Geschichte erwandern

geschrieben von Dieter Braeg

27. September 2020

Ein etwas anderer Wanderführer für die Salzburger Region

Im Herbst sollte man darüber nachdenken, ob es sich nicht lohnen würde, etwas mehr über jenen Teil unserer Geschichte zu erfahren, die meistens ein oft unbeachtetes Dasein fristet. Der Widerstand von Frauen und Männern im Nationalsozialismus.

Thomas Neuhold, Mitbegründer des Salzburger Bergfilmfestivals, Mitglied des KZ Verbandes/VdA und Mitglied des Österreichischen Alpenklubs, hat als Alpinjournalist schon einige Tourenbücher verfasst. Zusammen mit Andreas Prader, Historiker, Lehrbeauftragter der Universität Salzburg, ebenfalls Mitglied des KZ-Verbandes/VdA, hat er nun ein ungewöhnliches Wanderbuch für Salzburg herausgegeben. Es beinhaltet vor allem Spaziergänge durch die Stadt und leichte Wanderungen. Insgesamt 35 Vorschläge. Die Wege führen auch ins Hochgebirge. Beispielsweise nach Kaprun mit seinen Kraftwerksbauten, wo Zwangsarbeiter eingesetzt wurden. Selbstverständlich gibt es auch ein Kapitel »Basisausrüstung Wandern«, um entsprechend vorbereitet auf  Tour zu gehen.

Es geht nicht um Gipfelstürmerei, Almentdeckung oder malerisch in der Landschaft wiederkäuende Kühe. Hier kann Leserin und Leser Wanderungen entdecken, die in Salzburg, Oberösterreich, Südostbayern und Ausseerland Wege zu jenen Orten und Personen beschreiben, die mit Widerstand, Verfolgung und Befreiung während der NS-Zeit zu tun hatten. Auch wie es zum Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland kam und das antisemitische Klima damals kommen nicht zu kurz.

Spaziergänge vor allem in Salzburg dürften nach Ende der reduzierten Festspiele in diesem Jahr ganz besonders geeignet sein, eine ganz andere Geschichte dieser Stadt zu zeigen. Ob es das jüdische Leben ist oder der rote Widerstand: 
Geschichte wird durch die Wanderungen erlebbar. Dazu gehört auch der noch immer andauernde Skandal um 200 belastete Straßennamen, darunter der des Nazikünstlers Josef Thorak. Bei den Spaziergängen durch Salzburg wird auch schmerzlich bewusst, wie oft antifaschistische Denkmäler unsichtbar blieben und bleiben.

Die von den Nationalsozialisten ermordete Widerstandskämpferin Rosa Hofmann wird am Beginn des Buches aus ihrem letzten Brief zitiert: »Ich hoffe halt, dass das Gnadengesuch Erfolg hat. Wenn nicht, kann man auch nichts mehr ändern, abgefunden habe ich mich schon derzeit. Ihr glaubt nicht, wie viele dasselbe hier mitmachen wie ich. Sehnsucht habe ich nach Euch und den Bergen…«

Auch die Menschenjagd, beteiligt waren
70 Gestapobeamte und 1.000 SS-Männer, auf sechs Wehrmachtsdeserteure in Goldegg (Bundesland Salzburg) im Juli 1944, die auch zahlreichen Angehörigen und Freunden das Leben kosten sollte, ist einer der Wandervorschläge. Bis 2008 wurden diese Deserteure in der Goldegger Ortschronik als »Landplage« bezeichnet. Erst 2009 erkannte man sie als »Opfergruppe« an. Ebenso wird die Geschichte des »Russenfriedhofs« in St. Johann im Pongau wieder erfahrbar. Dort starben mehr als 3.500 Soldaten der Roten Armee. Unterernährung, Zwangsarbeit und Folter führten zu ihrem Tod.

Ob es das jüdische Leben ist
oder der rote Widerstand: 
Geschichte wird durch die
Wanderungen erlebbar.

Im 15. Kapitel geht es um eine unterirdische Mordfabrik. Das Konzentrationslager Gusen war das größte Außenlager des Konzentrationslagers Mauthausen. 35.000 Menschen wurden dort ermordet. Es dauerte bis in die 1960er-Jahre, dass ehemalige italienische KZ-Häftlinge auf dem KZ Areal eine erste Gedenkstätte errichteten.

In Salzburg feiert man in diesem Jahr ein Jubiläum. 100 Jahre Salzburger Festspiele. Die »Hochkultur« hatte weder Zeit noch eine Spielstätte, um 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs der Befreiung vom Nationalsozialismus zu gedenken.

Das Friedensbüro Salzburg hingegen hat den antifaschistischen Wanderführer zum Buch des Monats erklärt. 35 zeitgeschichtliche Themenstrecken warten auf Entdeckung. Kartenskizzen, genaue Routenbeschreibungen und Hinweise zu weiterführender Literatur helfen bei der Reise zu Widerstand, Verfolgung und Befreiung.

Hier haben zwei Autoren Geschichte sichtbar gemacht, Geschichte, die oft verdrängt, oft mit der Bemerkung »nicht schon wieder« verharm-
lost wird. Es sollten weitere antifaschistische Wanderbücher dieser Art folgen. Sie sind notwendiger denn je!

»Widerstand, Verfolgung, Befreiung. Zeitgeschichtliche Wanderungen« von Thomas Neuhold und Andreas Praher, Verlag Anton Pustet, 
248 Seiten, 24 Euro