Schuldgefühl als Antrieb

geschrieben von Janka Kluge

30. Januar 2021

Zum 100. Geburtstag von Paul Celan

Paul Celan erblickte am 23. November 1920 unter dem Namen Paul Antschel in der Stadt Czernowitz, der Hauptstadt des Gebiets Bukowina, das Licht der Welt. Die Stadt lag damals am Rande des rumänischen Königreichs. Heute gehört die Stadt zur Ukraine. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts wandelte sich Czernowitz von einem kleinen Städtchen zu einer Stadt mit blühender Kultur. Ursprung der Entwicklung war der Zuzug vieler Juden aus Galizien, die in Bukowina Schutz fanden. Celan besuchte zuerst die deutsche und später die jüdische Grundschule. Das Abitur legte er 1938 am Staatsgymnasium in Czernowitz ab. Für ein Medizinstudium zog er in die französische Stadt Tours, kehrte aber bereits nach einem Jahr zurück nach Rumänien. Das Medizinstudium gab Celan zugunsten der Romanistik auf. Als im November 1940 die Sowjetunion Bukowina eingliederte, konnte er zunächst sein Studium fortsetzen. Die Situation für die jüdische Bevölkerung änderte sich schlagartig, als die Wehrmacht zusammen mit rumänischen Truppen in Bukowina einmarschierten. Die jüdische Bevölkerung wurde in ein Ghetto gesperrt. 1942 wurden Celans Eltern deportiert. Sein Vater musste in einem Steinbruch schuften, bis er in das Zwangsarbeitslager Michailowka in der Nähe von Hajssyn verschleppt wurde. Dort starb er nach wenigen Monaten an Typhus. Seine Mutter ist nach der Deportation erschossen worden.

Er selbst hat sich zum Arbeitsdienst gemeldet und dadurch die faschistische Herrschaft überlebt. Sein Leben lang wird ihn das Gefühl, seine Eltern allein gelassen zu haben, quälen. Psychologen prägen später dafür den Begriff der »Schuld der Überlebenden«. Für Celan wird es der Antrieb seiner literarischen Arbeit sein, aber auch der Grund schwerer Depressionen, unter denen er gelitten hat. Nachdem Czernowitz im August 1944 von sowjetischen Truppen befreit wurde, kehrte Celan in die Stadt zurück. Er nahm sein Studium wieder auf, zog dann aber nach Bukarest. Neben dem Studium arbeitete er als Übersetzer und Lektor.

Paul Celan im Jahr 1945

Paul Celan im Jahr 1945

1947 floh Celan nach Wien, ließ sich dann ein Jahr später in Paris nieder. Dort lebte er bis zu seinem Tod. Sein erster Gedichtband »Der Sand aus den Urnen« erschien 1948. Wegen vieler Schreibfehler ließ Celan die Ausgabe aber wieder einstampfen. Zu den Höhepunkten in seinem Leben gehörte zweifellos, dass er Ingeborg Bachmann kennenlernte. Ihre Liebe und spätere Freundschaft begleiteten ihn über viele Jahre.

Celan hat es der Fürsprache Ingeborg Bachmanns zu verdanken, dass er im Mai 1952 zu einer Lesung der Gruppe 47 nach Niendorf an der Ostsee eingeladen wurde. Die Gruppe war maßgeblich am literarischen Neubeginn der jungen Bundesrepublik beteiligt. Auf den Treffen stellten angehende Autoren ihre Texte vor. Bei diesen Tagungen waren neben den Schriftstellern auch viele bedeutende Literaturkritiker anwesend. Für Celan war die Lesung ein Desaster. Walter Jens erinnerte sich 1976 in einem Gespräch an die Lesung: »Als Celan zum ersten Mal auftrat, da sagte man: ›Das kann doch niemand hören!‹, er las sehr pathetisch. Wir haben darüber gelacht. (…) Die Todesfuge war ja ein Reinfall in der Gruppe! Das war eine völlig andere Welt«.

In der Tat lagen Welten zwischen den meisten Anwesenden und Celan. Er las seine Gedichte damals mit einer eher singenden Stimme. Er war einer der Überlebenden der Shoa, und die meisten anderen waren als Jugendliche oder junge Männer zur Wehrmacht eingezogen worden. Sie hatten zwar jedem Nationalismus abgeschworen und positionierten sich eher links. Der Lesung Celans konnten sie dennoch nichts abgewinnen.

Trotzdem war die Lesung für Celan ein wichtiger Schritt in seiner Karriere als Autor. Der anwesende Hauptlektor der Deutschen Verlags Anstalt (DVA) war von seinen Gedichten überzeugt und brachte noch im selben Jahr den Gedichtband »Mohn und Gedächtnis« heraus. In diesem Buch ist auch die »Todesfuge« (siehe Marginalie) veröffentlicht. Es ist das Gedicht, für das Celan später weltberühmt wurde. Der Satz aus der Todesfuge »Der Tod ist ein Meister aus Deutschland« wurde sogar zum geflügelten Wort für die faschistischen Verbrechen.

In den fünfziger Jahren beschäftigte sich Celan immer wieder mit Friedrich Hölderlin. Im Rahmen dieser Beschäftigung las er auch Werke von Martin Heidegger, dem ehemaligen Rektor der Freiburger Universität, der die Machtübertragung an Hitler begeistert gefeiert hat. Im Juli 1967 kam es zu einem Treffen zwischen den beiden. Nach dem Tod des Freundes Ivan Goll hat die Witwe gegen Celan Plagiatsvorwürfe erhoben. Obwohl die Vorwürfe entkräftet werden konnten, haben sie ihn schwer getroffen. Der genaue Todestag von Paul Celan ist nicht bekannt. Allgemein wird angenommen, dass er am 20. April 1970 in Paris von einer Seine-Brücke sprang. Am 1. Mai 1970 wurde sein Leichnam gefunden.       

Auszug aus der »Todesfuge«:

Schwarze Milch der Frühe wir
trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens
wir trinken sie nachts
wir trinken und trinken
wir schaufeln ein Grab in den Lüften
da liegt man nicht eng
(…)

Er ruft spielt süßer den Tod der Tod
ist ein Meister aus Deutschland
er ruft streicht dunkler die Geigen
dann steigt ihr als Rauch in die Luft
dann habt ihr ein Grab in den Wolken
da liegt man nicht eng
(…)