Gedenkort Hebertshaus

geschrieben von Ernst Antoni

24. September 2020

Recherchen zum Massenmord an sowjetischen Kriegsgefangenen

Das Buch ist auf seiner Titelseite angekündigt als »Begleitband zur Open-Air-Ausstellung und zur Gedenkinstallation ‚›Ort der Namen‹ «. Also gewissermaßen eine Art Katalog. Darunter steht der Haupttitel: »Der Massenmord an den sowjetischen Kriegsgefangenen auf dem SS-Schießplatz Hebertshausen 1941-1942«.

Der Text auf dem Rücktitel liefert die Präzisierung: »Auf dem SS-Schießplatz Hebertshausen, zwei Kilometer nördlich des Häftlingslagers des KZ Da-chau, ermordete die Lager-SS 1941 und 1942 über 
4.000 sowjetische Kriegsgefangene. Die Opfer waren zuvor in den Kriegsgefangenenlagern der Wehrkreise München, Nürnberg, Stuttgart, Wiesbaden und Salzburg von Einsatzkommandos der Gestapo nach ideologischen und rassistischen Kriterien ›ausgesondert‹worden. Insbesondere kommunistische Funktionäre, Angehörige der ›Intelligenz‹ sowie Juden fielen der Massenmordaktion zum Opfer, aber auch ein hoher Prozentsatz ganz einfacher Soldaten.«

Seit 2014 gibt es, wie der Text auf dem Rücktitel weiter informiert, einen »neugestalteten Gedenkort ehemaliger Schießplatz Hebertshausen«, der mit einer Ausstellung an die Ereignisse erinnert. Außerdem sind auf Namenstafeln die bisher bekannten Opfer aufgeführt. Die Installation ist mit zunehmendem Forschungs- und Wissensstand für weitere Ergänzungen offen.

Bilder und Texte zu den Opfer-Biographien in der Open-Air-Ausstellung und zum Gedenkort sind in dem Begleitbuch reichlich vorhanden. Herausgegeben haben es Gabriele Hammermann, seit 2009 Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, und Andrea Riedle, bis 2019 Leiterin der wissenschaftlichen Abteilung der Gedenkstätte. Seit Januar 2020 ist sie Direktorin der Stiftung Topographie des Terrors.

Der erste Teil des Katalogbandes enthält – unter der bescheidenen Ankündigung »Aufsätze« eine überwältigende Vielfalt an historischem und auch aktuellem Material über die Auseinandersetzung mit dem Thema. Festgestellt wird eine jahrzehntelange Nicht-Befassung mit diesen speziellen Verbrechen in bundesdeutscher  Politik und oft auch Wissenschaft.

Dirk Riedels einleitender Aufsatz trägt den Titel »Der Vernichtungskrieg in den Gefangenenlagern der Wehrmacht. Selektion und Ermordung sowjetischer Gefangener durch die Gestapo in Nürnberg und München«. Der Beitrag zeigt, wie damalige Verfolgungs- und spätere Verdrängungs-Strukuren ineinander griffen. Stichwort »jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung« und jener »Kreuzzug« dagegen, an dem sich willfährig auch die Institutionen der Wehrmacht beteiligten.

Die Massenmorde an den sowjetischen Kriegsgefangenen – auch wenn sie letztlich von den SS-Mannschaften des KZ Dachau verübt wurden – wären nicht möglich gewesen ohne die Wehrmacht. Mit ihrer Hilfe bei der »Aussonderung« der Verdächtigen schuf sie die Voraussetzungen für die Ermordungen. Wie es der Autor am Beispiel des »Wehrkreis VII München im Herbst 1941« dokumentiert, gab es ein Kategoriesystem. Kriterien für die »Aussonderung« und Überstellung an die SS zur Ermordung waren: »Fanatische Kommunisten«, »Hetzer, Aufwiegler, Diebe«, »Intelligenzler«, »Unheilbar Kranke«, »Flüchtlinge«, »Juden«, »Funktionäre und Offiziere«.

Es gab in den Kriegsgefangenenlagern aber auch sowjetische Gefangene, die keiner der obigen Schablonen zuzuordnen waren und die sich deshalb noch für anderes eignen konnten: zur Zwangsarbeit. Weshalb, wie Gabriele Hammermann schildert, schließlich auch ein spezielles »Kriegsgefangenenlager« auf dem Dachauer KZ-Gelände entstand: »…sowjetische Armeeangehörige, die die SS entweder im Häftlingsbad oder am Hinrichtungsort ›selektiert‹ hatten, da sie für schwere Arbeit geeignet erschienen.« Vernichtung durch Arbeit.

Reinhard Otto schreibt über »Die schwierige Recherche für die Gedenkinstallation ›Ort der Namen‹ «. Andrea Riedle widmet sich der Stadt Dachau unter der Überschrift: »Was wusste die Bevölkerung von der Massenmordaktion?« Anja Deutsch und Kerstin Schwenke stellen ihre Recherchen zum Thema vor: »Der lange Weg zur Gestaltung des Erinnerungsortes. Der ehemalige SS-Schießplatz Hebertshausen nach 1945«.

Beim Kapitel über diesen »langen Weg« gibt es allerlei befremdliche Episoden, die offizielle Stellen betreffen. Positiv erwähnt werden dagegen die VVN-BdA und die Lagergemeinschaft Dachau, die den Gedenkort anregten und für Frieden und Völkerverständigung nutzen. Nicht vergessen werden weiteren Organisationen aus dem Umfeld der Friedensbewegung der 1980er-Jahre wie Pax Christi oder »Ohne Rüstung leben«.

Das ist schön. Weniger schön ist, dass just im Sommer 2020 gemeinsame Übungen der Bundes-»Luftwaffe« (den alten Wehrmachtsbegriff hat aktuell hierzu die »Bild«-Zeitung begeistert übernommen) und israelischer Militärflugzeugen stattfinden. Die Maschinen fliegen über Stätten einstiger Verfolgung von Juden und anderen von Nazis und Wehrmacht zur »Aussonderung« Freigegebenen. Dies wird als ein Akt der Versöhnung und Völkerverständigung gepriesen.

Zusammenfassend kann man sagen: Diesem informativen Buch sind viele Leser*innen und dem Gedenkort noch mehr Besucher*innen zu wünschen.

Gabriele Hammermann, Andrea Riedle (Hg.): Der Massenmord an den sowjetischen Kriegsgefangenen auf dem SS-Schießplatz Hebertshausen 1941-1942. Wallstein Verlag Göttingen, 208 S. 20 Euro