In Vielfalt vereint

geschrieben von Regina Girod

9. September 2021

Diversität als Anspruch und Herausforderung

Im nächsten Jahr begeht die VVN-BdA ihren 75. Geburtstag – in Familien ein guter Grund, in alten
Fotoalben zu blättern und sich zu erinnern. Die Fotos
aus den jahrzehntelangen Kämpfen unserer Vereinigung befinden sich, zusammen mit einer Vielzahl von Dokumenten, Beschlüssen und Protokollen, in Hunderten Akten im Archiv des Bundesverbandes.

Von besonderem Interesse sind bei einem solchen Jubiläum natürlich die Fotos der Gründer und Gründerinnen der Organisation, ergänzt durch Bilder jener, die den Faschismus nicht überlebt haben. Viele Männer und wenige Frauen sind da zu sehen, bei Demonstrationen, auf Kongressen, oft an Rednerpulten. Ihre unterschiedliche politische Herkunft ist äußerlich kaum auszumachen. Politik wurde, so sie auf Fotos festgehalten ist, auch bei uns vor allem in Anzügen gemacht.

Die gravierenden Veränderungen in den vergangenen 75 Jahren bezeugt allein ein Vergleich dieser Fotos mit Aufnahmen vom letzten Bundeskongress der VVN-BdA, der im April in Frankfurt/Main stattgefunden hat. Notgedrungen ein Kongress, der halb online, halb in Präsenz abgehalten wurde, was auch für einen kulturellen Wandel steht. Doch viel wichtiger sind die Protagonistinnen, die die Verantwortung für das Gelingen des Kongresses und die Arbeit heute tragen. Viele Jüngere unter 40 Jahren sind dabei, aus migrantischen Strukturen, autonomen oder feministischen Zusammenhängen kommend, haben sie den Weg in die VVN gefunden. Daneben Ältere und Alte, im traditionellen politischen Spektrum sozialisiert, religiös Gebundene und Gewerkschafter*innen – eine bunte Mischung auch äußerlich Verschiedener, die es so in der VVN-BdA noch nicht gegeben hat.

Die VVN-BdA ist stets auch präsent bei Bündnisprotesten gegen Aufzüge von Neonazis und RassistInnen, wie hier im April 2012 in Berlin-Neukölln Foto: Christian Ditsch

Die VVN-BdA ist stets auch präsent bei Bündnisprotesten gegen Aufzüge von Neonazis und RassistInnen, wie hier im April 2012 in Berlin-Neukölln
Foto: Christian Ditsch

Das bedeutet, auch in unserer Vereinigung spiegelt sich die Tendenz wachsender Diversität und Pluralität in der Gesellschaft wider. Und das ist auch nötig, denn die größten Feinde dieser Entwicklung sind Nazis jeder Couleur. Ihr Ideal einer homogenen, rassisch, kulturell oder ideologisch geschlossenen Gesellschaft grenzt alle aus, die anders aussehen, reden, lieben und leben und damit nicht ihren Kriterien entsprechen. Deshalb ist und bleibt Antifaschismus für eine demokratische und offene Gesellschaft unverzichtbar. Der politische Rechtsruck der letzten Jahre und die zunehmende Polarisierung hat diese Überzeugung bei vielen Menschen gestärkt. Sie wollen ohne Nazis leben und auch selbst etwas dafür tun. So hat sich in nicht einmal zwei Jahren die Zahl der Mitglieder der VVN-BdA um knapp 2.000 erhöht. Die »Neuen« stammen aus unterschiedlichen Milieus, sie bringen andere Erfahrungen, divergierende Ansichten und neue Ideen mit. Der Antifaschismus ist diverser geworden. Das eröffnet neue Perspektiven, birgt aber auch einige Herausforderungen.

Die Herausforderungen betreffen vor allem zwei Bereiche: den der Beziehungsgestaltung und den der Organisation. Verschiedenheit als Ressource und Gewinn zu erleben, setzt gemeinsame Werte wie Offenheit, Gleichheit und Vertrauen voraus. Eigentlich originär antifaschistische Werte, doch die Erfahrung zeigt, dass die Akzeptanz von Anderssein oft von allen Beteiligten geübt werden muss. Am besten hilft, im Gespräch zu bleiben und gemeinsam in Aktionen zu gehen. Seit vielen Jahren sind Vertreterinnen und Vertreter der VVN-BdA in kleinen und großen Bündnissen aktiv. Ihre dort entwickelten Haltungen, die gute Bündnisarbeit möglich machen, auch nach innen zu kultivieren, könnte ein Schritt zum Gelingen sein.

In Bezug auf Organisationsfragen ist die VVN-BdA bei ihrem Neustart vor 30 Jahren bereits einen großen Schritt gegangen, als sie sich vom Prinzip des Zentralismus verabschiedete, das in vielen politischen Organisationen bis heute vorherrschend ist. Daraus erwuchs die Möglichkeit, die Vorteile einer bundesweiten Organisation mit denen selbstständiger Kreisorganisationen zu verbinden. Doch inzwischen sind die Strukturen vielfältiger geworden, Arbeitsgruppen, Kommissionen und Projekte sind entstanden, deren horizontale Vernetzung möglich und sinnvoll erscheint. Die technische Basis für Online-Konferenzen ist inzwischen vielerorts vorhanden, sie ermöglicht, ohne großen Aufwand Erfahrungen auszutauschen, Aktionen abzustimmen oder über Probleme zu diskutieren. Was daraus wachsen kann, sind Formen von Selbstorganisation, deren Möglichkeiten noch gar nicht abzusehen sind.

Doch wie in jedem Entwicklungsprozess ist es genauso wichtig, das richtige Maß von Kontinuität in der Erneuerung zu bewahren, damit unsere 75 Jahre alte Organisation auch erkennbar bleibt  – für ihre Mitglieder wie für das politische Umfeld. Bei den bisher erfolgten drei Generationswechseln in der VVN-BdA ist das gelungen, weil in den Gremien des Verbandes Jüngere nachrückten und Ältere blieben und so alle voneinander lernen konnten. Mit dem Zustrom von Mitgliedern aus neuen Milieus wächst zudem die Notwendigkeit, die politischen Grundpositionen des Verbandes auch in ihrem historischen Gewachsensein nachvollziehbar zu machen. Genügend Material liegt in den Archiven und die Generation 70 + kann ihre Erfahrungen noch übermitteln. Starten wir also Gesprächsreihen zur Geschichte der VVN!