Keiner Ehrung wert?!
3. Juli 2021
Verwehrtes Gedenken an den 1993 in Bad Segeberg ermordeten Obdachlosen Friedrich Maßling
Im Jahr 1993 erschlugen zwei Neonazis den damals 58jährigen Friedrich Maßling in einer Obdachlosenunterkunft in Bad Segeberg. Erst im September 2020 wurden durch eine gemeinsame Langzeitrecherche von Zeit online und Tagesspiegel der Name des Getöteten sowie die genauen Tatumstände bekannt. Einem offiziellen Gedenken hat sich die Stadt bisher verweigert. Am 3. April 2021 versammelten sich etwa 20 Menschen im Landratspark in Bad Segeberg, um des genau 28 Jahre zuvor verstorbenen Friedrich Maßling zu gedenken. Aufgestellt wurde eine mit einer Plakette versehene Parkbank, die an die Tötung Maßlings sowie die in Deutschland seit 1990 durch rechte Gewalt zu Tode Gekommenen erinnert. Eingeladen zu dieser erstmals organisierten Veranstaltung hatte die Initiative »Segeberg bleibt bunt«.
Nur ein unbekannter Odachloser?
Bis dahin war Maßling ein »unbekannter Obdachloser, der durch Neonazis erschlagen wurde«. Obdachlose Menschen sind in der sozialen Hierarchie der Gesellschaft bekanntermaßen sehr weit unten angesiedelt. Entsprechend bescheiden ist die mediale und sonstige öffentliche Aufmerksamkeit, wenn es zu Gewalt- oder Tötungsdelikten gegen sie kommt. Obdachlose zählen zu den häufig unsichtbaren und gesellschaftlich verdrängten Opfergruppen. Das hängt auch mit der weitverbreiteten Abwertung von sozial Marginalisierten in Deutschland zusammen. So beschreibt der Sozialforscher Lucius Teidelbaum in seinem Buch »Obdachlosenhass und Sozialdarwinismus« (2013): »Politik und Medien propagieren dabei ein negatives Bild von Erwerbs- und Obdachlosen. Wer Hartz IV bezieht, steht schnell als ›arbeitsfauler Sozialschmarotzer‹ da.«
Oftmals wird Obdachlosen selbst die Schuld an ihrer Lage gegeben, und eine Konfrontation mit Armut soll vermieden werden. Nach Untersuchungen des Bielefelder Zentrums für Konflikt- und Gewaltforschung findet ein Drittel der Menschen in Deutschland es richtig, dass »Bettler ›aus den Fußgängerzonen entfernt werden‹ sollten«. Aus solchen sozialdarwinistischen Ressentiments ergibt sich nicht selten die Motivation für ein gewalttätiges Vorgehen. Die Angreifenden setzen in solchen Fällen genau das um, was sie für gesellschaftlich akzeptiert halten. »Im Glauben an die Legitimation durch eine Bevölkerungsmehrheit sorgen sie selbst für ›Ordnung‹«, so Teidelbaum.
»Lass mal den Penner aufmischen«
Am 29. März 1993 bezieht Friedrich Maßling ein Zimmer in der Obdachlosenunterkunft Bad Segebergs, in der bereits der Neonazi Bernd Tödter zusammen mit seinem Cousin lebt. Am Abend schlagen die beiden Neonazis mit Fäusten, einem Stuhlbein und der Fahnenstange einer Flagge der neonazistischen FAP auf Maßling ein. Am Morgen nach dem Angriff fordert Tödter den schwer Verletzten dazu auf, das verwüstete Zimmer wieder herzurichten und sein Blut wegzuwischen, denn er habe sich »für die Ordnung im Haus mitverantwortlich gefühlt« (zitiert in Zeit 27.09.2018). Maßling wird an diesem Morgen in eine Klinik eingeliefert und verstirbt am 3. April an seinen schweren Kopfverletzungen.
Der zum Tatzeitpunkt 19-jährige Tödter wird zu dreieinhalb Jahren Jugendstrafe, sein erwachsener Cousin zu drei Jahren Haft verurteilt. Nach seiner Entlassung wird Tödter zu einem bundesweit bekannten Neonazi, dessen Aktivismus durch weitere Gefängnisaufenthalte gekennzeichnet bleibt. Neben einem aktuell laufenden Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung wurde er jüngst vom Amtsgericht in Bad Segeberg wegen mehrerer Delikte erneut zu einer fünfmonatigen Haftstrafe verurteilt.
Reaktion der Kommunalpolitik
Trotz dieser nun bekannt gewordenen Details verweigert sich die Stadt einem offiziellen Gedenken. »Segeberg bleibt bunt« forderte die Kommunalpolitik bereits im Oktober 2020 in einem offenen Brief dazu auf, eine nach dem NS-Schriftsteller Gustav Frenssen benannte Straße in »Friedrich-Maßling-Weg« umzubenennen. Der zu diesem Zeitpunkt amtierende Bürgermeister Dieter Schönfeld (SPD) meinte gegenüber dem Hamburger Abendblatt lapidar: »Das geht in die falsche Richtung.« Seiner Meinung nach sei die »Vergabe von Straßennamen Ausdruck der Ehrung einer Leistung eines Menschen für die Stadt«. Wenn nun jemand »zufällig Opfer einer Gewalttat wird«, verhalte es sich anders. Konfrontiert mit so viel Ignoranz auch angesichts der aktuellen Gefahren von rechts, ergreifen die Aktivist*innen vor Ort selbst die Initiative. Sie sind davon überzeugt, dass »das Verschweigen und Verleugnen rechter Tendenzen in der Gesellschaft nur ihr Erstarken zur Folge hat«. So war es angesichts des Umstandes, dass der eigentliche Tatort bereits 2013 abgerissen wurde, auch wichtig, mit der Bank einen öffentlichen Ort des Gedenkens zu installieren.
Ulrich Peters ist freier Journalist aus Berlin und im Redaktionskollektiv des Antifaschistischen Infoblatts aktiv.