50 Jahre »Bund der Antifaschisten«

geschrieben von Ulrich Schneider

17. Mai 2021

1971 öffnete sich die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes für nachgeborene Generationen

Die VVN-BdA hat im Laufe ihrer fast 75jährigen Geschichte nicht nur Angriffe und Anfeindungen überstehen müssen, sondern auch mehrere einschneidende Kulturbrüche erlebt. Dass sie diese nicht nur unbeschadet, sondern vielmehr gestärkt bewältigen konnte, zeigt zum einen die große Lebendigkeit der antifaschistischen Idee. Zum anderen wird hierin aber auch die Bereitschaft der Organisation sichtbar, die historischen Erfahrungen des antifaschistischen Kampfes und die damit verbundenen Anforderungen an Bündnisbreite und politische Offenheit nicht nur zu erklären, sondern mit Leben zu füllen.

Bei ihrer Gründung Ende der 1940er Jahre verstanden sich die Vereinigungen der Verfolgten des Naziregimes (VVN) als politische und soziale Interessenvertretung der Frauen und Männer aus dem antifaschistischen Widerstand und der Opfer faschistischer Verfolgung. In diesem Kontext waren sie Teil der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen im Kalten Krieg, die in der damaligen Bundesrepublik von Restauration, Remilitarisierung und Renazifizierung geprägt waren. Die bekanntesten Fälle von Altnazis in politischen Machtpositionen waren sicherlich Adenauers Kanzleramtsminister Hans Globke, Kommentator der Nürnberger Rassengesetze, und »Vertriebenenminister« Theodor Oberländer, der als »Ostexperte« des Oberkommandos der Wehrmacht mit ukrainischen Kollaborateuren im Bataillon »Nachtigall« an Kriegsverbrechen in Lwiw (Lemberg) beteiligt gewesen war. Gleichzeitig ging der Staatsapparat mit Verboten und anderen Repressalien gegen die Organisation und diejenigen, die sich zur VVN bekannten, vor. Entlassungen und Berufsverbote trafen in den 50er Jahren zahlreiche ehemalige Verfolgte, manche verließen unter diesem Druck die Organisation und schufen – mit Unterstützung des bundesdeutschen Innenministeriums – Konkurrenzorganisationen zur VVN. In der öffentlichen Auseinandersetzung wurde die VVN als »kommunistische Tarnorganisation« denunziert.

Auch in der DDR geriet die VVN mit ihrer bündnispolitischen Offenheit in Widerspruch zur damaligen Staatsräson, die ebenfalls vom Kalten Krieg geprägt war. Im Februar 1953 wurde die VVN in der DDR, »da sie ihre Aufgabe erfüllt habe« (so die offizielle Begründung), aufgelöst und durch ein SED-nahes »Komitee antifaschistischer Widerstandskämpfer« ersetzt.

Ein antifaschistischer Neuanfang

Schon in diesen Jahren machten sich die Überlebenden Gedanken, wie sie die jungen Generationen, die in der NS-Zeit im besonderen Maße der faschistischen Propaganda ausgesetzt waren, für einen antifaschistischen Neuanfang gewinnen könnten.

Angesichts der staatlichen Angriffe in der BRD auf die Friedenskräfte, die gegen die geplante Remilitarisierung Widerstand leisteten, war die VVN bereit, nicht nur Kinder ehemaliger Verfolgter, sondern auch Mitglieder der »Freien Deutschen Jugend« (FDJ) als politisch verfolgte Friedenskämpfer als Mitglieder zu akzeptieren. Gleichzeitig wurden mit Feriencamps der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) Anfang der 60er Jahre und der Gründung einer Geschwister-Scholl-Jugend in Hamburg lebendige Kontakte zur nachgeborenen Generation hergestellt.

Auch in der DDR sollten die Nachgeborenen mit antifaschistischen Inhalten erreicht werden. Zentrale Akteure in diesem Zusammenhang waren nicht die »Komitees der antifaschistischen Widerstandskämpfer«, sondern die FDJ und die Ende der 50er Jahre errichteten Nationalen Mahn- und Gedenkstätten an den Orten ehemaliger faschistischer Konzentrationslager in Buchenwald, Sachsenhausen und Ravensbrück. So gehörten zu den Programmangeboten der FDJ Begegnungen mit Beteiligten aus dem Widerstand. Im Rahmen des Schulunterrichts fanden verpflichtende Besuche in den Gedenkstätten statt, und bei wichtigen Ereignissen in der Entwicklung junger Menschen bildeten Gedenkstätten den Rahmen für ritualisierte Massenveranstaltungen.

Antifaschismus wurde als Teil der Erziehung angesehen, ein Verständnis, das auch in anderen europäischen Ländern wie Frankreich und Polen den Umgang mit dem Thema prägte. Gleichzeitig grenzte sich die DDR mit diesem antifaschistischen Selbstverständnis in aller Deutlichkeit von der BRD ab.

Herausfordernde Aktionen und Fragen

Eine neue Dynamik erhielt die Frage der Kontakte zu den jungen Generationen in der BRD in den 60er Jahren durch zwei Entwicklungen. Das eine war 1961 das Scheitern des Verbotsprozesses gegen die VVN, wo die VVN nicht nur internationale Solidarität der FIR-Verbände erfuhr, sondern sich auch zahlreiche bundesdeutsche Jugendorganisationen engagierten und solidarisierten. Der zweite Punkt war die sich entwickelnde Studentenbewegung, die sich schon vor den großen 68er Protesten mit den faschistischen Traditionen unter den akademischen Lehrern und mit den »braunen Universitäten« auseinandersetzte. Spektakulär war die Aktion in Hamburg »Unter den Talaren der Muff von 1000 Jahren«, die sich gegen die nazistisch geprägte Professorenschaft richtete. Junge Leute waren nicht mehr bereit, das gesellschaftliche Beschweigen der NS-Vergangenheit hinzunehmen. Man stellte Fragen – und die ehemaligen Verfolgten des Naziregimes konnten Antworten geben, die sich nicht nur auf die Geschichte bezogen, sondern auch vor Gefahren der Formierung der Gesellschaft und den Konsequenzen der geplanten Notstandsgesetze warnten. Jugendliche und VVN-Mitglieder begegneten sich bei den vielfältigen Demonstrationen gegen den Krieg in Vietnam, gegen den nicht nur die Studentenbewegung mit spektakulären Aktionen protestierte.

Es waren sicherlich keine einfachen Begegnungen. Die jungen Menschen hatten nicht nur Fragen an die Geschichte, sondern auch Kritik an den autoritären Umgangsformen in der Gesellschaft, die sie mit unkonventionellen und für die Überlebenden gewöhnungsbedürftigen Aktionsformen beantworteten. Der ehemalige Münchner DGB-Funktionär Ludwig Linsert erklärte, »die Jugend beginne mit Recht die Frage zu stellen, wie es zur Katastrophe in Deutschland gekommen sei und was die Widerstandskämpfer getan hätten, um sie zu verhindern oder wenigstens abzukürzen«. Dabei sah er auch die Herausforderungen im Dialog mit den jungen Generationen:

»Mit kritischem Bewusstsein analysiert sie unsere bundesdeutsche Wirklichkeit und kommt dabei erstaunlich sicher auf die nicht gelösten Probleme der Gegenwart. Die Jugend spricht eine andere Sprache. Jedes Pathos, in dem wir so geübt sind, ist ihr zuwider. Sie ist nüchtern, rational, realistisch. (…) Und natürlich, wie in allen Zeiten im Dialog zwischen jung und alt, ist die Kritik der Jugend zu ätzend, oft sogar beleidigend. Aber ihr Denkansatz ist richtig und führt zu den Widersprüchen in unserer Gesellschaft. Und was für uns Antifaschisten von tröstender Hoffnung ist: Sie geht den Ursprüngen des Faschismus nach und stellt sich ihm, wo er wieder in Erscheinung tritt. Der Dialog der Widerstandskämpfer mit der Jugend wird deshalb zu einer dringenden Angelegenheit.«

Die Frauen und Männer aus Widerstand und Verfolgung erlebten, mit welcher Intensität und Konsequenz sich viele junge Menschen gegen die aufkommende NPD und für die Erweiterung demokratischer Rechte einsetzten. Junge Leute nahmen die Ankündigungen der Brandt/Scheel-Regierung ernst: »Mehr Demokratie (zu) wagen!« und mit der neuen Ostpolitik zum Abbau der Ost-West-Konfrontation und einer realen Entspannungspolitik beizutragen. Hier waren Antifaschisten tätig, die nicht aus eigenem Erleben oder familiärer Tradition, sondern aus politischer Überzeugung handelten.

Gegen das »Rechtskartell«

Dieser politisierten Jugend musste man nicht die Gefahr des Auftretens von Alt- und Neonazis erklären. Sie erlebte die Aufmärsche der extrem rechten Kräfte, der Alt- und Neonazis, der sogenannten Vertriebenenverbände aus den ehemaligen Ostgebieten, der reaktionärsten Teile in der CDU/CSU bis hinein in die FDP – vielfach verbunden in der »Aktion Widerstand« gegen die Ostverträge. Alt- und neofaschistische Publizistik wie die Deutsche National- und Soldatenzeitung oder der Schütz- und der Grabert-Verlag, in denen geschichtsre­visionistische Selbstdarstellungen alter Wehrmachts- und SS-Führer für Ewiggestrige und junge Neonazis bereitgestellt wurden, lieferten die ideologische Begleitmusik. Und nicht zu vergessen die Verbände der ehemaligen Wehrmacht und der »Hilfsgemeinschaft ehemaliger Angehöriger der Waffen-SS« (HIAG), die auf ihren regelmäßigen Tra­ditions­treffen Krieg­s­verbrecher rehabilitierten und ihre eigenen Verbrechen verharmlosten. Dieses Konglomerat extrem rechter Parteien, Verbände und publizistischer Netzwerke, die untereinander durch persönliche bzw. biographische Kontakte und gemeinsame politische Überzeugungen verbunden waren, nannten Antifaschisten damals »Rechtskartell«. So demonstrierte die VVN am 9. Mai 1970 in Düsseldorf »Gegen Thadden, Springer, Strauß – gegen jeden neuen Faschismus!«

Lange Debatte zur Öffnung

In dieser Zeit war es auch bei jungen Leuten verbreitet, sich politisch zu organisieren. Hier sah die VVN eine Chance, das eigene Anliegen den nachfolgenden Generationen weiterzugeben und junge Menschen in die Reihen der VVN aufzunehmen. Dazu mussten aber in langwierigen innerverbandlichen Debatten Vorbehalte gegen die Öffnung der VVN für nachgeborene Generationen ausgeräumt werden. Langjährige VVN-Mitglieder, die die Organisation unter den Bedingungen des Kalten Krieges gegen alle ideo­logischen und politischen Angriffe verteidigt hatten, die in der Zeit des drohenden Organisationsverbotes für die VVN gekämpft hatten, fragten, ob die jungen Leute, die mit gänzlich anderen Lebensvorstellungen und teils akademischer Ausbildung kamen, überhaupt »geeignet« für die Organisationsarbeit seien. Und es war tatsächlich ein längerfristiger gemeinsamer Lernprozess, solche Vorbehalte aufzubrechen – zugunsten einer starken gemeinsamen antifaschistischen Organisation. Nach dieser intensiven innerverbandlichen Vorbereitung war es nicht mehr überraschend, dass der Öffnung der Vereinigung für nachgeborene Generationen ohne Widerspruch zugestimmt wurde.

Der Oberhausener Beschluss von 1971 besagte: »Statt VVN wird es in Zukunft VVN – Bund der Antifaschisten heißen. Diese Änderung der Visitenkarte beendet eine Etappe der Diskussionen, die schon seit Jahren in der Mitgliedschaft geführt wurden. Die VVN – einst als einheitlicher Verband aller Widerstandskämpfer gegen Faschismus und Krieg und der Opfer der Hitler-Diktatur gegründet – hatte sich längst mehr und mehr den politischen Aufgaben der Gegenwart zugewandt. (…) Die hierdurch entstandene Gemeinschaft mit vielen Tausenden Demokraten und Antifaschisten, die keine eigenen Erfahrungen mit dem Terror und der Unmenschlichkeit der 30er Jahre und 40er Jahre hatten, schuf einen neuen Stellenwert der VVN. Immer mehr wurde sie zum Initiator von Maßnahmen, die zur Erhaltung der Demokratie und Freiheit gemeinsam geplant und durchgeführt wurden. Viele dieser neu gewonnenen Freunde stellten die Frage nach einer Mitgliedschaft in unserer Organisation, die den Kampf gegen den Faschismus auf ihre Fahne geschrieben hat. (…) Für die VVN wurde deshalb immer dringlicher, auch im Erscheinungsbild und im Namen der Öffentlichkeit deutlich zu machen, dass in ihren Reihen Platz für alle ist, die bereit sind, aktiven Anteil an der Verteidigung des Humanismus und der Demokratie gegen Neonazismus und Rechtskartell zu nehmen. Damit soll nicht gesagt werden, dass die VVN – Bund der Antifaschisten sich anmaße, die Sammlung aller Gegner des Neonazismus zu sein. Eine solche Front wird nur wirksam werden, wenn neben unseren Vereinigungen die Gewerkschaften, Jugend- und Studentenverbände und bekannte Einzelpersönlichkeiten gemeinsam tätig werden. Aber für alle diejenigen, die denken, in den Reihen der VVN am besten und wirksamsten die alten und neuen Feinde und Gefahren bekämpfen zu können, ist nach der Namensänderung jede Möglichkeit einer aktiven Betätigung gegeben.«

Gemeinsames Handeln

Die Öffnung der VVN zum Bund der Antifaschisten war verbunden mit verschiedenen Initiativen mit Ausrichtung auf Jugendorganisationen und der sichtbaren Teilnahme als VVN an Protesten und anderen Veranstaltungen. Bereits auf dem Oberhausener Bundeskongress vom 20.–22. Mai 1971 hatte die VVN mit dem Arbeitskreis Junger Antifaschisten (AJA) ein Jugendforum unter der provokativen Überschrift »Ist Strauß ein Faschist?« organisiert. Die Bilder zeigen einen gut gefüllten Saal mit überwiegend jungen Zuhörern. Es diskutierten dort Sprecher von Jugendverbänden, der Schriftsteller Max von der Grün, Vertreter der VVN und von Verbänden der FIR.

Aber nicht nur in der politischen Aufklärung war die VVN präsent. Als Anfang der 70er Jahre der bundesdeutsche Staatsapparat mit dem sogenannten Radikalenerlass das zunehmende Engagement junger Menschen für linke Positionen mit repressiven Mitteln zu bremsen versuchte, gerieten auch Antifaschisten in das Fadenkreuz der Angriffe. Gegen diese Einschränkung demokratischer Rechte entwickelte sich eine breite Bewegung gegen die Berufsverbote (»Freiheit im Beruf, Demokratie im Betrieb – Weg mit den Berufsverboten!«), an der die VVN von Anfang an beteiligt war. Verfolgte des Naziregimes arbeiteten mit in den regionalen Komitees gegen Berufsverbote. Sie erinnerten – oftmals aus eigener leidvoller Erfahrung – nicht nur an die unheilvolle Tradition des faschistischen »Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« vom April 1933, sondern skandalisierten, dass durch diese Berufsverbote Kinder von Widerstandskämpfer:innen und Verfolgten des Naziregimes, wie beispielsweise Silvia Gingold oder Anne Kahn, bereits in der dritten Generation politische Verfolgung erfahren mussten. Bei vielen Protestaktionen, die nicht nur in den Universitätsstädten stattfanden, war die VVN – Bund der Antifaschisten nun mit ihren Fahnen und Transparenten präsent.

Internationaler Antifaschismus

Die Aktualität von Faschismus war in dieser Phase auch für junge Leute sichtbar. In Griechenland regierte ein Obristenregime mit faschistischen Methoden, in Spanien war mit Franco seit mehr als 30 Jahren ein faschistischer Führer an der Macht, und in Portugal herrschte das Salazar-Regime. Faschismus war damit für junge Menschen nicht nur ein Thema der Vergangenheit. Eine besondere Dynamik bekam diese Erkenntnis durch den von der CIA koordinierten Militärputsch in Chile gegen den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende im September 1973. Hier wurde die Frage von Faschismus und Widerstand für die nachgeborenen Generationen ganz aktuell. Angesichts der Sympathiebekundungen von Franz Josef Strauß (CSU) für das Pinochet-Regime stellte sich konkret die Frage »Ist Chile bei uns möglich?« – so der Titel eines antifaschistischen Bildungsheftes. Die VVN-BdA war anerkannter Teil der breiten Chile-Solidaritätsbewegung in der BRD mit der Unterstützung für chilenische Flüchtlinge und ihren großartigen Konzerten der Gruppen Inti Illimani und Quilapayún, bei denen hunderte junge Menschen Antifaschismus und Solidarität ganz sinnlich erlebten.

Sichtbarer Höhepunkt der Arbeit mit den jungen Generationen war die Großdemonstration zum 8. Mai 1975 als »Tag der Befreiung« in Frankfurt am Main. Schon früher hatte die VVN zum 8. Mai Gedenkveranstaltungen organisiert, war jedoch zumeist im »kleinen Kreis« geblieben. Zum 30. Jahrestag mobilisierte die VVN-BdA ein breites Bündnis politischer und gewerkschaftlicher (Jugend-)Organisationen, ein Ausdruck der Langzeitwirkung der Netzwerkarbeit junger Antifaschisten. Mit dieser Aktion wurde die politische Botschaft von 1945 »Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!« in die Gegenwart transportiert und von 40.000 zumeist jungen Menschen vertreten. Es war ein emotionaler Höhepunkt, als der Vertreter der portugiesischen Antifaschisten vom Sturz des Salazar-Regimes durch die Nelkenrevolution am 25. April 1975 in Lissabon berichtete. Hier erlebten alle Teilnehmenden, dass der »Tag der Befreiung« und der Antifaschismus nun wirklich keine Themen der Vergangenheit waren. Im Ergebnis dieser eindrucksvollen Veranstaltung konnte die VVN-BdA mehrere hundert junge Menschen neu in die Organisation aufnehmen.

1989/90: Ein weiterer Bruch und Neubeginn

Wie schaffen wir heute den Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten? Diese Frage stellte sich mit den Umbrüchen der Jahre 1989/90 in der alten BRD und den neuen Bundesländern, wo die mit dem Staat DDR verbundenen Organisationsstrukturen verschwunden waren. In der BRD hatte dieser Umbruch den Wegfall der hauptamtlichen Struktur der VVN-BdA zur Folge. Jedoch gelang es, die Organisation auf ehrenamtlicher Grundlage wieder aufzubauen. Dabei erwiesen sich die jüngeren Mitglieder als unverzichtbar. Für die Frauen und Männer aus Widerstand und Verfolgung in den neuen Bundesländern ergaben sich mehrere Kulturbrüche gleichzeitig. Sie mussten sich ohne staatliche Protektion im Interessenverband ehemaliger Teilnehmer am antifaschistischen Widerstand, Verfolgter des Naziregimes und Hinterbliebener (IVVdN) komplett neu organisieren. Dabei ging es auch um die eigene Existenz durch die Sicherung der Verfolgtenrenten und anderer erworbener Ansprüche. In ideologischer Hinsicht wurde ihre Lebensleistung durch die Denunziation des Antifaschismus als »staatlich verordnet« und Versuche der Abwicklung von Gedenkstätten infrage gestellt. Gleichzeitig wurden sie mit dem Problem des Neofaschismus in großem Umfang konfrontiert, ohne dass sie auf Erfahrungen aus ihrer politischen Arbeit sowie Netzwerke junger Antifaschisten zurückgreifen konnten. Diese entwickelten sich erst allmählich mit dem neu gegründeten Bund der Antifaschisten.

Das Zusammengehen beider Strukturen wurde zu einer tatsächlichen Herausforderung, waren doch die biographischen und altersmäßigen Unterschiede zwischen den Generationen noch deutlich größer als in den 70er Jahren in der BRD. Aber auch hier wirkte die gemeinsame antifaschistische Überzeugung als einigendes Band.

Als im Oktober 2002 durch die Vereinigung der ostdeutschen antifaschistischen Verbände mit der westdeutschen VVN-BdA eine gesamtdeutsche Organisation geschaffen wurde, war auch die Einbindung aller Generationen in die gemeinsame Arbeit vollzogen.

Ständige Erneuerung

Mit Blick zurück auf die vergangenen Jahrzehnte klingt manches von dem damals Gesagten aktueller denn je. Es gibt Unterschiede, aber viele Probleme und Herausforderungen sind ähnlich geblieben. So muss auch heute darum gerungen werden, dass innerhalb der Organisation Raum für unterschiedliche politische und weltanschauliche Überzeugungen bleibt. Das betrifft einerseits die Frage, wie und in welcher Radikalität den extremen Rechten und anderen Gegnern der Demokratie entgegenzutreten ist. Andererseits aber auch die Verständigung darüber, was jedes Mitglied unter einer friedlichen, solidarischen und sozial gerechten Gesellschaft versteht, für die Antifaschistinnen und Antifaschisten als Zukunftsentwurf eintreten. Damals wie heute hilft dabei ein Blick auf das politische Vermächtnis der überlebenden Frauen und Männer aus den Haftstätten, aus Verfolgung und Widerstand. Es bleibt eine politische Verpflichtung für heute.

Und an diesem Punkt steht – wie vor 50 Jahren – unsere gemeinsame Aufgabe, das Wissen über die Geschichte des antifaschistischen Widerstandes weiterzugeben und das Andenken der Frauen und Männer, die ihre Freiheit, Gesundheit und oftmals auch ihr Leben für die antifaschistische Sache riskiert haben, zu bewahren. Nicht als nostalgischer Rückblick, sondern als gesellschaftliche Verpflichtung für heute. Unter diesen Bedingungen bleibt dennoch eine Voraussetzung für die Gewinnung und Integration neuer Mitglieder »ein interessant gestaltetes Organisationsleben und die Heranziehung neuer Menschen für Leitungsfunktionen«, wie es schon vor 50 Jahren formuliert wurde.

Grußwort der FIR

zum Oberhausener Kongress: »Mit großem Interesse ist es für uns alle, welche Schritte sie tun und welche Entscheidungen Sie treffen werden, um die Verbindungen zwischen den ehemaligen Widerstandskämpfern und der Jugend herzustellen bzw. zu intensivieren und festigen. Wir wären sehr froh, wenn Ihre Erfahrungen und die Entscheidungen, die Sie hier treffen, beispielgebend für die anderen in der FIR vereinigten nationalen Verbände sein werden« (Der Widerstandskämpfer, Nr. 14, April–Juni 1971, S. 25)

Zum Weiterlesen: Die neue Broschüre von Ulrich Schneider: »50 Jahre Oberhausener Kongress der VVN. Öffnung der VVN für junge Generationen«. DIN A5, 16 Seiten, April 2021. Zu bestellen im VVN-BdA-Webshop shop.vvn-bda.de (Direktlink: kurzelinks.de/oeffnung-vvn)