Spitze des Eisbergs

geschrieben von Knut Maßmann

12. Dezember 2020

Der Essener Polizei-Skandal

Mitte September wurde bei der Polizei NRW ein Skandal offenbar, der nicht mehr als »Einzelfall« bezeichnet werden kann. Zuerst 29, später 30 Polizistinnen und Polizisten aus dem Polizeipräsidium Essen wurden vom Dienst suspendiert. Anlass war die Verbreitung extrem rechter Propaganda über mehrere Whatsapp-Chatgruppen, in denen sich die Suspendierten miteinander digital vernetzt hatten. Betroffen war eine komplette Dienstgruppe, einschließlich ihres Leiters. Und: Die Chatgruppen wurden nur durch Zufall entdeckt.

In mindestens fünf Chatgruppen, die teilweise seit 2013 bestanden, sollen deutlich über hundert Bilder verschickt worden sein, darunter Hakenkreuz- und Hitlerbilder, Fotomontagen eines Flüchtlings in der Gaskammer eines Konzentrationslagers oder die Erschießung von Menschen mit schwarzer Hautfarbe. Allein im Chat »Alphateam« sollen von Ende Juli 2015 bis Mai 2020 126 strafrechtlich relevante Inhalte verbreitet worden sein. Von den 30 Beschuldigten soll etwa die Hälfte die einschlägigen Inhalte aktiv versendet haben. Die anderen werden verdächtigt, die strafrechtlich relevanten Inhalte nicht gemeldet zu haben. Die meisten Beteiligten arbeiteten zeitweise in derselben Dienstgruppe. Einer der Beamten war zuletzt im Landeskriminalamt tätig, einer im Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten (LAFP) und zwei im Landesamt für zentrale polizeiliche Dienste (LZPD).

Entdeckt wurden die Chatgruppen zufällig, als im Rahmen der Ermittlungen in einem anderenVerfahren das private Handy eines 32-jährigen Beamten beschlagnahmt worden war.

Polizei bei rechter Demo in Essen 2018. Foto: Robert Rutowski

Polizei bei rechter Demo in Essen 2018. Foto: Robert Rutowski

Bekannt sind auch Vorfälle in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern. Der hessische Innenminister wollte ein rechtes Netzwerk in der Polizei nicht mehr ausschließen, nachdem mehrere Chatgruppen entdeckt worden waren. In Baden–Württemberg wurden sieben Polizeischüler*innen suspendiert, in München teilten über 40 aktive und ehemalige Beamt*innen unter anderem antisemitische Inhalte.

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) lehnte von Anfang an eine wissenschaftliche Untersuchung ab, kündigte jedoch die Einsetzung eines »Sonderbeauftragten« an. Zu diesem ernannte er den 64-jährigen Uwe Reichel-Offermann, Diplom-Politologe, zuletzt stellvertretender Leiter des Verfassungsschutzes und Gruppenleiter für die Bereiche Extremismus und Terrorismus. Keine gute Wahl. Denn auch im Verfassungsschutz sind Vorfälle bekannt. So wurde zwei Wochen nach dem Essener Skandal gemeldet, dass drei Mitarbeiter*innen des NRW-Verfassungsschutzes im Zeitraum November 2018/Januar 2019 durch rassistische Äußerungen in Chats aufgefallen sind. Sie sollen islamfeindliche und rassistische Videos geteilt haben. Ein vierter Mitarbeiter wird verdächtigt, über Facebook Kontakte zur »Bruderschaft Deutschland«, einer Neonazi-Bürgerwehr aus dem Düsseldorfer Raum, gehabt zu haben. Eines der Verfahren ist mit einer Disziplinarmaßnahme abgeschlossen worden, die anderen drei Verfahren sind noch offen.

Dass die an den Chatgruppen teilnehmenden Beamt*innen nicht beim Versenden extrem rechter Nachrichten stehen bleiben, zeigte ein weiterer »Einzelfall« aus Essen. Hier wurden die Ermittlung gegen einen 39-jährigen Beamten wiederaufgenommen, der ebenfalls zu den Teilnehmern der Chatgruppe »Alphateam« gehörte. Er soll einen gefesselten Mann mit Migrationshintergrund geschlagen haben. Der beschuldigte Polizist hatte den Vorwurf bestritten und war zunächst von seinen Kollegen gedeckt worden. Eine Polizeianwärterin, die das ihrem Vorgesetzten gemeldet hatte, sei daraufhin gemobbt worden und habe sich versetzen lassen. Ihre Aussage vor Gericht führte dazu, dass die Ermittlungen wegen Strafvereitlung und Körperverletzung im Amt wieder aufgenommen wurden.

Schon früh forderten Politiker*innen und Gewerkschafter*innen, Entstehung und Verbreitung von menschenverachtenden Einstellungen in der Polizei wissenschaftlich zu untersuchen. In der Diskussion wurde häufig gefragt, ob Polizist*innen diese Einstellung mitbringen oder sich während des Dienstes radikalisieren. Ehemalige Polizeischüler*innen gaben auch zu bedenken, dass das Einhalten des Dienstwegs ein Problem sein kann, wenn der Vorgesetzte mit rassistischen Äußerungen auffällt. Daraus erwuchs die Forderung nach Einrichtung einer unabhängigen Ombudsstelle außerhalb der Polizeibehörden.

Fraglich ist, ob Sicherheitsbehörden Rechtsextremismus konsequent bekämpfen können, wenn Mitarbeiter*innen selbst derlei Gedankengut teilen. Der Verdacht liegt nahe, dass sie entsprechende Vergehen verharmlosen.

Die Verbreitung rechtsextremer Inhalte in privaten WhatsApp-Gruppen der Polizei bleibt weiterhin ein Problem, nicht nur in NRW. So wurde im Oktober ein Fall aus Bielefeld bekannt, bei dem ein Kommissar solche Nachrichten in einer Chatgruppe von 50 Polizist*innen geteilt haben soll. In Berlin sollen über drei Jahre hinweg entsprechende Nachrichten in einer WhatsApp-Gruppe unter 25 Beamt*innen geteilt worden seien.