Dem Zeitgeist folgen

geschrieben von Regina Girod

24. September 2020

Zur neuen Ausstellung über KZ-Aufseher*innen in der Gedenkstätte Ravensbrück

Seit16 Jahren wird in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück die Dauerausstellung »Im Gefolge der SS: Aufseherinnen des Frauen-KZ Ravensbrück« gezeigt. Ausstellungsort ist eines der Wohnhäuser, in denen viele der KZ-Aufseherinnen gelebt haben. Präsentiert werden Resultate der sogenannten »Täter*innenforschung«, die sich seit den 90er Jahren in der wissenschaftlichen Arbeit auch der KZ-Gedenkstätten etabliert hat. Ein Ansatz, der verschiedene Perspektiven auf historische Prozesse untersucht, um so zu einem komplexeren Bild zu gelangen. Ein erklärtes Ziel dieses Herangehens besteht aber auch darin, die Einseitigkeit ideologischer Geschichtsdarstellungen aufzubrechen. Bei einer Gedenkstätte auf dem Gebiet der früheren DDR läuft dies wohl vor allem auf die Relativierung früher vermittelter Geschichtsbilder hinaus. Die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten veröffentlichte 2007 in ihrer Schriftenreihe einen Begleitband zur Ausstellung, der zuletzt 2018 neu aufgelegt wurde. Er ist bis heute im Besucherzentrum zu erwerben und stellt die ausgestellten Dokumente, Fotos und Materialien in historische, kulturelle und politische Zusammenhänge. Um es gleich vorwegzunehmen: dieser Begleitband ist trotz einiger politischer Querschläger wirklich zu empfehlen, die neue Ausstellung dagegen nicht.

Überhaupt stand die Erneuerung unter keinem guten Stern. Der erste Eröffnungstermin im August wurde verschoben, es folgte eine »stille« Ausstellungseröffnung, die offizielle soll nun im September stattfinden. Bis dahin ist sie immerhin schon täglich für drei Stunden zu besichtigen. Nach den Corona-Regeln dürfen ausgelegte Mappen mit Dokumenten und die Kopfhörer für Tondokumente zur Zeit nicht genutzt werden, die geplanten künstlerischen Installationen werden bis auf eine auch erst im September präsentiert. Trotzdem ist die erneuerte Ausstellungskonzep-
tion erkennbar, neue Dokumente oder Forschungsergebnisse sind in den vergangenen Jahren kaum hinzugekommen, es geht also vor allem um eine neue Deutung und Interpretation derselben.

Tatsächlich haben sich die Rezeptionsbedingungen in den letzten 16 Jahren stark verändert. 75 Jahre nach dem Sieg über den Faschismus gibt es kaum noch überlebende Zeitzeuginnen, ebenso wenig wie Täterinnen. Damit wird die Deutung dieser Geschichtsperiode mehr oder weniger eine Angelegenheit von Historikern. Für im neuen Jahrtausend Geborene ist die Zeitspanne von 80 Jahren durch keine mündliche Überlieferung mehr überbrückbar. Kulturelle, ethische und politische Normen haben sich so stark verändert, dass nicht nur historisches Wissen, sondern eine ganze Welt von Erfahrungen vermittelt werden müssen, um Zusammenhänge zu verstehen. Und schließlich leben wir in einer Zeit, in der faschistisches Gedankengut, Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit stark wachsen, ausgedrückt nicht nur in Haltungen und Einstellungen, sondern auch in Gewalttaten und Morden.

Stellen sich die Ausstellungsmacher diesen Her-
ausforderungen? Mein Eindruck ist, dass das nicht ihre Absicht ist. Sie beziehen eine scheinbar objektive Position, indem sie »Fakten« präsentieren und sich möglichst jeder Wertung enthalten. So steht die Behauptung, dass hier Verbrechen begangen wurden, gegen die Entschuldigungsgründe, die Aufseherinnen vor Gericht anbrachten. Zeichnungen von Häftlingsfrauen, die den Lageralltag festhielten, neben den Aussagen der Kinder von Aufseherinnen, die ihre Mütter in Schutz nehmen. Die komplizierten politischen Umstände der Strafverfolgung ehemaliger Nazitäterinnen, die dazu führten, dass tatsächlich nur gegen einen Bruchteil von ihnen ermittelt wurde, werden in der Feststellung, dass die deutsche Nachkriegsgesellschaft kein Interesse an einer Verfolgung hatte, zusammengefasst. Geradezu obskur wirkte auf mich der Versuch, die Gestalt der SS-Aufseherin in der Populärkultur zu beleuchten, die unbedingt einer Wertung bedurft hätte, gerade weil sie jungen Ausstellungsbesuchern bekannt sein dürfte.

Das dezentrale Ausstellungskonzept, bei dem an verschiedenen Orten des ehemaligen Lagers Einzelausstellungen zu speziellen Themen gezeigt werden, wirkt in Bezug auf die Aufseherinnen in Ravensbrück geradezu fatal. Ohne ein Bild davon, welche Rolle Konzentrationslager wie Ravensbrück im System des faschistischen Terrors spielten, wer die Häftlinge waren und wie sie das Lager erlebten, wirkt die Ausstellung über die KZ-Aufseherinnen buchstäblich verharmlosend. Tatsächlich schreibt der Leiter des pädagogischen Dienstes der Gedenkstätte bereits im Begleitband, dass sich manche Schulklassen ausschließlich für den Besuch dieser Ausstellung anmelden.

Insgesamt bringt die Erneuerung also keine Verbesserung. Da es keine objektive Sicht auf die Geschichte gibt, weil schon die Auswahl und Art der Präsentation historischer Objekte eine subjektive Wertung darstellt, lautet die eigentliche Botschaft der Ausstellungsmacher: »Man kann das so oder so sehen, wir überlassen das den Besuchern.« Eine Referenz an den Zeitgeist.

 Ausstellung »Im Gefolge der SS« – Aufseherinnen des Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück – seit dem 8. August 2020 immer nur Di-So 11-14 Uhr (Corona bedingt verkürzte Öffnungszeiten).
www.ravensbrueck-sbg.de

Der Vorsitz des Kulturausschusses im Brandenburger Landtag steht der AfD zu. Bis jetzt ist der Posten nicht besetzt, weil die von der AfD aufgestellten Kandidaten nicht gewählt wurden. Drei von elf Mitgliedern des Ausschusses, der unter anderem auch für die Brandenburgischen Gedenkstätten zuständig ist, kommen aus der AfD-Fraktion.