem Bereich kann die zeitgenössische Archäologie die klassische Geschichtsforschung erweitern. Aber auch bislang Unbekanntes wie Grundriss, Ausstattung und verschiedene Umbauten der Baracken können zu einem besseren Verständnis beitragen.

Die personalisierten Objekte werden leider mit vielen anderen gleichzeitig in einer Vitrine gezeigt. Die Bedeutung dieser wichtigen Besitzstücke hätte durch eine Einzelpräsentation noch mehr betont werden können. Heutzutage besitzt der*die durchschnittliche Mitteleuropäer*in ca. 10.000 Objekte, die Insassen der Zwangslager hatten kaum eine Handvoll. Der ›Wert‹ dieser Dinge für die Zwangsarbeiter*innen kann gar nicht hoch genug angesetzt werden. In einem System, in dem man nur mit einer Nummer angesprochen wird, ist der eigene Name unglaublich wertvoll. Teils unter Lebensgefahr hergestellt, zeugen diese Objekte von Überlebenswillen und widerständigen Handlungen.

Zwangsarbeit noch längst nicht aufgearbeitet

Abseits der vielen interessanten Objekte und Fragestellungen wirft diese Ausstellung ein Schlaglicht auf den Umgang Deutschlands mit der Aufarbeitung der Zwangsarbeit. Es gab einzelne politische Initiativen. Doch auf staatlicher Ebene fand kaum etwas statt. Erst nach 1990 gab es erste zögerliche Schritte.

Bei der Archäologie wurden die Landesdenkmalschutzgesetze so angepasst, dass auch Funde aus dem 20. Jahrhundert unter dieses Gesetz fallen und von Amts wegen ausgegraben und dokumentiert werden müssen. Die als Sponsor der Sonderausstellung auftretende Stiftung EVZ (»Erinnerung, Verantwortung und Zukunft«) übernahm Anfang der 2000er Jahre die Koordination der Entschädigungen. Die Zahlungen wurden ins Unermessliche bürokratisiert, hinausgezögert und sind am Ende sehr gering geblieben. Die überwiegende Abwesenheit der Zwangsarbeit im kollektiven Bewusstsein der Deutschen spricht Bände. Es gab 44.000 Zwangslager, in denen über 26 Millionen Menschen ausgebeutet wurden. Diese Ausstellung ist ein wichtiger Schritt, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zwangsarbeit bis heute – wie der Titel schon sagt  – weitestgehend »ausgeschlossen« ist aus dem deutschen Projekt der Vergangenheitsbewältigung.  

»Ausgeschlossen. Archäologie der NS-Zwangslager« im NS-Dokumentationszentrum Berlin-Schöneweide. Bis 31. Januar 2021. Di – So 10-18 Uhr. Katalog bei be.bra.verlag, 232 Seiten, 24 Euro