Netzwerk der Intoleranten

geschrieben von Lina Dahm

9. September 2021

Datenleck bei rechtem Kampagnenprojekt CitizenGo

Matteo Fraioli, der Campaigns Director von CitizenGo aus Italien gibt sich kämpferisch: »Wir werden niemals aufgeben! Wir werden weiterhin unsere Stimme erheben, das Leben, die Familie und die Freiheit zu verteidigen.« Im Hintergrund ist das Gebäude des EU-Parlaments in Brüssel zu sehen, in dem die Abgeordneten kurz zuvor den sogenannten Mati-Report verabschiedet haben.

Fraioli ist Teil einer Delegation, die an diesem Tag rund 350.000 Unterschriften an die Mitglieder der Europäischen Volkspartei übergeben. Sie wollen damit erreichen, dass die Abgeordneten gegen den Bericht stimmen, der sexuelle und reproduktive Gerechtigkeit sowie LGBTIQ*-inklusive Bildung und Sexualaufklärung an europäischen Schulen gewährleisten soll. Die Aktion vor dem Parlament ist der vorläufige Abschluss einer Kampagne, hinter der die rechtskonservative Stiftung CitizenGo steht.

CitizenGo ist über die Jahre zu einer der zentralen Akteurinnen eines international agierenden Netzwerks antifeministischer, rechter und christlich-fundamentalistischer Gruppen geworden. Vorsitzender ist Ignacio Arsuaga, der die Organisation 2012 gegründet hat und seither all denen eine Plattform bietet, die gegen Schwangerschaftsabbrüche, Gleichstellung und die Rechte von Schwulen, Lesben, Queers, Trans- und Inter-Personen (LGBTIQ) kämpfen. Mitte August 2021 berichteten die taz und weitere Medien aus Spanien, Italien und Mexiko über CitizenGo. Grundlage der Berichterstattung sind rund 17.000 Dokumente, die den Journalist*innen zugespielt wurden. Die Dateien stammen von einer Hackergruppe, die sich 2017 Zugang zu persönlichen Dokumenten Arsuagas verschafft hatten. Zeitgleich zur Veröffentlichung der Artikel wurden die Finanzberichte, Strategiepapiere und Listen von Spender*innen vom Anfang der 2000er Jahre bis 2017 auf Wikileaks der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Unterstützung durch die sogenannte Mitte

»Bus der Meinungsfreiheit« mit dem Logo des Geldgebers CitizenGo

»Bus der Meinungsfreiheit« mit dem Logo des Geldgebers CitizenGo

Die Dokumente zeigen, wie sich die Organisation finanziert, wie sie agiert, welche Verbindungen sie unterhält und dass man »sich in einem Kulturkampf, einem Kampf zwischen der Kultur des Lebens und der Kultur des Todes« sieht. Millionäre wie der russische Oligarch Konstantin Malofejew leisteten die Anschubfinanzierung und halfen und helfen Arsuaga dabei, die Organisationen aufzubauen und zu professionalisieren. Es ist, so beschrieb es die taz, »vor allem das westdeutsche katholische Bürgertum«, das für den Aufbau der deutschen Sektion spendet. Diese Geldquelle ist nicht versiegt, wie ein Blick in die Finanzberichte der letzten Jahre zeigt. Allein 2020 sammelte CitizenGo über vier Millionen Euro an Spenden, so viel wie nie zuvor. Das Geld fließt in Projekte, mit denen um »das Leben, die Familie und die Freiheit« gekämpft wird, wie es auf der Webseite oder auch von Fraioli in Brüssel verkündet wird.

Der Kampf wird online und auf der Straße geführt. Immer wieder tourt der »Bus der Meinungsfreiheit« durch Deutschland. Zuletzt machten Hedwig von Beverfoerde und ihre homofeindliche Initiative »Demo für alle« 2020 in elf Städten mit dem orangen Reisebus halt. An der Seite des Busses prangt das Logo von CitizenGo. Schwerpunkt sind jedoch die Vielzahl an Petitionen, welche über die CitizenGo-Plattform verbreitet werden. Mit diesen wird Stimmung gemacht gegen die »Gender-Ideologie«, »LGBT-Indoktrination« und immer wieder Schwangerschaftsabbrüche.

Gerade reproduktive Rechte sind von Beginn an zentrales Thema auf der Plattform. Das verwundert nicht, denn für rechte und extrem rechte Akteur*innen ist der reproduktionsfähige Körper seit jeher zentrales Kampf- und Aktionsfeld. Sie nutzen Geschlechter- und Familienpolitik als Scharnier zur sogenannten bürgerlichen Mitte, wo antifeministische Ressentiments weit verbreitet sind.

Keine Petition ist sinnlos

Der erste große Erfolg von CitizenGo im Jahr 2013 war entsprechend ein Anti-Choice-Thema. Eine schlagkräftige Kampagne verhinderte damals die Verabschiedung des Estrela-Berichts für sexuelle und reproduktive Gesundheit. Es scheint, als ob sich acht Jahre später das Kräfteverhältnis gewandelt hat. Trotz großer Mobilisierungen und Kampagnen von rechts wurde der Mati-Report am 23. Juni mit 378 gegen 255 Stimmen verabschiedet. Eine Niederlage, welche die Aktivist*innen erst mal verkraften müssen.

Doch, so stellt die taz heraus, »keine Petition ist sinnlos«, denn gerade Themen wie Schwangerschaftsabbruch erreichen viele Menschen und sprechen sie emotional an. Jede*r Unterzeichner*in liefert dem Netzwerk Informationen über mögliche Spender*innen. Das hat sich herumgesprochen. Im April dieses Jahres erstellte der Heidelberger Anti-Choice-Verein »pro femina« eine Petition mit dem Titel »Keine Abtreibung bis zur Geburt« mit dem Ziel 100.000 Unterschriften zu sammeln. Mitte August zeigt der Zähler auf der Webseite 26.214 Unterstützer. Eine Menge potentieller Geldgeber*innen.

Die Dokumente auf Wikileaks: wikileaks.org/intolerancenetwork/

Finanzberichte CitizenGo: https://www.citizengo.org/de/jahresabschluss

Am 18. September 2021 findet in Berlin erneut der »Marsch für das Leben« statt, bei dem die sogenannte Lebensschutz-Bewegung gegen Abtreibung und Sterbehilfe protestiert. Die Demonstration wird seit 2008 von Gegenprotest begleitet, so auch dieses Jahr. Mehr Informationen gibt es unter anderem beim »What the fuck«-Bündnis: www.whatthefuck.noblogs.org

Lina Dahm ist freie Journalistin und Aktivistin aus München. Sie arbeitet schwerpunktmäßig zu Antifeminismus und der Anti-Choice-Bewegung