Aus Geschichte gelernt?

geschrieben von Regina Girod

8. September 2021

Die Ausstellung Flucht, Vertreibung, Versöhnung im Berliner Deutschlandhaus

Die Stiftung »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« entstand auf Initiative von Erika Steinbach, der langjährigen Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, der seit Jahrzehnten berüchtigt ist für nationalistische und revanchistische Positionen. Steinbach war bis 2017 Bundestagsabgeordnete der CDU und ist seit 2018 Vorsitzende der Desiderius-Erasmus-Stiftung, die als parteinahe Stiftung der AfD fungiert. Das Ziel der Initiative bestand von Anfang an darin, mit einer Ausstellung an das Leid der deutschen Vertriebenen nach 1945 zu erinnern.

Nachdem die Bundesregierung 2005 unter dem Arbeitstitel »Sichtbares Zeichen« die Stiftungsgründung initiiert hatte, folgten jahrelange erbitterte Auseinandersetzungen im In- und Ausland um den Ort und die inhaltliche Ausrichtung der Ausstellung. Am 21. Juni wurde sie beinahe geräuschlos im Berliner Deutschlandhaus eröffnet. Als Stiftung des Bundes präsentiert sie nun quasi die offizielle Sicht auf diese Periode. Doch welche Einsichten und Aussichten eröffnet sie? Um es gleich vorweg zu nehmen: 75 Jahre nach den behandelten historischen Ereignissen wird nach meiner Meinung hier eine feige, selbstgerechte und letztlich verantwortungslose Sicht auf Geschichte präsentiert. Von den Ausstellungsmachern und auch der Bundeskanzlerin wurde die Tatsache, dass die Vertreibung in der Ausstellung als Folge des Eroberungs- und Vernichtungskrieges dargestellt wird, der von Nazideutschland begonnen worden war, als großer Fortschritt gegenüber der von den Vertriebenenverbänden gepflegten Mär von den Deutschen als unschuldigen Opfern gepriesen. Doch das greift zu kurz, wenn nicht wirklich nach Schuld und Verantwortung gefragt wird.

Die Ausstellung erstreckt sich über zwei Etagen mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten. Im Erdgeschoss wird das Phänomen von Vertreibungen vor allem im 20. Jahrhundert thematisiert. Es werden Dokumente, Selbstzeugnisse und Exponate präsentiert, die an Fluchten und Vertreibungen erinnern. Das 20. Jahrhundert wird als Jahrhundert ethnisch, religiös und nationalistisch motivierter Zwangsmigrationen dargestellt. Die Grundaussage der Präsentation im Erdgeschoss kann man in dem Satz zusammenfassen: Flucht und Vertreibung hat es immer gegeben, sie verletzen Grundrechte von Menschen und müssen geahndet werden, aber sie sind gängige Mittel zur Durchsetzung politischer, wirtschaftlicher und nationaler Interessen. Und: Alle nutzen sie.

Im Obergeschoss geht es dann um die Vertreibung der Deutschen aus ehemals deutschen oder im Krieg von Nazideutschland eroberten Gebieten. Hier wird das Hauptthema der Ausstellung behandelt, um das so lange gerungen wurde. Neben Tafeln, die historische Abläufe erläutern, werden vor allem Exponate und Dokumente präsentiert, in denen Vertriebene ihre Verluste und ihr Leid bezeugen. Deren Botschaft lässt sich in dem Satz zusammenfassen: »Ich bin es nicht, Adolf Hitler ist es gewesen«. Die Art von Erinnerungen, die meine Familie mütterlicherseits an ihre Flucht und Vertreibung bewahrte, fehlt dagegen völlig. Onkel Kurt aus Hamburg, der als Soldat an der Ostfront schwer verwundet worden war, fasste sie in dem Satz zusammen: »Bei dem, was wir Deutschen den Polen und den Russen angetan haben, können wir froh sein, dass sie uns am Leben gelassen haben«. Nie wäre er auf die Idee gekommen, einem Vertriebenenverband beizutreten.

Es gab, entgegen der von der Mehrheit der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft gepflegten Einstellung, sich in erster Linie selbst als Opfer zu sehen, aber auch schon früh Versuche, die Verantwortung anzunehmen, die aus der Schuld an Krieg und Völkermord erwachsen war. So findet sich im Gründungsaufruf der Aktion Sühnezeichen, der auf der evangelischen Synode von 1958 angenommen wurde, die Aussage: »Wir Deutschen haben den Zweiten Weltkrieg begonnen und schon damit mehr als andere unmessbares Leiden der Menschheit verschuldet: Deutsche haben in frevlerischem Aufstand gegen Gott Millionen von Juden umgebracht. Wer von uns Überlebenden das nicht gewollt hat, der hat nicht genug getan, es zu verhindern.«

Die Ausstellung vermittelt die beschämende Einsicht, dass die offizielle bundesdeutsche Perspektive diesen Stand bis heute nicht erreicht hat. Das aber hat vor allem politische Gründe. Geschichte wird ja nicht um ihrer selbst willen betrachtet, sondern immer unter dem Aspekt, was sie uns Heutigen zu sagen hat. Man stelle sich vor, die Botschaft der Ausstellung würde darin bestehen, dass die Erfahrung der Vertreibungen nach dem Zweiten Weltkrieg die deutsche Politik dazu gebracht hat, weltweit für die Rechte von Geflüchteten einzutreten und dabei selbst mit gutem Beispiel voranzugehen. Wie wir alle wissen, kann davon leider nicht die Rede sein. So blieb den Ausstellungsmachern nur das Lavieren zwischen allgemeinen moralischen Grundsätzen und unbegründetem Selbstmitleid. Der Berg kreißte und gebar eine Maus…

Dokumentationszentrum
»Flucht, Vertreibung, Versöhnung«
Stresemannstraße 90,
10963 Berlin

Dienstag bis Sonntag 10 bis 19 Uhr, Eintritt frei