Lage unzumutbar

geschrieben von Anja Sportelli

2. Februar 2021

Zur Situation von Geflüchteten an den Außengrenzen

Initiativen von Geflüchteten und weitere antirassistische Gruppen berichten regelmäßig von systematischer Missachtung und Verletzung der Menschenrechte in Europa sowie an den europäischen Außengrenzen. Welche Rolle Frontex, die sogenannte Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache, dabei spielt, gerät immer wieder in den Fokus. Gut dokumentierte Aussagen und Videos zeigen eine Beteiligung von Frontex bei illegalen Pushbacks in der Ägäis und im zentralen Mittelmeer. Aber auch dort, wo geflüchtete Menschen in Europa ankommen, sind sie nicht sicher. Das zeigen die Brände auf Lesbos und Samos sowie die steigende Zahl von Coronafällen in den Lagern.

Moria und Kara Tepe auf Lesbos

Nach dem Brand in Moria im September war die Aufmerksamkeit groß und einige verbanden die Hoffnung damit, dass sich die Situation geflüchteter Menschen verbessern könnte. Seebrücke und andere Initiativen machten sich mit europaweiten Demos und Appellen für eine zügige Aufnahme der Menschen und eine Schließung der Hotspots stark. Leider blieb die Bereitschaft europäischer Länder zur Hilfe gering und verpuffte schnell.

1.500 Seiten starke Publikation zu illegalen Pushbacks auf der Balkan-Route mit rund 900 Erfahrungsberichten von Betroffenen. Download auf der Seite des Border Violence Monitoring Network: borderviolence.eu

1.500 Seiten starke Publikation zu illegalen Pushbacks auf der Balkan-Route mit rund 900 Erfahrungsberichten von Betroffenen. Download auf der Seite des Border Violence Monitoring Network: borderviolence.eu

Letztlich wurden weniger als 2.000 Menschen aus Griechenland evakuiert. 13.000 Menschen hätten es allein aus Moria sein müssen, darunter viele unbegleitete Kinder und Jugendliche sowie weitere schutzbedürftige Gruppen. Die meisten geflüchteten Menschen wurden in das neu errichtete Lager Kara Tepe gezwungen, wo die Lage unzumutbar ist. Ende Dezember mussten dort rund 7.500 Menschen ausharren. Es gibt keine Möglichkeit, sich mit warmen Wasser zu waschen. Die Menschen sind gezwungen, Meerwasser zu nutzen.

Dabei ist auch in Griechenland nun Winter. Die Lage des neuen Camps direkt am Meer lässt Schlimmes befürchten. Kalte Winde und Stürme erschweren das Leben der Campbewohner*innen. Jeder Regenguss überflutet das Lager. Nach dem Erdbeben in der Ägäis bestand die Gefahr, dass das Lager von einem Tsunami weggespült wird. Mit Ansteigen der Coronazahlen in Griechenland ist der Lockdown, der für die Camps seit März ununterbrochen gilt, nochmal verschärft worden. De facto dürfen die Menschen das Lager nur noch in Ausnahmesituationen verlassen. Wie soll man sich gegen Corona schützen, wenn selbst die einfachsten Hygieneregeln nicht eingehalten werden können?

Weitere Aussagen und Videos zeigen maskierte Männer auf Booten aus Griechenland, die die Boote mit Geflüchteten aus der Türkei attackieren. Motoren werden zerstört, die Boote manövrierunfähig zurückgelassen. Hunderte Menschen, die bereits auf dem griechischen Festland waren, wurden in Nacht-und Nebel-Aktionen zurück über die griechisch-türkische Grenze gebracht und dort auf dem Wasser ausgesetzt.

Tatort: Zentrales Mittelmeer

Allein im November 2020 ertranken 92 Menschen im zentralen Mittelmeer beim Versuch, aus den libyschen Folterlagern zu fliehen. Das Seenotrettungsschiff »Open Arms« konnte am 11. November in einer dramatischen Aktion 100 Menschen retten. Ihr Boot war gekentert. Fünf Menschen kamen ums Leben. Ein Baby starb an Bord. Das Team der Ärzt*innen konnte dem sechs Monate alten Jungen nicht mehr helfen. Die Open Arms hatte zu dem Zeitpunkt als einziges Rettungsschiff im zentralen Mittelmeer drei Noteinsätze in 24 Stunden und nun über 260 Menschen an Bord. Einen Tag später ertranken weitere 74 Menschen vor der libyschen Küste.

Auch das Festhalten von Rettungsschiffen ist eine Taktik EU-Europas, Menschen nicht aufzunehmen. Ende Dezember wurde durch Recherchen von FragDenStaat bekannt, dass Innenminister Horst Seehofer (CSU) im Mai persönlich dazu beitrug, dass das Schiff »Alan Kurdi« durch italienische Behörden festgesetzt wurde. Eine weitere Methode ist das Ignorieren der Notrufe. Zunehmend werden Hilferufe, die von der ehrenamtlichen Crew von Alarmphone an die Leitstellen gemeldet werden, nicht bearbeitet und dadurch keine Rettung veranlasst. Zudem werden Rettungseinsätze verzögert, bis die libysche Küstenwache die Menschen zurück ins Bürgerkriegsland bringt. Alarmphone sowie das Aufklärungsflugzeug von Sea-Watch, die »Sea-bird« und zuvor die »Moonbird«, haben etliche Fälle dokumentiert, die sich in internationalen Gewässern ereigneten.

Zur Lage auf dem Balkan beschreibt das Border Violence Monitoring Network allein an der bosnisch-kroatischen Grenze 2020 Pushbacks von hunderten geflüchteten Menschen. Dieses Zurückdrängen erfolgt brutal und gewaltsam, wobei es anscheinend systematisch zu Folterungen kommt. Es handelt sich um einen fortlaufenden Verstoß gegen das Völkerrecht. Auch dies wird durch Gelder der EU mitfinanziert und gebilligt.

Die Autorin ist aktiv in der Bewegung Seebrücke. Diese fordert seit langem eine Wiederaufnahme von staatlicher Seenotrettung sowie die Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit in der EU im Umgang mit geflüchteten Menschen. Seebrücke ist eine breit aufgestellte, zivilgesellschaftliche Bewegung, die 2018 gegründet wurde als Reaktion auf die zunehmende Kriminalisierung der Seenotrettung im Mittelmeer. Die Kampagne »Sicherer Hafen« hat in Deutschland bewirkt, dass sich über 170 Städte, Kommunen und Länder zu sicheren Häfen erklärt haben. Im Jahr 2020, besonders auch während des ersten Lockdowns, hat die Seebrücke im Rahmen der Kampagne #LeaveNoOneBehind zahlreiche Aktionen durchgeführt, um auf die Situation der Menschen in den griechischen Hotspots aufmerksam zu machen.

Weitere Infos: seebruecke.org