100 Jahre »Arditi del Popolo«

geschrieben von Ulrich Schneider

3. Juli 2021

Zur in Italien gegründeten militanten antifaschistischen Organisation

Den historischen Hintergrund bildete die revolutionäre Bewegung in Italien nach dem Ende des Ersten Weltkrieges. Zwar zählte Italien zu den »Siegermächten« des Krieges, aber die innenpolitische Ausrichtung des Landes als Konsequenz der Kriegserfahrungen war noch offen. Die reaktionären Kräfte folgten im September 1919 einem Aufruf des nationalistischen Schriftstellers Gabriele D’Annunzio zur Besetzung der Stadt Fiume, dem heutigen kroatischen Rijeka, an der Adriaküste. Sie wollten verhindern, dass die Stadt dem neuen Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen zugeordnet würde. Zwar scheiterte dies im ersten Anlauf, war jedoch eine Voraussetzung zur Besetzung der Region ab 1924 durch den italienischen Faschismus, die Erinnerung daran wird bis heute von Faschisten zelebriert.

Gleichzeitig erlebte Italien in den Jahren 1919/20 die »Biennio rosso«, die »zwei roten Jahren«. Es war eine Zeit der Arbeiterkämpfe, bei denen es noch nicht um die politische Macht ging, aber durch Massenstreiks und Betriebsbesetzungen das ökonomische Herrschaftssystem in Frage gestellt wurde. Die Arbeiter übernahmen oftmals selbst die Leitung und bildeten Fabrikkomitees. In dieser Bewegung, die etwa 500.000 Beschäftigte in Norditalien umfasste und in der die Produzenten selber Verantwortung übernahmen, sah Antonio Gramsci die Keimzelle einer zukünftigen kommunistischen Gesellschaft. Er war der Überzeugung, dass »entweder die Eroberung der politischen Macht durch das revolutionäre Proletariat folge oder eine furchtbare Reaktion durch die besitzende Klasse«.

Und tatsächlich kam es zum Zweiten. Das Scheitern des Generalstreiks im März 1921, das auf das Eingreifen der »Fasci di combattimento« (»Schwarzhemden«) Mussolinis zurückzuführen war, leitete die »Biennio nero«, die beiden »schwarzen Jahre« ein, in denen die »Schwarzhemden« dominierten und mit dem Marsch auf Rom im Oktober 1922 die Machtübertragung an Benito Mussolini durchsetzten.

Zur Verteidigung gegen den Terror der »Schwarzhemden« entstanden im Sommer 1921 Gruppen der »Arditi del Popolo« (»Die Mutigen des Volkes«). Die meisten von ihnen waren vormals Mitglieder der »Arditi«, einer Sturmtruppe im Ersten Weltkrieg, also Kriegsveteranen, sie stammten aber aus dem proletarischen Milieu. Politisch waren es Syndikalisten, Sozialisten, Kommunisten, Anarchisten und linke Republikaner.

Andrea Staid: Arditi del popolo. Der erste bewaffnete Widerstand gegen den Faschismus in Italien 1921–1922. Verlag Edition AV, Bodenburg 2020, 140 S., 16 Euro

Andrea Staid: Arditi del popolo. Der erste bewaffnete Widerstand gegen den Faschismus in Italien 1921–1922. Verlag Edition AV, Bodenburg 2020, 140 S., 16 Euro

Als ehemaligen Militärangehörigen war ihnen der bewaffnete Kampf nicht fremd, gleichzeitig waren ihre Beziehungen zu den politischen Organisationen und Parteien der Linken aufgrund der Heterogenität der »Arditi« widersprüchlich. Dabei zeigten sich die ideologischen Konflikte zwischen den unterschiedlichen Richtungen auch in den »Arditi del Popolo«. So gelang es zwar, eine Verteidigungsformation gegen den faschistischen Terror der »Schwarzhemden« aufzubauen, aber nicht, sich auf gemeinsame Ziele einer antifaschistischen Entwicklung zu verständigen. Auch die linken Parteien selbst sahen diese bündnisbreite Struktur mit Skepsis, obwohl beispielsweise Antonio Gramsci seine Partei zur Unterstützung aufforderte. Die »Arditi del Popolo« hatten zusammen mit den »Proletarischen Verteidigungsformationen« (formazioni di difesa proletaria) Ende 1921 rund 20.000 Mitglieder. Im Zuge der Abwehrkämpfe beteiligten sich auch Nichtmilitärveteranen an den Aktionen diese Gruppe.

Die bis heute bekannteste Aktion war der mehrtägige bewaffnete Widerstand gegen die Belagerung der Stadt Parma durch die faschistischen »Schwarzhemden« im August 1922. Während vorherige Straf-expeditionen der Faschisten gegen Arbeiterkomitees zumeist mit hoher Brutalität zum gewünschten Erfolg geführt hatten, zeigte sich in Parma zum ersten Mal bewaffneter Widerstand. Als Anfang August 1922 mehrere Tausend »Schwarzhemden« (die Zahlen schwanken von 10.000 bis 20.000) aus verschiedenen Regionen des Landes angekarrt wurden, erklärte der örtliche Polizeichef, dass man dagegen machtlos sei. Nun organisierte die lokale Gruppe der »Arditi del Popolo«, die nur etwa 350 Kämpfer umfasste, den Widerstand. Es wurden Barrikaden errichtet und die versteckten Gewehre freigegeben, um die Barrikaden verteidigen zu können. Neben den militärischen Kämpfern halfen Hunderte Bürger Parmas. Männer und Frauen, Alte und Junge aus allen Parteien und Parteilose, um gemeinsam die Faschisten aufzuhalten. Nach einer Woche Belagerung der Stadt mussten die »Schwarzhemden« erfolglos abziehen. Nun erst reagierte die Staatsmacht, die den Belagerungszustand über die Region verhängte und den Besitz von Waffen unter Strafe stellte. Damit sollte verhindert werden, dass das erfolgreiche Beispiel von Parma in anderen Regionen Nachahmer finden könnte.

Mit der Etablierung der faschistischen Herrschaft in Italien wurden die »Arditi del Popolo« verfolgt, ihre Organisatoren verhaftet und ermordet, so dass diese antifaschistische Bewegung bis 1924 vollständig zerschlagen war. Viele ehemalige Angehörige kämpften im Spanischen Bürgerkrieg in den Internationalen Brigaden. In Erinnerung an die ersten Kämpfe gegen Mussolini trugen 1943–45 Gruppen der Resistenza den Namen »Arditi del Popolo«.

Aus Anlass des Jubiläums der im Sommer 1921 in Italien gegründeten militanten antifaschistischen Organisation »Arditi del Popolo« entdecken zahlreiche antifaschistisch aktive politische Gruppen und Zeitschriften in unserem Land die Geschichte für sich. Gruppierungen, die gegenüber der VVN-BdA manchmal deren historischen Bezug als zu rückwärtsgewandt kritisierten, versuchen nun selber, sich in die hundertjährige Tradition der antifaschistischen Bewegung zu stellen. In diesem Zusammenhang hilft ein genauerer Blick auf die Geschichte, Idealisierungen und falsche Analogien zu vermeiden.