Bereit zur Eskalation

geschrieben von Axel Holz

17. Mai 2021

Wie die Akteure der extremen Rechten punktuell zusammenarbeiten

›Einzeltäter‹ ist seit Jahrzehnten das regelmäßig wiederkehrende Stichwort in der juristischen und politischen Debatte zu rassistisch und neonazistisch initiierten Gewalttaten. Dem stellt Wilhelm Heitmeyer mit seinen Mitautoren die Analyse rechter Bedrohungsallianzen entgegen.

Zusammen mit Peter Sitzer und Manuela Freiheit dokumentiert Heitmeyer am Beispiel der Ausschreitungen vom August 2018 in Chemnitz, wie sich innerhalb eines Kontinuums Allianzen im extremen rechten Milieu herausbilden. Bereits 2012 hatte er dazu sein Modell eines konzentrischen Eskalationskontiniuums entwickelt. Demnach stehen in einem Wirkungszusammenhang ganz außen menschenfeindliche Einstellungen. Im Zentrum des Eskalationsmodells stehen terroristische Zellen. Dazwischen finden sich organisierte Akteure, Vordenker, systemfeindliche Milieus und Unterstützernetzwerke. Von außen nach innen nimmt die Gewaltbereitschaft zu, und die jeweils äußere Schicht liefert ihrer inneren Nachbarin Legitimation. Mit dem Buch »Rechte Bedrohungsallianzen« schließt Heitmeyer an seinen Band »Autoritäre Versuchungen« aus dem Jahre 2018 an und an die Langzeitstudie »Deutsche Zustände«, die er von 2002 bis 2011 durchgeführt hatte.

Diskriminierende Muster werden salonfähig

Heitmeyer legt mit einer Unmenge Material Belege dafür vor, wie die Zustimmung zu rechten politischen Thesen in den letzten Jahrzehnten gewachsen und der politische Diskurs damit tatsächlich nach rechts verschoben worden ist. Im Mittelpunkt stehen dabei Überzeugungen vom »Untergang Deutschlands« durch angebliche Überfremdung, wie sie vorher eher nur in der Naziszene zu finden waren. Die Rede ist von Muslimen, die die »kulturelle Identität« vermeintlich zerstörten und von geheimen Mächten, die angeblich einen »großen Austausch« der Bevölkerung herbeiführen wollten. Das Buch gibt einen guten Überblick, um über die Vernetzung rechter Gesinnungsgenossen aufzuklären. Dabei spielt wachsende gesellschaftliche Verunsicherung, die durch die Corona-Krise noch verstärkt wurde, für die Rechtsentwicklung ebenso eine Rolle wie die Durchlässigkeit der Grenzen zwischen den einzelnen rechten Phänomenen. Die sich gegenseitig unterstützenden rechten Allianzen bleiben von der Öffentlichkeit noch weitgehend unbemerkt, agieren abgeschirmt und werden häufig übersehen. Die Autoren beschreiben sehr genau, wie Intellektuelle, Politiker und Parteien, aber auch rechte Gruppierungen wie Pegida und rechte Terrorgruppen in einem sich verstärkenden Wirkungszusammenhang die Demokratie bedrohen.

Beispiel Chemnitz

Wilhelm Heitmeyer, Manuela Freiheit und Peter Sitzer: Rechte Bedrohungsallianzen – Signaturen der Bedrohung II. edition suhrkamp 2748, Taschenbuch, 2020, 325 Seiten, 18 Euro

Wilhelm Heitmeyer, Manuela Freiheit und Peter Sitzer: Rechte Bedrohungsallianzen – Signaturen der Bedrohung II. edition suhrkamp 2748, Taschenbuch, 2020, 325 Seiten, 18 Euro

Heitmeyer beschreibt Chemnitz als eine Stadt, die mehrheitlich proletarisch und kleinbürgerlich geprägt ist. Von den Einwohnerinnen und Einwohnern schätzen nach Umfragen 81 Prozent ihre persönliche wirtschaftliche Situation als gut bis sehr gut ein. Dennoch rotteten sich am 26. August 2018 nach der Tötung eines Deutschen auf dem Chemnitzer Stadtfest in der Nacht zuvor 800 Neonazis zusammen, und 100 Vermummte verfolgten Migranten durch die ganze Stadt. Die Leugnung dieser Jagd durch Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen führte zu einer Regierungskrise und letztlich zu seiner Entlassung. Am 1. September 2018 demonstrierten 10.000 autoritär und rassistisch Orientierte unter der Führung der AfD im Bündnis mit »Pro Chemnitz«, Pegida, NPD, »Der III. Weg«, den »Identitären«, der Partei »Die Rechte« und Fangruppen aus ganz Deutschland. Den Weg bereitet hatte ein Klima autoritärer Raumergreifung durch eine aktive rechte Fußballfangruppe, Kameradschaften und rechte Organisationen aller Art, die über Jahre hinweg ungehindert agieren konnten. Während die AfD mit dem Slogan vom Kontrollverlust des Staates eine Art Propaganda der Tat verbreitete, sorgten Hooligans um »Pro Chemnitz« und das geheime Untergrundnetzwerk »Revolution Chemnitz« für die Umsetzung der Gewaltaufrufe in die Tat, geschtützt auf eine breite amorphe Masse unorganisierter Bürgerinnen und Bürger mit Einstellungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Der rechte Theoretiker Götz Kubitschek sprach von einem elementaren Vorgang, bei dem es darum gegangen sei, als eine Art »Bürgerwehr« den eigenen Raum abzusichern. Das Modell lässt sich deutschlandweit übertragen und verspricht Erfolg, wenn die unterschiedlichen Milieus der extremen Rechten nicht gezielt bekämpft und Vorurteilseinstellungen weiter hingenommen werden.