Mit Überzeugungstätern

15. Dezember 2020

Interview mit Thilo Mischke zu einem ProSieben-Spezial über Rechtsextremismus

 antifa: Der Chef von ProSieben, Daniel Rosemann, nennt euren abendfüllenden und werbefrei ausgestrahlte Film die »wichtigste Dokumentation der letzten Jahre auf ProSieben«. Ihr seid Monate lang bei Pegida, Rechtsrockkonzerten, Aufmärschen gewesen, habt alt-bekannte Neonazis mit Bezug zum Rechtsterrorismus interviewt und ihren Nachwuchs getroffen. Das Gesehene und Gesagte lasst ihr unter anderem durch Experten der Amadeu-Antonio-Stiftung einordnen. Wie kam es zu dem Projekt?

Thilo Mischke: Wir beschäftigen uns seit Jahren mit Rechtsextremismus. Leider hatten wir nie die Zeit und vor allem nicht den Senderahmen, um uns dem umfänglicher zu widmen, so lang zu recherchieren, so viel zu drehen und immerhin zwei Stunden zu senden. Nach den rechten Anschlägen der letzten Jahren ist offenbar die Einsicht dazu aufzuklären auch bei den Sendeverantwortlichen gestiegen. Wir wollten eigentlich noch die internationalen Vernetzungen aufzeigen, sind dann aber im Inland über so vieles gestolpert, was zu erzählen ist, dass wir es bei deutschen Rechtsextremisten belassen haben.

 antifa: Ihr trefft ausschließlich Neonazis und diskutiert mit Experten deren Ansichten und Motivationen. Warum lasst ihr nicht die Betroffenen von Rassismus oder Antisemitismus sprechen?

ProSieben Spezial: »Rechts. Deutsch. Radikal.« von und mit Thilo Mischke, der dafür 18 Monate recherchierte. 124 Minuten, ausgestrahlt am 28. September 2020. Die Sendung hatte mit 1,33 Millionen Zuschauenden die höchste Einschaltquote an diesem Abend. Verfügbar unter bit.ly/37C083d

ProSieben Spezial: »Rechts. Deutsch. Radikal.« von und mit Thilo Mischke, der dafür 18 Monate recherchierte. 124 Minuten, ausgestrahlt am 28. September 2020. Die Sendung hatte mit 1,33 Millionen Zuschauenden die höchste Einschaltquote an diesem Abend. Verfügbar unter bit.ly/37C083d

Thilo Mischke: Wir haben auch Betroffene von Neonazigewalt interviewt. Aber die haben es nicht in die Sendung geschafft. In unserem uncovered-Podcast ist dazu einiges zum Nachhören. Ob wir den »Tätern« zu viel Raum geben, um sich zu erklären, haben wir auch lang diskutiert. Allerdings schone ich sie in den Interviews nicht, und sie kommen, meiner Meinung nach, nicht besonders gut weg. Was wir zeigen wollten, ist diese krasse Empathielosigkeit und die Bedrohung, die von ihnen ausgeht. Auf der anderen Seite muss hier auch klargestellt werden, wir haben die Sendung für ein Publikum gemacht, das viel zu wenig über Rechtsextremismus weiß, aber möglicherweise mehr wissen will. Und das mit dieser bestimmten Realität auf eine Weise konfrontiert wird, die drauf schaut. Idealerweise versuchen die Zuschauer, die eigenen nationalistischen, geschichtsvergessenen und rassistischen Ansichten mit den im Film gezeigten abzugleichen und sich selbst zu hinterfragen. Aber das wäre bei so einer Betrachtung der Abgründe zu viel verlangt. Dafür ist dann die Begleitung solcher Sendungen ideal. Das hat nicht nur was mit Vermarktung zu tun, sondern auch mit Einbettung. Alle großen Medienhäuser haben über unseren Film umfänglich berichtet. Ich habe unzählige Interviews gegeben, einige auch mit hoher Reichweite wie zum Beispiel bei Late Night Berlin (ProSieben).

 antifa: Die AfD-Bundestagsfraktion hat ihren Presse-sprecher Christian Lüth, der seit März ohnehin wegen seiner Selbstbezeichnung als »Faschist« freigestellt war, aufgrund seiner Äußerungen in eurem Film fristlos entlassen. Welche Reaktionen gab es noch?

Thilo Mischke: Der Fall Christian Lüth hat der Doku die Tagesaktualität beschert. Er ist auch der Grund, weshalb viele andere aus Zeitgründen nicht zu Wort kommen konnten. Unsere Zusammenarbeit mit der Youtuberin Lisa Licentia musste länger erzählt werden, um dann in das Gespräch mit Lüth zu münden. Dass so einer, der lange für die Friedrich-Naumann-Stiftung gearbeitet hat und als Mitarbeiter der FDP-Bundestagsfraktion zur AfD übergelaufen ist, beim Glas Wein mit Licentia freimütig vom Vergasen und Erschießen von Migrant*innen spricht, ist schon heftig. Das offenbart, wie tiefgreifend das Problem ist: Es gibt nur noch wenige Berührungsängste mit rechtsextremer Ideologie. Das hat die AfD schon stark unter Druck gesetzt. Ansonsten haben wir sehr viele positive Reaktionen bekommen, weil vielen das Ausmaß von rechtsextremen Kulturangeboten, Fußball als Einstieg, Versandhandel, großen Kampfsportevents, Networking und der sehr stringenten Aufbau- und Bildungsarbeit so nicht bewusst war. Jene, die das alles schon wussten, haben eher meine journalistischen Qualitäten angezweifelt wegen einiger Arbeiten, die weit zurück liegen. Die Rechten fanden sich zum Teil gut dargestellt, aber diejenigen, die bei uns zu Wort kamen, mussten sich rechtfertigen. Wir haben auch keine besonderen Peaks bei den Followern ihrer Twitter-Accounts beobachten können.

 antifa: Wie ging es dir persönlich mit dem Film? Dein Großvater wurde 1936 aus der holländischen Emigration in das KZ-Sachsenhausen deportiert. 2017 schreibst du, »Opa war nicht gestern, Opa ist jeden Tag. Opa ist nicht die Geschichte der anderen, sondern meine Geschichte.« Wie konntest du mit den heutigen Befürwortern der Naziideologie ins Gespräch kommen?

Thilo Mischke: Ganz ehrlich, es war extrem erschöpfend. Wir haben lange gebraucht, um Vertrauen zu gewinnen. Ich habe nie verschwiegen, was ich von Nazis halte, habe aber auch nicht versucht, Überzeugungsarbeit bei Überzeugungstätern zu leisten.

Das Interview führte Nils Becker.

Zur Entstehung der Dokumentation, zu den Diskussionen im Produk-tionsteam, zu den Reaktionen auf die Sendung und zu weiteren Hintergründen gibt es mehrere Stunden Podcast zum Nachhören auf dem Kanal »Thilo Mischke Uncovered« (z.B. unter thilo-mischke-uncovered-podcast.podigee.io)