Befriedung und Spaltung
8. Februar 2021
Zum AfD-Parteitag in Kalkar
Zwei Jahre lang schob die AfD den zur Richtungsentscheidung stilisierten Sozialparteitag vor sich her. Zunächst wollte man aus wahltaktischen Überlegungen keine Entscheidung in die eine oder andere Richtung treffen, dann kam Corona dazwischen. Im Frühjahr 2020 hatte der Parteivorstand einen Leitantrag vorgelegt, der als klassischer Kompromiss zu verstehen war. Ende November gab es dann den Parteitag. In der Rentenpolitik – über Jahre Hauptstreitpunkt zwischen völkischer Rechter und Neoliberalen – will man an der umlagefinanzierten gesetzlichen Rente festhalten, das Rentenniveau müsse aber auf Grundlage der Lebenserwartung und des Beitragsaufkommens »kontinuierlich angepasst werden«. Das soll bedeuten: kontinuierlich absenken. Eine stärkere Privatisierung der Altersvorsorge findet sich als unverbindliche Zukunftsoption im Beschluss. Was einerseits eine klare Niederlage für den auf Privatisierung drängenden Parteichef Meuthen ist, stellt sich aber keineswegs als Sieg der national-sozialen Rechten dar.
Familie und Antifeminismus als Klammern
Die Demographie und vor allem die Phantasie, dass die »Deutschen aussterben« könnten, steht im -Zentrum des Beschlusses in Kalkar. Davon leiten sich die Vorschläge zur Rente und -Gesundheitspolitik ab. Familie und Antifeminismus sind dabei -»Klammerthemen«, über die die divergierenden Strömungen verbunden werden. Die Steigerung der Geburtenrate von »deutschen« Kindern ist das ausgesprochene Ziel der AfD. Hierfür müsse der Staat eine aktive Bevölkerungs–politik betreiben.
In der Gesundheitspolitik will die AfD am »dualen System« aus gesetzlicher und privater Krankenversicherung festhalten. Dabei soll es eine stärkere Orientierung zur privaten geben, was die ungleiche Versorgung der Versicherten verschärfen würde.
Mit Forderungen wie der nach 20.000 Euro Rückzahlungen, Freistellung von Rentenbeiträgen für jedes Kind oder Einbeziehung von Selbständigen, Staatsbediensteten und Politiker_innen in die gesetzliche Rentenversicherung, hat die AfD Punkte verabschiedet, mit denen sie sich in der Öffentlichkeit als soziale Partei darstellen will. Auf der anderen Seite finden sich im Beschluss Formulierungen, die den Neoliberalen in der Partei aus dem Herzen sprechen dürften. So heißt es, mit Blick auf die Sozialversicherung und die -Rentenversicherung, sie seien »dringend reformbedürftig (…), erhebliche Einschnitte stehen uns bevor.«
Vertiefung der Spaltung
Überlagert wurde die inhaltliche Debatte jedoch von der Rede des Ko-Vorsitzenden Jörg Meuthen. Sie war eine Generalabrechnung mit der völkischen Rechten und eine offene Kampfansage zur künftige Ausrichtung der Partei. Nachdem Meuthen im Frühjahr mit dem Ausschluss von Andreas Kalbitz den organisatorischen Kopf der völkischen Rechten ins Visier genommen hatte, zielte sein Vorstoß in Kalkar vor allem auf Alexander Gauland, den Schutzpatron der extremen Rechten in der Partei. Gaulands Behauptung einer »Corona-Diktatur« wurde von Meuthen zurückgewiesen, dessen Bismarck-Verehrung als rückwärtsgewandte und politikunfähige Sentimentalität lächerlich gemacht. Die Verbindung zu den Verschwörungsmystikern um die »Querdenken«-Bewegung und die Aktionen aus den Reihen der Bundestagsfraktion rund um die Verabschiedung des Infektionsschutzgesetzes kritisierte Meuthen ebenfalls scharf. Ganz offen forderte er die Radikalen in der Partei auf, diese zu verlassen: »Wer weiter Revolution oder Politikkasper spielen will, sollte das woanders tun, aber nicht in der AfD.«
Meuthen, der sich über Jahre mit der völkischen Rechten in der Partei gemein gemacht hat, geht es mit diesem Vorstoß vor allem um die strategische Ausrichtung der AfD. Anders als Höcke, Gauland und Kalbitz will Meuthen keine völkische Bewegungspartei, die vor allem von außen Druck auf das politische System macht und die Systemfrage stellt. Er will eine reaktionär-nationalistische Parlamentspartei, die Druck auf die Union ausübt, um diese zu einer konservativen Wende zu drängen. Spätestens 2024 will Meuthen die AfD in eine konservative Regierungskonstellation führen, was aus seiner Sicht mit einer völkischen Bewegungspartei à la Höcke auf Bundesebene unmöglich wäre. Einer der Meuthen-Unterstützer, der NRW-Landesvorsitzende Rüdiger Lucassen, preist sich jetzt schon als möglicher Nachfolger von Gauland und Weidel an der Fraktionsspitze an. Lucassen steht als langjähriger Berufssoldat in der AfD unter anderem für eine Militarisierung der Politik nach innen und außen.
Abzuwarten bleibt, wie die AfD mit diesem offenen Richtungsstreit das Wahljahr 2021 bestehen wird. Die überraschenden Etappensiege des Meuthen-Lagers werden sicherlich nicht ohne Antwort bleiben.
Dokumentation der Gegenproteste von Aufstehen gegen Rassismus: