Anschlussfähig an den NS

geschrieben von Jochen Gester

8. September 2021

»Deutsche Christen« in der Kirche Mecklenburgs

Unter dem Titel »Lutherrose und Hakenkreuz – Die Deutschen Christen und der Bund der nationalsozialistischen Pastoren in der evangelisch-lutherischen Kirche Mecklenburgs« hat der promovierte Theologe Peter Ulrich die Ergebnisse einer Forschungsarbeit zur jüngeren deutschen Geschichte publiziert. Peter, langjähriger Bundessprecher des Bundes der religiösen Sozialisten Deutschlands (BRSD), hatte sich bereits zuvor mit der Mecklenburger Kirchengeschichte befasst und eine Biografie des Pastors Aurel von Jüchen geschrieben.

Vor uns liegt eine mehr als 600 Seiten starke materialvolle Studie, die Lehrreiches für unterschiedliche Fragen (Landes- und Sozialgeschichte, nationalsozialistische Ideologie und Politik) zu bieten hat. Der Umfang der eingesehenen Quellen ist beeindruckend. Das Buch hat drei Hauptteile: die Vorgeschichte von 1933, die in Mecklenburg etwa 1850 begann und sich mit den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen der großagrarisch geprägten Provinz befasst. Dann die Weimarer Republik, in der die Grundlagen für die Anschlussfähigkeit des deutschen Protestantismus an den NS gelegt wurden. Im folgenden wird das Wirken der »Deutschen Christen« (DC) unter dem NS-Regime näher untersucht. Der dritte Teil umfasst die letzten Kriegsjahre und reicht hinein bis in die ersten Jahre der DDR.

Ulrichs Arbeit bekommt gerade in einer Zeit, in der sich die sogenannte bürgerliche Mitte der Gesellschaft erneut nach rechts öffnet, besondere Aktualität. Sie zerstört das Selbstbild einer »Kirche im Widerstand« und verdeutlicht, wie groß das Unterstützungspotenzial war, das den Sieg des Faschismus ermöglichte, wer sich ihm widersetzte, und wie es um seine Gegner stand. Im letzten Kapitel ist dokumentiert, dass die »Entnazifizierung« nicht nur im Westen Deutschlands sehr schnell von der Tagesordnung verschwand, sondern auch im Osten in den Anfängen steckenblieb. Davon profitierten auch viele Repräsentanten der Evangelisch-Lutherischen Kirche, die sich dem »deutschen Christentum« verschrieben hatten. Im nationalkonservativen Gesellschaftsbild des sie tragenden gesellschaftlichen Milieus waren bereits lange vor 1933 dafür die ideologischen Grundlagen geschaffen worden. Dazu gehörte die Unterstützung der Monarchie ebenso wie die Abwehr der Demokratie, kriegerischer Patriotismus, unglaublicher Antisemitismus sowie eine elitär-verachtende und feindliche Einstellung gegenüber den Anliegen der Arbeiterbewegung.

Ulrich Peter: Lutherrose und Hakenkreuz. Die Deutschen Christen und der Bund der nationalsozialistischen Pastoren in der evangelisch-lutherischen Kirche Mecklenburgs. Kiel 2020, LVH-Verlag, 608 Seiten. Das Buch kann portofrei beim Autor für 19,95 Euro bestellt werden. E-Mail: Upeter2964@aol.com

Ulrich Peter: Lutherrose und Hakenkreuz. Die Deutschen Christen und der Bund der nationalsozialistischen Pastoren in der evangelisch-lutherischen Kirche Mecklenburgs. Kiel 2020, LVH-Verlag, 608 Seiten. Das Buch kann portofrei beim Autor für 19,95 Euro bestellt werden. E-Mail: Upeter2964@aol.com

Aus seinem Datenbestand von 419 DC- bzw. NS-Pastoren wird eine Reihe von Biografien vorgestellt, darin bleibt die Parteinahme für das Nationalkomitee Freies Deutschland die Ausnahme, es finden sich jedoch mehrere SS-Karrieren. Es ist desillusionierend zu erfahren, dass auch viele Pastoren, die sich in Pfarrernotbund und Bekennender Kirche (BK) gegen die DC abzugrenzen versuchten, gegen den NS keineswegs immun waren. Ein besonders beschämendes Zeugnis der Kompromittierung ist ein Brief des BK-Pastors Theodor Rohrdantz, der an »Führers Geburtstag« am 20. April 1941 im -Mecklenburger Sonntagsblatt folgendes Bekenntnis ablegte: »Große Männer sind immer ein Geschenk Gottes. Auch in diesen Geschenken dürfen wir Gottes Liebe erkennen und um dieser Geschenke willen Liebe zu Gott haben. Wir danken am heutigen Tage dem heiligen und lebendigen Gott, dem Lenker der Geschichte unseres Volkes, dass er uns allen Adolf Hitler geschenkt hat, den Erretter aus Not und Leid und dem Kämpfer für Ehre und Größe. Ihm geloben wir unsere Treue bis in den Tod. Und aus tiefstem Herzen erfüllen wir das Gebot der Stunde, dass wir unsere Hände falten zum Gebet: ›Gott schütze und segne auch fernerhin den Führer!‹ Amen.«

Ulrich Peter schließt seine Studie mit einem Zitat des Hannoverschen Bischofs Hans Lilje, der rückblickend 1964 ein Resümee dieses dunklen Kapitels zog. Hierin heißt es: »Die evangelische Kirche in Deutschland steht bis heute vor der Klärung der Geschichte des Kirchenkampfes als vor einer unbewältigten Aufgabe. (…) Es ist interessant, was von den auf diesem Gebiete tätigen Autoren gewusst und bekannt und was einfach ignoriert wird, oft auch deshalb, weil es in die dem Schreibenden eigene Sicht des Kirchenkampfes nicht hineinpasst. Nur wenige haben den Mut von Edmund Schlink gehabt, in nüchterner Offenheit festzustellen, der Kirchenkampf war verloren. Der Kirchenkampf war am Ende, ehe der politische Zusammenbruch 1945 eintrat.« Peters Studie ist eine wertvolle Hilfe – nicht nur für die evangelische Kirche –, dieser Aufgabe gerecht zu werden.