Antagonistisch denken

geschrieben von Thomas Willms

7. Januar 2022

Afropessimismus: Überwältigungsliteratur unter dem Deckmantel kritischer Theorie

Die Postulate des Universalismus sind seit jeher von zwei Seiten her unter Beschuss – zum einen von der extremen Rechten, die die Idee von der Ganzheit der Menschheit prinzipiell bestreitet und Rechte nur jeweils biologistisch oder kulturell definierten Menschengruppen zubilligt – zum anderen von der extremen Linken, die »Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit« erstrebenswert findet, aber ihre praktische Umsetzung für Lug und Trug hält. Letztere Gruppe splittert sich immer stärker in diverse -soziokulturelle Bezugsgruppen und »Identitäten« auf, die nicht mehr für das imaginäre Ganze, sondern für sich allein kämpfen, was nur mühsam durch die Vorstellung von der Intersektionalität (»in den verschiedenen Feldern kämpfen, aber doch gemeinsam«) zusammengehalten wird.

Anspruch: Kritik am Universalismus

Das hier zu besprechende Werk »Afropessimism« des schwarzen US-amerikanischen Intellektuellen Frank Wilderson nimmt für sich in Anspruch, die »kritische« Kritik am Universalismus bis zu seinem vollständigen und radikalen Schluss zu führen. Die breite und durchaus wohlwollende Aufnahme, die es auch in Deutschland erfährt, macht es leider notwendig, sich damit genauer zu beschäftigen.

Formal ist es schwer zu fassen. Am besten begreift man es als Film und montiert ihn sich neu (wie es bei komplizierten Spielfilmen hilfreich ist). Ein chronologischer, nämlich autobiographischer Strang wird immer wieder durch Detailreflexionen über Filme und ideologische Erklärungen, die Wilderson für »Theorie« hält, durchbrochen. Theorien deshalb in Anführungszeichen, weil sie zwar das Vokabular der Literaturwissenschaft und anderer Sozialwissenschaften verwenden, aber den Prinzipien der Theoriebildung widersprechen. Es handelt sich um ärgerlich redundante Behauptungen und Festlegungen, die anekdotisch, aber nicht systematisch belegt werden. Sie haben den Charakter eines religiösen Erweckungserlebnisses, das sich nun einmal nicht beweisen, sondern nur schildern und von allen Seiten beleuchten lässt.

Frank B. Wilderson: Afropessimism. Englische Ausgabe 2020 Liveright, 352 Seiten, 28,62 Euro. Auf deutsch im September 2021 bei Seitz erschienen, 415 Seiten, 28 Euro

Frank B. Wilderson: Afropessimism. Englische Ausgabe 2020 Liveright, 352 Seiten, 28,62 Euro. Auf deutsch im September 2021 bei Seitz erschienen, 415 Seiten, 28 Euro

Was »Afropessimism« einzigartig macht, ist, dass sich hier ein hervorragender Schriftsteller, der Erzählungen mit großer Sensibilität und lyrischer Kraft hervorbringen kann, in monströs plumpe Ideologie versteigt. Aus dem vormaligen Kommunisten wurde ein »Afropessimist«, der erkannt haben will, was die Welt wirklich zusammenhält, nämlich dass Schwarze (Wilderson spricht grundsätzlich von »Blacks«) keine Menschen im eigentlichen Sinne seien. Wilderson ist der Ansicht, dass die Zeit der Sklaverei nie geendet habe und dass alle Schwarzen in den USA (zu den massiven Verzerrungen des Buches gehört ein extremer US-Zentrismus) immer noch Sklaven seien. Zwar gäbe es auch andere unterdrückte soziale Gruppen – Frauen, native Americans, Latinos usw. –, aber all ihr Leiden und ihre Probleme ständen in keinem Verhältnis zu denen der Schwarzen, da es ihnen prinzipiell möglich sei, in den Rang der Weißen aufzusteigen, den Schwarzen aber nicht. »Blackness«, das soziale Totsein der Schwarzen, sei konstituierend für die Gesellschaft der Weißen. Solidarität zwischen diesen unterdrückten sozialen Gruppen – in Wirklichkeit Kollaborateure der Weißen – einerseits und den Schwarzen könne es deshalb nicht geben.

Daraus resultiere das Recht der Schwarzen zur Vorteilsnahme – die einzige Möglichkeit für Weiße, mit Schwarzen »solidarisch« zu sein, besteht für ihn darin, sich ihre Vorwürfe geduldig und ohne Widerworte anzuhören und die Raummiete zu bezahlen. Sollte es doch einmal vorkommen, dass Schwarze Macht über andere ausüben, sei dies nur vordergründig und ändere nichts an den wirklichen Verhältnissen. Dies wird in einer Meditation zum Thema »Vergewaltigung einer weißen Frau durch einen schwarzen Mann« exemplifiziert, die zu dem Ergebnis kommt, dass in Wirklichkeit der schwarze Mann immer der Vergewaltigte ist. Dass dieser schematische Rigorismus nicht einfach das Ergebnis eines plötzlichen Einfalls ist, macht Wilderson vielleicht unfreiwillig in seinem autobiographischen Erzählstrang deutlich.

Tief sitzender Alltagsrassismus

Ein sensibler und intelligenter Junge aus einer Familie angesehener Bürgerrechtler verzweifelt am tief sitzenden Alltagsrassismus seines Landes, begehrt auf und stolpert durch ein bewegtes Leben, an dessen Ende eine Professur steht. Er lernt in Antagonismen zu denken: Er wird zum Pro-Palästinenser, der nur die Zerstörung des Staates Israel gelten lassen kann; zum Aktienhändler, der Kunden am Telefon überfällt; zum Agenten der Gegenspionage des südafrikanischen ANC, der scheinbare Freunde der Schwarzen als Feinde überführt; zum Filmkritiker, der keine alternativen Interpretationen von Kunstwerken zulassen kann, sondern nur seine; zum zwischen Uppern und Downern schwankenden Drogenabhängigen. Welche politische Praxis lässt sich aus Wildersons Denken überhaupt herleiten? Außer der politischen Apathie für die meisten, bleibt nur der Umschlag der extremen Selbstviktimisierung in die Gewalt. Als akzeptable politische Tätigkeit lässt er konsequenterweise nur den Terrorismus der »Black Liberation Army« der 1960er bis 1980er Jahre gelten.