Nicht neutral

geschrieben von cobratheater.cobra

7. Januar 2022

Gastbeitrag des Kinder- und Jugendtheaters cobratheater.cobra

Wozu Theater? Diese dem Theaterbetrieb wohl innenliegende Frage stellten wir uns angesichts der Bundestagswahl 2017 noch mal neu. Denn knapp sechs Millionen Menschen wählten 94 erklärte Feinde der offenen, pluralen und demokratischen Gesellschaft in das deutsche Parlament. Vor diesem Hintergrund hielten wir, cobratheater.cobra, es für dringend notwendig, uns, auch als professionelle Theatermacher:innen, zu positionieren. Wir wollten die Möglichkeiten des Theaters als Ort, als Arbeitsweise und Kunstform nutzen, als Front, gegen die Bedrohung durch reaktionäre Gewalt, die mit dem Namen AfD nur ungenau beschrieben ist.

Widerständigkeit in Struktur und Ästhetik

Wir gründeten das Haus der digitalen Antifaschist:innen mit dem Ziel, antifaschistisches Kinder- und Jugendtheater zu produzieren und Theaterinstitutionen mit antifaschistischen Akteur:innen und Organisationen der Stadtgesellschaft zu verbinden. Wir wollten eine theaterpraktische Widerständigkeit in Struktur und Ästhetik entwickeln, die Kindern und Jugendlichen das Theater als Raum mitten in der Stadt vorstellt, den sie gemeinsam mit anderen gestalten können. Auch und gerade, wenn sie sich nicht von der weißen, bürgerlichen Mehrheitsgesellschaft repräsentiert sehen. Konsequent antifaschistisch, antirassistisch, feministisch und intersektionell.

Doch wie lassen sich Gegenstrategien, Gegenbewegungen und Ungleichheitsdiskurse in strukturelle Veränderungen übersetzen? In einem Milieu, das von sich aus jene Ungleichheitsdiskurse verinnerlicht hat und sich dessen erst allmählich bewusst wird?

Antifaschistischer Konsens im Theater?

Szene aus »German Horror -Daemonium/Story – Antifa KI« Foto: Dante Nicolai Lümmen

Szene aus »German Horror -Daemonium/Story – Antifa KI«
Foto: Dante Nicolai Lümmen

Zuerst einmal muss gefragt werden: Gibt es so etwas wie einen antifaschistischen Konsens im Theater? Es gibt Berührungsängste, denn Politik ist nicht gleich Kunst, und kulturelle Bildung ist nicht gleich politische Bildung – was das Theater aber gern annimmt. Es würde ja reichen, so die vorherrschende Meinung, das Theater im schillerschen Sinne mit Schönheit und Sprache zur moralischen Anstalt zu erklären, dann kommen die Zuschauenden schon irgendwie als aufgeklärte Demokraten – politisch gebildet – hinten raus. Zwar gibt es im Theater das Bewusstsein, Teil einer liberalen Demokratie zu sein: Wir sind »die Vielen« wird behauptet, und wenn die Nazis vor der Tür demonstrieren, wird das Licht ausgemacht. Sobald aber Akteure wie die AfD an die Tür klopfen und nach der Herkunft der Künstler:innen fragen, ist jedes Theater auf sich selbst zurückgeworfen, weil es eben auch keine Strategien erprobt hat oder solidarische Bündnisse eingegangen ist. Da wo es politisch streitbar wird, aus einer »Neutralität« herauskommt und sich positioniert, verlässt die Verantwortlichen oft genug der Mut, und sie argumentieren sich ins Hufeisen: Wenn sie ihr Theater für linke Gruppen öffnen würden, müssten sie es ja auch für die Rechten tun – aufgrund des Neutralitätsgebotes als staatlich subventionierte Institution.

Dabei ist diese politische Neutralität irreführend, weil oft falsch verstanden, denn Neutralität bedeutet nicht: frei von Werten. Hier hilft ein Blick in die Dokumente der Bundeszentrale für politische Bildung: »Werte werden in der politischen Bildung vor allem im Zusammenhang mit den politischen Grundwerten der Demokratie, z. B. Freiheit, Gleichheit oder Solidarität, thematisiert. Ihren Ausdruck finden die Grundwerte in der Menschenwürde, bzw. sie lassen sich auf die Menschenwürde zurückführen.« Und weiter heißt es: »Die Würde des Menschen ist ein Meta-Wert, der in Deutschland über jeden Interpretationsstreit erhaben ist, also außer Frage steht«. Rechte und rechtsextreme Gruppierungen achten diesen Meta-Wert nicht. Sie stellen ihn nicht nur infrage, sondern noch viel mehr, greifen ihn mit ihren sozial-darwinistischen Ansichten jeden Tag aufs Neue an.

Normatives Denken und »Kulturkampf«

Die permanente Forderung der AfD nach politischer Neutralität gegenüber kritischen, liberalen und linken Positionen in Gesellschaft und Kultur zeigt beispielhaft auf, wie Neutralität normativ gedacht wird und Teil des von rechts propagierten und produzierten »Kulturkampfes « schon längst geworden ist.

Daher muss die, von rechts konstruierte, Idee der politischen Neutralität überwunden werden und das Theater als Institution, Kunstform und Ort viel stärker noch als Werte-Akteur der offenen, antifaschistischen Gesellschaft in Erscheinung treten – oder das Theater der »Vielen« wird verschwinden, wie der Blick nach Kroatien, Ungarn, Polen, in die Türkei zeigt.

Theater muss antineutral, parteiisch und konfliktorientiert sein. Antifaschistisches Theater zu machen, ist für uns, »in Zeiten wie diesen«, keine interessante Spielplanposition, sondern eine dringliche und strukturelle Aufgabe.

Aktuelle cobratheater.cobra-Produktionen sind:

  • »Deep Inside« in Kooperation mit dem Jungen Schauspielhaus Bochum und dem JES Stuttgart, gefördert durch den Fonds Doppelpass der Kulturstiftung des Bundes zum Thema: Ich habe Nazis in der Familie und weiß nicht, was ich machen soll, voraussichtlich am 14., 15., 16.3.2022 im WUK Halle (Saale)
  • »German Horror Daemonium/Story – Antifa KI« in Kooperation mit Kampnagel Hamburg, gefördert im Sonderprogramm Autonom des Fonds Darstellende Künste und durch die Kulturbehörde Hamburg über die labyrinthischen Strukturen Rechtsextremer im Internet und die möglichen Potenziale einer Künstlichen Intelligenz als antifaschistisches Tool, vorauss. am 9., 10.3.2022 an der ARGE Salzburg und am 24., 25., 26.3.2022 am WUK Halle (Saale)

Info: cobratheatercobra.com/antifa-ai

In der antifa März/April 2021 fragten wir im Spezial nach den aktuellen Aufgaben antifaschistischer Kultur(politik) und den Bedingungen dafür. Kulturtreibende sind aufgerufen, dazu in der antifa zu schreiben

Foto:

Szene aus »German Horror -Daemonium/Story – Antifa KI«

Foto: Dante Nicolai Lümmen