Solidarität durch Antifaschistin

24. November 2020

Babsi Tollwut über ihre Musik, frei haben vom Patriarchat und ihren Weg in die VVN-BdA

antifa: Wie bist Du zur Musik und Politik gekommen?

Babsi Tollwut: Schon seit ich denken kann, stoßen mir Ungerechtigkeiten übel auf. Aufgewachsen bin ich in einem bayrischen Dorf, die nächstgrößere Stadt ist Coburg. Dort findet alljährlich ein Treffen von rechten, studentischen Verbindungen, der Coburger Convent, statt. Über den Widerstand dagegen bin ich politisiert worden und habe mich dann in Antifagruppen organisiert. Teile meiner Familie kommen aus Bayern, andere aus Berlin. Schnell wurde mir bewusst, dass es in Berlin chilliger ist und dass ich hier nicht so auffalle. Auch weil meine Eltern eher links sind, galten wir in Bayern immer als Freaks. 2009 zog ich nach Berlin.

Schon als fünfjähriges Kind war ich von Rap angetan, habe mir Instrumente spielen beigebracht und singe gern. Relativ früh kam Texte schreiben dazu, etwa mit neun oder zehn. Bühnenauftritte gab es erst viel später. Es fehlte einfach die Vorstellung dazu, obwohl ich in Bayern viel mit Menschen herumgehangen habe, die Mucke gemacht haben. Diese Kreise waren jedoch stark männlich dominiert, die Punkbands beispielsweise. Auch jene, die sich zum Jammen oder Freestylen getroffen haben, waren alles Typen. Da war kein Platz für eine wie mich. Erst als ich in Berlin war, wurde mir durch Konzerte oder Straßenfeste bewusst, dass auch Frauen rappen, und ich dachte: Wow!

antifa: Wie kam es dann zum ersten Auftritt?

Babsi Tollwut, Foto: Boris Niehaus

Babsi Tollwut, Foto: Boris Niehaus

Babsi Tollwut: Das war auch in Berlin bei einem Event, das sich explizit nicht an Cis-Männer* richtete. Vor solch einem Publikum zu spielen, hätte ich mich damals auch nicht getraut. Eingeladen wurde ich von einer Freundin, die mich supporten wollte.

antifa: Die Texte zu Deiner Musik sind erhellend, vielseitig und mitunter poetisch geprägt. Erzähl bitte vom Schaffensprozess dieser Lyrics.

Babsi Tollwut: Früher hatte ich gar keinen Einfluss auf die Situationen, in denen diese entstanden sind. Vielfach war das Schreiben ein Ventil für traumatische Erlebnisse oder solche, mit denen ich keinen Umgang finden konnte. Der Text kam dann eher aus einem raus: In zwei Minuten, wie kotzen. Im Laufe der Zeit hat sich dies teilweise verändert, weil es auch vorkam, dass ich für Features angefragt wurde, mich also zu diesem oder jenem Thema äußern sollte. Normalerweise kommen Themen innerlich zu mir und nicht anders. Aktuell staut sich dort sehr viel zur Räumung des anarcha-queer-feministischen Berliner Hausprojekts
Liebig34 am 9. Oktober. Zuvor ging es beispielsweise um Menschen, die im Mittelmeer ertrinken oder den rassistischen Mob in Chemnitz. Daraus wurde auch ein Track.

antifa: Auch wenn sich teils Schlupflöcher herausbilden, sind Musik- und Politikszenen, wie Du ja aus eigenem Erleben geschildert hast, fast immer stark männlich geprägt. Warum sind diese Strukturen so starr und erdrückend?

Babsi Tollwut: Das Patriarchat ist in der -gesamten Gesellschaft ein riesiges Problem. Auch wenn Leute links und cool sind, wirkt es ebenso stark in diese Kreise. Es ist wichtig, dass mehr Cis-Männer anfangen, sich mit Feminismus und einer feministischen Haltung auseinanderzusetzen. Für mich war es essentiell, Räume zu haben, in denen ich frei hatte vom Patriarchat, und dazu zählte auch die Liebig34. Da hatten wir unsere Ruhe. Ich habe zwar nie dort gewohnt, war aber im Kneipenkollektiv und eng mit einigen aus dem Haus befreundet. Umso schmerzlicher ist die Räumung, weil dieses Haus vielen Menschen ermöglicht hat, sich zu verwirklichen. Mir persönlich hat es auch den Rücken freigemacht, dass ich Kraft hatte, um aus dieser Blase, sage ich mal, rauszugehen und mich der »echten Welt« zu stellen. Durch das Verschwinden der Liebig34 geht für viele Menschen ein sicherer Ort vor Patriarchat, sexualisierter Gewalt und anderen strukturellen Unterdrückungsmechanismen verloren. Die Räumung ist ein krasses »Fuck you« an Leute, die durch dieses Haus massiven Support erhalten haben. Es macht mich megatraurig und richtig wütend.

antifa: Du bist wie viele andere Ende 2019 der VVN-BdA beigetreten. Magst Du erzählen, wie es dazu kam?

Babsi Tollwut: Aus der politischen Landschaft ist mir die VVN-BdA schon länger bekannt. Persönliche Berührungspunkte gab es aber wenige. Als ihr 2019 die Gemeinnützigkeit entzogen wurde, wurde ich über einen lieben Kollegen und Musiker, Refpolk, darauf aufmerksam. Mir war und ist es wichtig, Solidarität als konsequente Antifaschistin zu zeigen. Ich liebe auch die Zeitungen wie »Unser Blatt« und die antifa, die seitdem im Briefkasten landen. Ich erinnere mich gern an meinen letzten Urlaub: Ich lag am Strand und las von verschiedenen regionalen Aktivitäten in der VVN-BdA. Ich bekomme mit, was im Verband so läuft. Obwohl ich mich fast ausschließlich in Neukölln und Kreuzberg bewege, liefern die Blätter Anreize, um mal über den lokalen Tellerrand zu schauen und auch dort aktiv zu werden. Während meiner Gigs rufe ich dazu auf, dass Besucher*innen in der VVN-BdA aktiv werden sollen.

Das Interview führte  Andreas Siegmund-Schultze.Foto: Boris Niehaus

Babsi Tollwut macht Rap-Musik, ihr aktuelles Album heißt »HipHop ist am Arsch«. Sie wurde Anfang der 90er Jahre nahe Coburg geboren und ist heute nicht nur Musikerin, sondern arbeitet auch in einer Berliner Kita. Zu Beginn der Pandemie unterstützte sie wie viele andere Künstler*innen die Kampagne »Leave no one behind«. Damit wurde Geld für die auf den griechischen Inseln gestrandeten und festgehaltenen Geflüchteten gesammelt. In den letzten Monaten war eine bundesweite Tour geplant, die coronabedingt abgesagt werden musste. Vereinzelt fanden jedoch OpenAir-Konzerte von Babsi Tollwut statt oder sie hatte Auftritte im Rahmen von Webstreams.

*Cis-Männer definieren sich nach dem Geschlecht, das ihnen nach ihrer Geburt zugeordnet wurde