Menschen zweiter Klasse?

geschrieben von Ralf Bogen

3. Juli 2021

Für das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung – auch für Flüchtlinge

Immer wieder weisen Organisationen von Geflüchteten sowie antirassistische Gruppen und Flüchtlingsräte darauf hin, dass die Polizei vielerorts ohne Durchsuchungsbefehl in Geflüchtetenunterkünfte eindringt und dass Menschen in solchen Sammelunterkünften das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung verweigert wird. In verschiedenen Gerichtsverfahren wird derzeit darum gestritten. So klagen zum Beispiel beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg die Gesellschaft für Freiheitsrechte, Aktion Bleiberecht Freiburg, Pro Asyl, Flüchtlingsrat Baden-Württemberg und vier Geflüchtete gegen eine schikanierende Hausordnung der Erstaufnahmeeinrichtung Freiburg, nach der Bewohner*innen keinen Besuch empfangen dürfen, keinen Schlüssel für ihr Zimmer erhalten und ständig fürchten müssen, dass andere Personen – nicht »nur« Polizisten – ungefragt ihr Zimmer betreten.

Ein weiteres, besonderes Beispiel ist der aus Kamerun geflohene Alassa Mfouapon, der Berufung gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom Februar 2021 eingelegt hat. Darin hat es das Gericht ausdrücklich abgelehnt, die von Flüchtlingen bewohnten Zimmer in Sammelunterkünften als Wohnung im Sinne von Artikel 13 Grundgesetz anzuerkennen. Alassa hat mit diesem Urteil zugleich aber einen großen Erfolg errungen. Denn das Gericht hat auf seine Klage hin auch entschieden, dass die bei dem Polizeigroßeinsatz am 3. Mai 2018 in der Erstaufnahmeeinrichtung Ellwangen getroffenen Maßnahmen unverhältnismäßig und rechtswidrig waren.

Alassa Mfouapon auf einer Kundgebung. Foto: Ralf Bogen

Alassa Mfouapon auf einer Kundgebung. Foto: Ralf Bogen

Das betrifft laut Pressemitteilung des Gerichts sowohl den Zeitpunkt um kurz nach fünf Uhr morgens als auch »das Betreten und Durchsuchen des Zimmers des Klägers, das Durchsuchen des Klägers und das Festsetzen des Klägers unter Anlegen von Einmal-Handschließen«. Aus Sicht von Alassa waren damals etwa 500 Polizeibeamte sowie Polizeihunde in die Zimmer von knapp 300 Geflüchteten überfallartig eingedrungen. Dabei seien 40 nicht verschlossene Türen stark beschädigt und elf Personen verletzt worden. Einzelne hätten gedacht, es handele sich um einen Angriff von Neonazis und seien panikartig aus dem Fenster gesprungen. Die Flüchtlinge seien sogleich auf dem Boden liegend mit Kabelbindern gefesselt worden.

Vorausgegangen war einige Nächte zuvor eine spontane Solidaritätsaktion von Bewohnern gegen die Abschiebung eines togolesischen Mitbewohners, die die Polizei zum Rückzug veranlasste. Daraufhin kam es zu einer Berichterstattung in vielen Medien, die sich nahezu ausschließlich auf Polizeimeldungen stützte. Demnach sei es zu Verletzungen von Polizisten gekommen, was sich hinterher jedoch als Fehlinformation erwies.

Baden-Württembergs CDU-Innenminister Thomas Strobl diffamierte dennoch die Flüchtlinge pauschal als hoch aggressiven »gewaltbereiten Mob«, sprach in der Stuttgarter Zeitung von »rechtsfreien Räumen« und begründete damit den zweiten, massiven und nach Angaben des Innenministeriums rund 360.000 Euro teuren Polizeieinsatz. Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) äußerte sich im gleichen Blatt ähnlich: »Wir dulden keine rechtsfreien Räume, und dieser Angriff auf Polizisten muss geahndet werden«.

Wenige Tage nach dem Polizeiüberfall im Mai 2018 organisierte Alassa gemeinsam mit anderen Flüchtlingen eine friedliche Protestdemo in Ellwangen unter dem Motto »Viel wurde über uns geredet. Jetzt reden wir. Wir sind Flüchtlinge – keine Kriminellen«. Daraufhin wurde Alassa selbst im Juni 2018 unter traumatisierenden Umständen nach Italien abgeschoben. Ende 2018 konnte er aus Italien, wo er keinerlei Chance auf ein Asylverfahren erhalten hatte, wieder legal in Deutschland einreisen. In der Folge wurde er von Bild und der AfD-Politikerin Alice Weidel mit Lügen als »Rädelsführer und Asylbetrüger« kriminalisiert. Gegen diese Hetze konnte er ebenso erfolgreich gerichtlich vorgehen.

Das Verwaltungsgerichtsurteil lässt »die damaligen massiven Äußerungen der grün-schwarzen Landesregierung wie des Bundesinnenministers, die die Flüchtlinge als kriminell brandmarken wollten, in einem anderen Licht erscheinen – denn offensichtlich war es die Polizei, die damals das Recht gebrochen hat!« – so das Fazit des Alassa unterstützenden, bundesweit aktiven »Freundeskreises Flüchtlingssolidarität«. Entsprechend dessen Motto »Es darf keine Menschen zweiter Klasse geben« ist Alassa für den weiteren Kampf um die Rechte von Geflüchteten inklusive des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung viel Erfolg und Unterstützung zu wünschen.

Mehr Informationen unter:

https://freiheitsrechte.org

https://freunde-fluechtlingssolidaritaet.org