Antiziganismus erkannt

geschrieben von red

12. Dezember 2020

Ulmer Gericht benennt Tatmotiv für den Brandanschlag von 2019

Mit Bewährungsstrafen endete im September der Prozess gegen fünf junge Neonazis. Sie hatten im Mai 2019 eine brennende Fackel in ein Wohnwagen-Lager einer französischen Roma-Familie bei Dellmensingen (Alb-Donau-Kreis) geworfen. Der Vorwurf des Mordversuchs wurde fallengelassen, da der Brandsatz laut Gutachten nicht geeignet war, größeren Schaden anzurichten. Die Urteile ergingen wegen »vollendeter Nötigung«, da die Angeklagten über Wochen mit insgesamt 45 Einzeltaten versucht hatten, die Familie zu vertreiben. Nach dem Brandanschlag verließ die Familie den Ort. Das Gericht erkannte die rassistischen und antiziganistischen Tatmotive und betonte sie in der Urteilsbegründung. Mehmet Daimagüler zeigte sich als Vertreter der Nebenklage zufrieden mit dem Urteil. Er betonte, dass es im Jugendstrafrecht nicht darum geht, junge Menschen hinter Gitter zu bringen, sondern Veränderungen bei ihnen zu erreichen. In seinem Plädoyer ging er ebenfalls auf die Motivation der Täter und deren gesellschaftliche und historische Hintergründe ein.

Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, erklärte zum Urteil des Landgerichts Ulm: »Das Gericht benennt in der Urteilsverkündung Rassismus und Antiziganismus als Tatmotiv. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma sieht in dem Prozess ein deutliches Signal, dass der Rechtsstaat die Bedrohung des gewaltbereiten Antiziganismus ernst nimmt und jede Form von Hasskriminalität konsequent verfolgt. Die Wehrhaftigkeit des Rechtsstaats wird in diesem Gerichtsprozess deutlich.«

Im Mai 2020, ein Jahr nach dem antiziganistischen Angriff, erinnerten in Dellmensingen rund 150 Menschen an die Tat und nahmen an einem »Spaziergang gegen Fremdenfeindlichkeit« teil. Foto: Indymedia

Im Mai 2020, ein Jahr nach dem antiziganistischen Angriff, erinnerten in Dellmensingen rund 150 Menschen an die Tat und nahmen an einem »Spaziergang gegen Fremdenfeindlichkeit« teil. Foto: Indymedia

Vor dem Hintergrund zahlreicher rechtsextremer Anschläge im letzten Jahr macht Romani Rose deutlich: »Wir dürfen diese Gewalt des Rechtsextremismus nicht weiter verharmlosen. Die Anschläge von Halle, Hanau und München wie auch die Morde des NSU sind Beispiele genug, die uns die Gefahren durch rechten Terrorismus vor Augen führen. Deshalb ist der Widerspruch unserer Gesellschaft unerlässlich, um Antiziganismus, Antisemitismus und Rassismus zu ächten. Sicherheitsbehörden und Justiz tragen aus Sicht des Zentralrats für den Zusammenhalt der Gesellschaft und für das Vertrauen in den demokratischen Rechtsstaat eine große Verantwortung.«

Die Anklage durch die Staatsanwaltschaft und das Gerichtsurteil machen deutlich, dass dieser Mordanschlag mit dem Tod einer jungen Mutter und ihres Kleinkindes hätte enden können. Der Zentralrat begrüßt, dass das Gericht darüber hinaus die Tat der vollendeten Nötigung in 45 Fällen festgestellt hat. Denn alle Menschen auf dem Campingplatz sind Opfer des Anschlags geworden. Sie sind in Panik und Sorge um ihr Leben geflohen. Ebenso wichtig war es, dass bereits mit Beginn der polizeilichen Ermittlungen die antiziganistische Tatmotivation der Angeklagten und deren rassistisches und neonazistisches Weltbild klar benannt wurden. Das Landgericht Ulm hat während der Beweisaufnahme diesem Aspekt breiten Raum eingeräumt und die antiziganistische Stimmung in der Dorfgemeinschaft mit in die Ermittlungen einbezogen.Im Mai 2020, ein Jahr nach dem antiziganistischen Angriff, erinnerten in Dellmensingen rund 150 Menschen an die Tat und nahmen an einem »Spaziergang gegen Fremdenfeindlichkeit« teil. Foto: Indymedia

Das neunseitige Plädoyer von Mehmet Daimagüler ist nachzulesen unter zentralrat.sintiundroma.de/download/12108