Wege der Opfer

geschrieben von AK Wulkow der VVN-BdA Märkisch-Oderland

6. November 2021

Antifaschistisches Wanderseminar: Das Theresienstädter Außenlager Wulkow

Vom 8. bis 10. Oktober 2021 fand das erste antifaschistische Wanderseminar der VVN-BdA Märkisch-Oderland statt. Thematisch im Mittelpunkt standen das Theresienstädter Außenlager Wulkow sowie eine bemerkenswerte Episode aus der Geschichte des beschaulichen Kurortes Buckow im Jahr 1945. Höhepunkt war die Begegnung und das Zeitzeugengespräch mit Hanuš Hron, Überlebender des Ghettos Theresienstadt und des Außenlager Wulkows. Inhaltlicher Einstieg für die rund 40 Teilnehmer*innen aus der Region und dem gesamten Bundesgebiet war am Freitag eine Filmvorführung zu Wulkow mit anschließender Diskussion.

Am Samstag wurden die Teilnehmer*innen nach dem Frühstück vom buntbemalten Bus »Otto« des KulTus e. V. aus Buckow abgeholt und ins 18 Kilometer entfernte Hermersdorf gefahren – dort stießen noch einige Wander*innen zur Gruppe hinzu. Der Startpunkt stand im Zusammenhang mit einer 1995 eingeweihten Gedenktafel für die jüdischen Inhaftierten in Wulkow und einem weiteren Lager an der Straße zwischen Wulkow und Hermersdorf. Nach der Begrüßung durch Tanja Kinzel und Nils Weigt vom frisch gegründeten Arbeitskreis (AK) Wulkow ging es bei Sonnenschein und herbstlichen zehn Grad los in Richtung Wulkow.

Hanuš Hron, der vermutlich letzte Überlebende von Wulkow, freute sich im Schloss Trebnitz über ein überreichtes VVN-BdA-Halstuch.

Hanuš Hron, der vermutlich letzte Überlebende von Wulkow, freute sich im Schloss Trebnitz über ein überreichtes VVN-BdA-Halstuch.

Nach Ankunft am Rande des Dorfes gab es eine erste längere Pause. In dieser thematisierten die Mitglieder vom AK anhand von Biographien die Wege der Opfer in das Ghetto Theresienstadt und weiter in das Außenlager Wulkow. Der Pausenspot wurde unter anderem gewählt, um die Nähe zwischen Lager und Ort aufzuzeigen und um einen Überblick über das Lager Wulkow zu geben. Das Lager bestand von März 1944 bis Februar 1945. Rund 260 Jüdinnen und Juden aus dem Theresienstädter Ghetto mussten dort in Zwangsarbeit ein Ausweichquartier für das Reichssicherheitshauptamt sowie weitere NS-Dienststellen errichten. Die Geschichte dieses Ortes unter anderem mit einer Gedenkhomepage bekannter zu machen, ist das Ziel des AK Wulkow.

Nach dieser inhaltlichen Einführung erkundeten die Teilnehmer*innen den historischen Ort, darunter die immer noch sichtbare Sandgrube, in der die Häftlinge eine Zeit lang in selbstgebauten Baracken untergebracht waren, sowie einige Fundamentreste. Noch während der Spurensuche erreichte die Teilnehmenden die Nachricht, dass Hanuš Hron, der vermutlich letzte Überlebende von Wulkow, der am Morgen in der Nähe von Karlovy Vary abgeholt worden war, bereits das sechs Kilometer entfernte Schloss Trebnitz erreicht hatte, wo am Nachmittag ein Zeitzeugengespräch mit ihm beginnen sollte. Vorher wollte er jedoch unbedingt gemeinsam mit der Wandergruppe seinen ehemaligen Leidensort besuchen. So wanderten die Teilnehmer*innen schnurstracks nach Trebnitz, um ihn dort abzuholen und mit ihm gemeinsam mit dem Bus nach Wulkow zurückzukehren.

Nach einem emotionalen und beeindruckenden Besuch des ehemaligen Lagergeländes kehrte die Gruppe mit Hanuš nach Trebnitz zurück. Bei dem gemeinsam mit dem »Schloss Trebnitz – Bildungs- und Begegnungsstätte e. V.« organisierten Gespräch war der Saal der großen Feldsteinscheune mit rund 100 Personen bis auf den letzten Platz belegt. Die Teilnehmer*innen, darunter viele aus der unmittelbaren Umgebung, wollten sich die einmalige Gelegenheit, den 97jährigen Hanuš Hron zu erleben, nicht entgehen lassen. Das Gespräch wurde von Susanna Harms moderiert, deren Großvater Heinrich Rimpel ebenfalls im Lager Wulkow inhaftiert war. Hanuš’ Erinnerungen, bei denen immer wieder sein wunderbarer Humor zum Vorschein kam, wurde am Ende mit stehenden Ovationen quittiert.

Antifaschistische Wanderung durchMärkisch-Oderland

Antifaschistische Wanderung durchMärkisch-Oderland. Fotos AK Wulkow

Am Sonntag wartete schließlich ein weiteres spannendes Thema auf die Teilnehmer*innen: Das Schicksal von 20.000 befreiten italienischen Zwangsarbeitern, die in Buckow von Mai bis September 1945 untergebracht waren. Nach einer kurzen und schönen Wanderung traf die Gruppe auf dem sonnenüberfluteten ehemaligen Fußballplatz, einem historischen Ort, auf Aino Stratemann aus Buckow, Mitinitiatorin der Übersetzung des Tagebuchs von Mario Magonio, einem der befreiten Zwangsarbeiter. Nach einem kurzen Einführungsvortrag von Aino lasen Kira Güttinger und Nils Weigt aus »Mario Magonio. Tagebuch einer Gefangenschaft 16. Juni 1944 – 1. Oktober 1945«. Im Anschluss besuchten die Teilnehmer*innen gemeinsam mit Aino den Stein zum Gedenken an diesen lange Zeit vergessenen Abschnitt der Buckower Geschichte auf dem Friedhof. Die letzte Station des Wanderseminars führte die Gruppe zum sowjetischen Fliegerdenkmal, bevor das Wanderseminar bei Kaffee und Kuchen im linksalternativen »Lokal« ausklang.

NS-Verbrechensorte und Orte des Widerstands im ländlichen Raum sichtbar zu machen, auch gegen eventuelle Widerstände, ist und bleibt ein wichtiges Anliegen. Schieflagen der hegemonialen Erinnerungskultur (Erinnerungsstolz bei gleichzeitiger Schlussstrichdebatte) und Angriffe auf das Gedenken wie der Diebstahl der Gedenktafel im Gamengrund (Tiefensee) zeigen, wie notwendig antifaschistisches Gedenken und antifaschistische Bildungsarbeit sind. Ohne die Arbeit von lokalen Initiativen wäre die Tafel dort nicht ersetzt worden und der Ort eines konspirativen Treffens von Berliner Antifaschist*innen im Jahr 1941 geschichtslos geworden.