Bürokratie des Massenmords

geschrieben von Ulrich Schneider

7. Januar 2022

Vor 80 Jahren: Wannsee-Konferenz und die »Endlösung der Judenfrage«

Nach dem Beginn des Vernichtungskriegs im Osten und den ersten Morden mit Giftgas in den Vernichtungslagern seit Mitte 1941, bei denen erste Erfahrungen in der »technischen Umsetzung« gesammelt wurden, ging es auf der »Wannsee-Konferenz« am 20. Januar 1942 im Wesentlichen um die organisatorische Seite der »Endlösung der Judenfrage«.

Auf Einladung des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD, Reinhard Heydrich, kamen 15 hohe Behördenvertreter und SS-Führer, Staatssekretäre, Vertreter des »Reichssicherheitshauptamtes« (RSHA), der Sicherheitspolizei und des SD, die alle für die östlichen Besatzungsgebiete zuständig waren, zusammen, um die Deportation aller europäischen Juden in die eroberten Gebiete in Osteuropa zu besprechen. Alle Beteiligten waren sich dessen bewusst, dass mit dieser Deportation die Vernichtung der Menschen verbunden war. Nicht nur in der Ideologie, sondern in der politischen Praxis teilten zu diesem Zeitpunkt alle Verantwortlichen den Standpunkt, dass jüdische Menschen und Sinti und Roma als »Untermenschen« und »Volksschädlinge« im faschistischen »Tausendjährigen Reich« kein Lebensrecht mehr besaßen.

In dem von SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, »Judenreferent« im RSHA, verfassten Besprechungsprotokoll heißt es: »Im Zuge dieser Endlösung der europäischen Juden kommen rund 11 Millionen Juden in Betracht. (…) Im Zuge der praktischen Durchführung der Endlösung wird Europa von Westen nach Osten durchkämmt. (…) Die evakuierten Juden werden zunächst Zug um Zug in sogenannte Durchgangsghettos verbracht, um von dort weiter nach dem Osten transportiert zu werden.« Der Vertreter des Generalgouvernements ist mit den Mordplänen völlig einverstanden und erklärt – ausweislich des Protokolls –, »dass das Generalgouvernement es begrüßen würde, wenn mit der Endlösung dieser Frage im Generalgouvernement begonnen würde, weil einmal hier das Transportproblem keine übergeordnete Rolle spielt und arbeitseinsatzmäßige Gründe den Lauf dieser Aktion nicht behindern würden. (…) Von den in Frage kommenden etwa 2,5 Millionen Juden sei überdies die Mehrzahl der Fälle arbeitsunfähig.«

Der ausführlichste Diskussionspunkt auf dieser Beratung war – nach dem Protokoll – die »Lösung der Mischehen- und Mischlingsfrage«. »Mit der Bitte des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD an die Besprechungsteilnehmer, ihm bei der Durchführung der Lösungsarbeiten entsprechende Unterstützung zu gewähren, wurde die Besprechung geschlossen.« (zit. nach Léon Poliakov/Josef Wulf (Hg.): Das Dritte Reich und die Juden. Berlin 1963, S. 70 ff.)

Die Dauerausstellung »Die Besprechung am Wannsee und der Mord an den europäischen Jüdinnen und Juden« ist kostenlos Montag bis Freitag 10 bis 18 Uhr zu besichtigen (Am Großen Wannsee 56–58, Berlin), pandemiebedingte Änderungen möglich. Ein »Making of« befindet sich auf ghwk.de. Die Ausstellung wird auch online auf Deutsch, Englisch, Polnisch, demnächst Russisch angeboten. Foto: GHWK Berlin, Thomas Bruns

Die Dauerausstellung »Die Besprechung am Wannsee und der Mord an den europäischen Jüdinnen und Juden« ist kostenlos Montag bis Freitag 10 bis 18 Uhr zu besichtigen (Am Großen Wannsee 56–58, Berlin), pandemiebedingte Änderungen möglich. Ein »Making of« befindet sich auf ghwk.de. Die Ausstellung wird auch online auf Deutsch, Englisch, Polnisch, demnächst Russisch angeboten.
Foto: GHWK Berlin, Thomas Bruns

Damit alle Beteiligten dieser Mordaktionen sicher sein konnten, dem »Willen des Führers« entsprechend zu handeln, verbreitete das NS-Regime am 24. Februar 1942 eine Proklamation von Adolf Hitler an die NSDAP-Mitglieder über »die endgültige Auseinandersetzung und Abrechnung mit jener Verschwörung, die von den Bankhäusern der plutokratischen Welt bis in die Gewölbe des Kremls das gleiche Ziel verfolgt: Ausrottung der arischen Völker und Menschen.

Uns alten Nationalsozialisten (…) ist die Gemeinschaft von jüdischem Kapitalismus und Kommunismus nichts Neues.« Er erinnerte an seine »Prophezeiung«, dass »durch diesen Krieg nicht die arische Menschheit vernichtet, sondern der Jude ausgerottet werden wird«. (zit. nach Kurt Pätzold (Hg.): Verfolgung, Vertreibung, Vernichtung. Leipzig 1983, S. 345 f.)

Eichmann verschickte in den folgenden Tagen einen »Schnellbrief« an die Staatspolizeistellen: »Die in der letzten Zeit in einzelnen Gebieten durchgeführte Evakuierung von Juden nach dem Osten stellen den Beginn der Endlösung der Judenfrage im Altreich, der Ostmark und im Protektorat Böhmen und Mähren dar.« Die Gestapo-Stellen wurden aufgefordert, alle noch im Reichsgebiet lebenden jüdischen Menschen festzustellen und deren Zahl dem RSHA zu melden. In »Richtlinien zur technischen Durchführung der Evakuierung von Juden in das Generalgouvernement« wurde die Deportation bürokratisch geregelt. Ab Mitte März 1942 begann die industrielle Massenvernichtung im Rahmen der »Aktion Reinhard«. Die Voraussetzung dafür war die Betriebsfähigkeit der Vernichtungslager. Im Mai 1942 begannen die Morde im Vernichtungslager Sobibor, Anfang Juni in Auschwitz-Birkenau, Mitte Juli 1942 in der Mordstätte Treblinka.

Wie kann man diesen Spagat zwischen bürokratischer Planung und Massenverbrechen für heutige Generationen verständlich machen? Seit Anfang 2020 gibt es eine neue Ausstellung im »Haus der Wannsee-Konferenz«, in der nicht mehr der Beratungstisch im Zentrum steht. Auch die Texte sind weniger akademisch als bisher. An zahlreichen Audiostationen sowie auf herausziehbaren zusätzlichen Texttafeln lassen sich jedoch die Basisinformationen vertiefen. Der verwaltungsmäßige Charakter der Wannsee-Konferenz wird durch einen neuen Fokus auf die beteiligten Ministerien sichtbar. Ausführlicher werden auch die beruflichen und politischen Werdegänge der 15 Teilnehmer an der »Besprechung mit anschließendem Frühstück« dargestellt.