Was da noch dräut

geschrieben von Daniel Bratanovic

17. Mai 2021

Heute ein Hauch von Weimar … Ein Sammelband scheut den Vergleich

Ein aufgrund der Corona-Pandemie erheblich gestörtes Zeitempfinden lässt das Ereignis in weite Ferne rücken: Am 5. Februar 2020 wählte ein Bürgerblock aus CDU und FDP einschließlich der offenen Faschisten der Höcke-AfD Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten Thüringens. In Berlin, nicht in Erfurt wurde daraufhin entschieden, dass ein solcher Vorgang zu dieser Zeit nicht erwünscht ist – das Amt von Gnaden einer Bande völkischer Desperados, das war dann doch nicht akzeptabel und der internationalen Öffentlichkeit nicht vermittelbar. Kemmerich musste seinen Posten sogleich wieder räumen. Gleichwohl stand die bange Frage im Raum, ob damit nicht aufziehe, was schon einmal gewesen war. Schien wiederzukehren, was sich während der Endphase der Weimarer Republik zugetragen hatte?

Dies war zu bedenken, zumal ausgerechnet in Thüringen 1930 erstmals Nazis zu Ministern gemacht worden waren.

»Hitler, Hitler und Hitler« als plumpe Erklärung

Der Jenaer Historiker Manfred Weißbecker, der 1982 gemeinsam mit Kurt Pätzold die erste und bis heute immer noch einzige umfassende Darstellung der Geschichte der NSDAP vorlegte (zu einer Zeit, als die meisten Geschichtslehrer der Bundesrepublik bloß drei Antworten zur Erklärung von Faschismus und Krieg bereithielten, nämlich: Hitler, Hitler und Hitler), schrieb noch vor dem 5. Februar: »Bedrohlich erscheint die Gegenwärtigkeit des Vergangenen, erschreckend, wie den Kriegen vor allem Naturhaftigkeit und Alternativlosigkeit unterstellt wird, umhüllt mit Phrasen von ›Verantwortung‹, die Deutschland in der Welt wahrzunehmen habe. Vergleiche zwischen den letzten Jahren der Weimarer Republik und heutigen Erscheinungen gewinnen trotz Beachtung genereller Unterschiede wieder an Gewicht – leider.«

Sinn und Schranken solcher Vergleiche auszuloten, hat sich Weißbecker in einem Beitrag für den von der Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen herausgegebenen schmalen Sammelband »Das faschistische Echo der Vergangenheit« vorgenommen.

Ludwig Elm, Manfred Weißbecker u. a.: Das faschistische Echo der Vergangenheit. Lehren von Weimar für linke Politik heute. VSA-Verlag 2021, 128 Seiten, 10 Euro

Ludwig Elm, Manfred Weißbecker u. a.: Das faschistische Echo der Vergangenheit. Lehren von Weimar für linke Politik heute. VSA-Verlag 2021, 128 Seiten, 10 Euro

Dabei nennt er Problembereiche, anhand derer Parallelen und Unterschiede zwischen der letztlich gezielt zerstörten Weimarer Republik und der gegenwärtigen, nach rechts steuernden Bundesrepublik abgelesen werden könnten: »Zukunftskonzepte führender Unternehmer im Vorfeld von Krisen«, »die deutsche Außen- und Rüstungspolitik«, das »Verhalten der großen Parteien«. Die Offensive des Kapitals, eine forcierte Aufrüstung sowie die Rechtsentwicklung aller bürgerlichen Parteien gegen Ende der Weimarer Republik – all diese Vorgänge lassen sich mühelos auch in der Jetztzeit feststellen, was Weißbecker auch andeutet. Weiteres wäre zu nennen, etwa der politische Terror damals wie heute oder der Umstand, dass erkleckliche Teile des heutigen Staatsapparats bald versteckte, bald offene Sympathien für die AfD hegen, während damals der Korpus der Richter, Staatsanwälte, Lehrer und Professoren, vom Militär nicht zu sprechen, kaum einen Zweifel daran ließ, wo er politisch stand.

Doch ausgehend von diesen Problemfeldern, den gegenwärtigen Zustand der Republik, ihre weitere Rechtsentwicklung systematisch auszuleuchten, leistet der Band leider nicht.

Fortschreitend intellektueller Verfall der SPD

Weißbeckers Jenaer Kollege, der Konservatismus-Experte Ludwig Elm, erinnert in seinem instruktiven Beitrag, woran nicht oft genug erinnert werden kann: »der konstitutive Mangel der deutschen Bourgeoisie an echtem Republikanismus ist ihren Parteien und Politikern, deren Reden und Handeln sowie den Medien bis heute anzumerken; die Katzbuckelei vor Aristokratie und Monarchismus ist ihnen seit der Niederlage von 1848/49 ebenso angeboren wie die Gegnerschaft zu Sozialismus, Pazifismus und Antifaschismus.« Elm benennt zudem den fortschreitenden intellektuellen Verfall der SPD, die einst noch wusste, was Antifaschismus bedeutete, und diagnostiziert ernüchtert, »dass Linke substanziell und sprachlich dem unablässigen Druck und der stofflichen Masse herrschender Auslegungen der jüngeren Vergangenheit mangels eigener Kompetenz und Perspektive nachgeben«. Geradezu erratisch, so als hätte er sich in den Sammelband verirrt, nimmt sich der Beitrag von Mario Keßler aus. Die Beschäftigung mit dem Leben des Historikers Wolfgang Ruge, dessen Forschungsschwerpunkt die Weimarer Republik abgab, gerät zum eher ärgerlichen Nachdenken über die DDR-Geschichtswissenschaft und trägt zum Gegenstand kaum etwas bei.

Fabian Virchow skizziert auf wenigen Seiten die lange und ununterbrochene Geschichte des rechten Terrors von der Weimarer Zeit über die alte Bundesrepublik bis heute, Gerd Wiegel illustriert die »Geschichtspolitik der AfD«. Der Mangel des Buchs besteht nicht in den einzelnen Beiträgen, die wenigstens zum Teil und je für sich genommen überzeugen können. Es ist vielmehr ein fehlendes zusammenhängendes Konzept, das dem Sammelband hätte Kontur verleihen können: der systematisch angelegte Vergleich zwischen Gestern und Heute, um besser verstehen zu können, was da noch dräut.