Bildung unterwegs

geschrieben von Uwe-Jens Kluge

8. September 2021

Österreich zwischen Kollaboration und antifaschistischem Widerstand

Anfang Juli begab sich eine 14-köpfige Gruppe mit ihren Fahrrädern auf den Donau-Radweg von Passau nach Wien, um der österreichischen Geschichte der 30er und 40er Jahre des 20. Jahrhunderts auf die Spur zu kommen. Veranstalter war »Arbeit und Leben Herford«, ein vom DGB getragener Verein der Erwachsenenbildung, der in den vergangenen Jahren bereits eine Vielzahl von Gedenkstättenfahr-ten und antifaschistischen Bildungsreisen in unterschiedlichen Ländern Europas durchgeführt hat.

Mitglieder des Republikanischen Schutzbundes wollten in Österreich NS-Verhältnisse abwehren  Foto: Privat

Mitglieder des Republikanischen Schutzbundes wollten in Österreich NS-Verhältnisse abwehren
Foto: Privat

Auf dem wunderschönen Donauradweg ging es zur ersten Station nach Linz. Die Stadt war bereits in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts eine politische Hochburg des »Deutsch-Österreichtums«. Viele spätere NS-Täter besuchten dort dieselbe Schule. Im Vordergrund unseres Aufenthalts stand der bewaffnete Aufstand des »Schutzbundes« gegen den Austrofaschismus im Februar 1934. Von Linz ausgehend griff diese erste bewaffnete Gegenwehr gegen den Faschismus in Europa auf andere österreichische Industriegebiete und auf Wien über. Mehrere Tausend Mitglieder der bewaffneten Arbeiter*innen-Miliz Schutzbund, in der Sozialdemokraten, Sozialisten, Kommunisten und Gewerkschafter*innen organisiert waren, griffen am Morgen des 12. Februar 1934 in Linz zu den Waffen. Konkreter Anlass war die Verfügung der österreichischen Regierung Dollfuß zur Entwaffnung des Schutzbundes. Engelbert Dollfuß hatte im März 1933 in einem Staatsstreich die parlamentarische Demokratie beseitigt. Der Hintergrund des Aufstandes waren die Ereignisse und Erfahrungen, die mit dem Machtantritt der Nazis in Deutschland im Januar 1933 gemacht worden waren. Dieses Geschehen vor Augen wollten die organisierten Schutzbündler*innen deutsche Verhältnisse abwehren. Der Aufstand scheiterte nach wenigen Tagen an einer uneinheitlichen politischen Führung, an Verrat und an einer mangelnden Bewaffnung des Schutzbundes. Er wurde vom österreichischen Bundesheer niedergeschlagen.

Die österreichische Widerstandskämpferin und -Auschwitz- sowie Ravensbrück-Überlebende Vilma Steindling  Foto: www.ravensbrueck.at

Die österreichische Widerstandskämpferin und -Auschwitz- sowie Ravensbrück-Überlebende Vilma Steindling
Foto: www.ravensbrueck.at

Ein Film zum Thema beschloss den Tag in Linz, bevor es am nächsten per Rad in die KZ-Gedenkstätte Mauthausen ging. Eine Museumspädagogin leitete uns durch dieses größte österreichische KZ, das bereits wenige Tage nach dem »Anschluss« Österreichs an das NS-Deutschland 1938 errichtet wurde. Tausende Menschen aus ganz Europa ließen dort ihr Leben. Etwas befremdlich wirkten manche Erinnerungstafeln, die die Opfergruppen einzelner Nationen repräsentieren sollen. Gab es bis in die 1990er Jahre bspw. eine Tafel, die die jugoslawischen Opfer repräsentierte, so gibt es nun Tafeln der ehemaligen Republiken Jugoslawiens. Es machte den Eindruck, als wenn Opfergruppen nachträglich gespalten werden sollen.

Am folgenden Tag ging es durch die Wachau hindurch weiter nach Wien. Dort stand ein Besuch des eindrucksvollen Simon-Wiesenthal-Zentrums und eine Lesung über die österreichische Widerstandskämpferin und -Auschwitz- sowie Ravensbrück-Überlebende Vilma Steindling an. Die europäische Dimension des Faschismus und des Antifaschismus wird in ihrer Lebensgeschichte deutlich. Im Wien der 30er Jahre war die Jüdin im Untergrund für den kommunistischen Widerstand aktiv, emigrierte später nach Frankreich und schloss sich der Résistance an. Nach ihrer Verhaftung durch die Gestapo wurde sie nach Auschwitz deportiert. Sie überlebte dort wie auch den Todesmarsch nach Ravensbrück in das Frauen-KZ. Kurz vor der Befreiung Ravensbrücks durch Soldaten der Roten Armee konnte sie mit Hilfe einer Aktion des Schwedischen Roten Kreuzes das KZ verlassen und kehrte nach Wien zurück.

Ausstellung im 3.-Mann-Museum in Wien (https://www.3mpc.net/)  Foto: Privat

Ausstellung im 3.-Mann-Museum in Wien (https://www.3mpc.net/)
Foto: Privat

Zum Abschluss der Bildungsreise besuchten wir das »Dritte-Mann-Museum« mit sehr interessanten Einblicken in die unmittelbare österreichische Nachkriegsgeschichte und den Wiener Gemeindebau »Karl-Marx-Hof«. Hier leisteten Bewohner*innen, überwiegend Arbeiter*innen, bis zuletzt heftigen Widerstand gegen das austrofaschistische Dollfußregime.

Es war für die meisten Teilnehmer*innen eine ganz andere Österreich-Erfahrung und hat das Bild von der jüngeren Zeitgeschichte des Landes verändert.