Ein sensibler Fascho

geschrieben von Hannah Geiger

3. Juli 2021

»Je suis Karl« von Regisseur Christian Schwochow will vor rechter Gefahr warnen

»Bin ich ein Faschist?«, fragt der charmante Karl (Jannis Niewöhner) und wirft Maxi (Luna Wendler, bekannt als Sophie Scholl in der Instagram-Serie »Ich bin Sophie Scholl«) einen rührseligen Blick zu. »Rechts, links, das sind Begriffe, die gibt es für mich nicht mehr«, erklärt er weiter. Aber sein liberales Weltbild ist nur Fassade, in Wahrheit ist er der Kopf einer neofaschistischen Gruppierung, die einen rechten Umsturz plant. Und sie himmelt ihn an.

»Je suis Karl« ist die Geschichte einer rechten Machtergreifung bzw. der Geschehnisse, die dazu führen. Der Regisseur, Christian Schwochow (auch in dieser Rolle beim NSU-Film »Die Täter – heute ist nicht alle Tage«), hat sich beruflich schon viel mit der rechten Szene beschäftigt. Nach eigener Aussage hat er sogar schon im Wohnzimmer von Neonazi und NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben gedreht.

Motivation für sein neues Drama? »Eine große Angst vor Faschisten und wie sie es immer noch und immer wieder schaffen, unterschätzt zu werden«, sagt Schwochow. Er wolle kein »sozialdemokratisches Betroffenheitsfernsehen« machen, sondern die reale Gefahr zeigen. Vielleicht auch etwas provozieren? Was, wenn die Rechten es schaffen, eine charismatische, junge Führungsperson zu installieren? Eine Greta Thunberg oder einen Obama, nur von rechts. »Das ist alles gar nicht so weit weg von uns«, meint Schwochow und hat in Bezug auf einen rechten Umsturz recht damit, wenn man an die rechten Netzwerke in den »Sicherheits«behörden denkt, die bis zur Bundestagspolizei reichen, oder die Pläne für einen »Tag X«, an dem die Macht übernommen und alle politischen Gegner:innen getötet werden sollen. Aber ist ihm die Abschreckung gelungen, oder geht von den Rechten in »Je suis Karl« nicht eine gewisse überhöhende Faszination aus?

»Je suis Karl«, 126 Minuten, Pandora Filmverleih, Regisseur: Christian Schwochow, Drehbuchautor: Thomas Wendrich. Voraussichtlich ab 16. September im Kino

»Je suis Karl«, 126 Minuten, Pandora Filmverleih, Regisseur: Christian Schwochow, Drehbuchautor: Thomas Wendrich. Voraussichtlich ab 16. September im Kino

In dem 126minütigen Kinodrama wird das Leben der jungen Berlinerin Maxi Baier gezeigt, die durch einen – vorgeblich islamistischen – Terroranschlag ihre halbe Familie verliert. Sie trifft danach, anscheinend zufällig, auf Karl, einen der Anführer:innen von »re:generation«, einer Gruppe sehr gut organisierter und international vernetzter junger Neonazis (angelehnt an die »Identitären«). Sie weiß nicht, dass eigentlich Karl hinter dem Anschlag steckt, der ihre Familie zerstört hat und begleitet ihn zu Veranstaltungen nach Prag und Paris. Sie gewinnt immer mehr Gefallen an der Aufmerksamkeit, die ihr als »Opfer von Berlin« zuteilwird, bringt sich auch in die Bewegung ein. Ihr Vater (Milan Peschel) reist ihr besorgt Richtung Paris nach, wo es zum Showdown kommt und die Rechten nach einem Publicity Stunt – bei dem Karl von seinen eigenen Leuten erschossen wird – europaweit Putschversuche durchführen. Sie patrouillieren maskiert auf den Straßen, stürmen Gebäude und jagen People of Color.

Es ist zwar ein schauriges Bild, das Christian Schwochow zeichnet, das durchaus seine Berechtigung hat, aber leider setzt er dabei zu sehr auf Dramatik. Viel wahrscheinlicher ist es doch, dass Nazis (AfD) »einfach« an die Macht gewählt werden oder durch eine Koalition in die Regierung gelangen. Dafür braucht es keinen Karl, sprich Martin Sellner und keinen rechten Märtyrer. Die Gefahr steckt viel mehr im Gewöhnlichen als im Sensationellen. »Der Umsturz« sind rechte Mehrheiten und Tabubrüche, wie zum Beispiel die Inszenierung zwischen Björn Höcke und Thomas Kemmerich um die Wahl zum Ministerpräsidenten in Thüringen.

Eine rechte »Bewegung« so zu zeigen, ausgeschmückt, zum Teil geschönt, halte ich für gefährlich. Die Ideologie klingt zwar an – es fallen rassistische Sprüche, Karl verteidigt die Todesstrafe –, doch die Ekelhaftigkeit rechter Gruppen, die Frauenverachtung, die Feigheit, das Unschöne kommt nicht rüber. Es ist ein schmaler Grat zwischen Abbildung und Überhöhung. Christian Schwochow hat diesen leider nicht ganz getroffen. Rechte Ideologie wird verherrlicht, wenn Maxi Karl im romantischen Dämmerlicht fragt, was für ihn das Schlimmste wäre und er bedeutungsschwer antwortet: »Sinnlos zu sterben.« Und das Beste? »Sinnvoll«.

Was sollen wir also aus dem Film mitnehmen? Dass Neofaschist:innen wie die »Identitären« neben gefährlich auch irgendwie draufgängerisch und heroisch sind? Das trifft höchstens auf ihr Selbstbild zu.

Außerdem fehlt es der Figur Maxi an Tiefe. Sie ist beeindruckt von Karls Charme, seiner Stärke, seinem Willen, seinem »Mut« und seiner Sensibilität. Sie ist Mitläuferin und bringt sich trotz einiger Zweifel in die Sache ein, ist begeistert von so viel Zuspruch und Aufmerksamkeit, vor allem natürlich von Karl. Dieser wird als Figur überhöht, während Maxi als junge Frau nur Nebenspielerin ist, die sich von ihm leiten lässt und später von ihrem Vater gerettet wird. Sie ist Projektionsfläche für Karl, hat viele fragende Blicke und wenig eigene Gedanken. Wenn die Filmemacher sich fragen, was es für junge Menschen braucht, um sich zu radikalisieren, ist deren Antwort in Bezug auf Frauen wohl: einen gutaussehenden Mann, »einen sensiblen Fascho«. Es ist eine sexistische Erzählung, wie wir sie schon oft genug gesehen haben.