Vier gegen Hitler

geschrieben von Brigitta Huhnke

7. Januar 2022

Das Vermächtnis der Helmuth-Hübener-Gruppe

Wie wird der Mensch zum Menschen? Erst die unbedingte Verantwortung für den, die anderen mache ihn zum Subjekt, so der Philosoph Emmanuel Levinas.

Die Kindheit von Helmuth Hübener verläuft eher trübe: Vater unbekannt, Halbgeschwister, Armut, Hänseleien in der Schule. Die hart arbeitende Mutter heiratet einen Mann mit »Nazinähe«, dessen Namen er tragen muss. Der Junge lebt viel bei den Großelten.

Hamburg, Lohbrügge: Vor dem Straßenschild Helmuth-Hübener-Weg werden Vorbeieilende befragt: »Kennen Sie …?« – »Nee«, »Kenne ich nicht« … »tut mir leid«. Anfang des Films: »Vier gegen Hitler. Auf den Spuren der Helmuth-Hübener-Gruppe« von Jürgen Kinter und Gerhard Brockmann. Helmuth Hübener, geboren 1925, 1942 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt, hingerichtet am 27. Oktober. Die Mitstreiter Karl-Heinz Schnibbe (geb. 1925), Rudolf Wobbe (geb. 1926), Gerhard Düwer (geb. 1924) überleben, nach langer Haft und Zwangsarbeit.

Der junge Student Mario Wienecke stimmt mit seiner Ballade »Der Widerstand lebt« ins Thema ein. Dann übernimmt Ulrich Sander, er führt durch den Film. Als Jugendlicher, Mitglied der Gruppe »Sophie Scholl Jugend«, bekommt er Ende der fünfziger Jahre das Urteil des Volksgerichtshofes in die Hände. In seiner Schule am Bullenhuser Damm, wo Kinder bestialisch ermordet worden sind, werden NS-Verbrechen geleugnet. Bis heute lässt ihn die Geschichte dieses jugendlichen Widerstandes nicht los.

Helmuth Hübener wird als eher stiller Junge beschrieben, dabei trotzdem kontaktfreudig, wissbegierig. Mit Schnibbe und Wobbe war er als Kind in der Pfadfindergruppe der Mormonen. Nach dem Verbot der religiösen Gemeinschaft müssen sie ins Jungvolk, bleiben nur kurz in der Hitlerjugend. Nach der Schule gehen sie in die Lehre. Helmuth arbeitet in der Sozialverwaltung im Bieberhaus, wo er sich mit dem Lehrling Düwer anfreundet. Schnibbe lernt Maler, Wobbe will Schlosser werden.

»Vier gegen Hitler – Auf den Spuren der Helmuth-Hübener-Gruppe«, 2021, 90 min, von Dr. Jürgen Kinter und Gerhard Brockmann, Produktion: Medienpädagogik-Zentrum Hamburg und VVN-BdA Hamburg, unterstützt von verschiedenen Kultureinrichtungen, Geschichtswerkstätten, Schulen und Einzelpersonen

»Vier gegen Hitler – Auf den Spuren der Helmuth-Hübener-Gruppe«, 2021, 90 min, von Dr. Jürgen Kinter und Gerhard Brockmann, Produktion: Medienpädagogik-Zentrum Hamburg und VVN-BdA Hamburg, unterstützt von verschiedenen Kultureinrichtungen, Geschichtswerkstätten, Schulen und Einzelpersonen

Ältere Jugendliche überzeugen Hübener, BBC zu hören, er dann seine Freunde. Die Jungen werden überzeugte »Rundfunkverbrecher«. Sie erfahren von NS-Gräueltaten. Die wiederkehrende Parole »Tut was!« wird ihnen zur Pflicht. Sie fasziniert Churchills Aufruf, das Victory-Zeichen zu verbreiten. Etwa 60 Texte entstehen, überwiegend von Helmuth verfasst: kurze, lange, oft auf roten Streuzetteln, mit klaren Aufrufen, wie »Nieder mit Hitler«, viele mit dem »V« versehen. Die Vier deponieren sie in Telefonzellen, werfen sie in Briefkästen. Eines Tages bringt eine Nazisse einen Streuzettel zur Polizei. Absender noch unbekannt. Schließlich bespitzelt Heinrich Mohns, NSDAP, Arbeitsfront, Hübener und Düwer im Bieberhaus, liefert sie der Gestapo aus. Schnibbe sieht Hübener in Hamburg nur noch einmal, im Stadthaus, schwer von Folter gezeichnet. Zum allerletzten Mal nehmen die drei Freunde von Hübener im Volksgerichtshof Abschied – nur im Augenkontakt.

Der Film bleibt bis dahin ruhig, auf Sanders Kraft des Erzählens gerichtet, unterstrichen von eingeblendeten Dokumenten. Der zweite Teil entwickelt eine andere Lebendigkeit. Wir werden nichts weniger als zu Zeuge:innen, wie Schüler:innen von Sander den Stab der Verantwortung aufnehmen.

Berlin 2020: Zum 95. Geburtstag von Helmuth Hübener wird die Schule für straffällige Jugendliche nach Hübener benannt. Zuständige des Berliner Senats sind gekommen. Höhepunkt ist die szenische Auseinandersetzung junger Inhaftierter: »Er war so alt wie wir«, heißt es im Refrain. Fast keiner der Verantwortlichen sei zur Verantwortung gezogen worden, stellt Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Plötzensee fest.

Hamburg: Der Denunziant Mohns kommt auch davon. Bereits seit 2012 ist eine Stadtteilschule in Barmbek nach Hübener benannt. Damals hat die Schule einen künstlerischen Wettbewerb ausgerufen, der alle zwei Jahre wiederholt wird. Die künstlerischen Interventionen zeigen, wie innerlich angefasst sich Jugendliche mit kreativen Methoden die Geschichte ihrer Vorbilder aneignen: Songs, Musik, szenisches Spiel, kleine Kunstwerke, Installationen, überwiegend von Mädchen gestaltet. Viele sind Kinder von Einwanderern. Eine Schülerin hat ein Logo für die Schule geprägt, aus dem Namen, die mittleren Buchstaben markiert: -»Helmuth Hübener«.

Was würde er einem jungen Menschen im Abiturjahr antworten, der ihn fragte, was Philosophie sei: »Schlaflosigkeit, als ein erneutes Erwachen inmitten der Gewissheiten«, so Levinas. Es sei »genaugenommen die Begegnung mit dem anderen Menschen, die uns zum Aufwachen ermahnt«. Auch das zeigt der Film. Zusammengefasst: Diese Auseinandersetzung mit dem Vermächtnis der Hübener-Gruppe ist ein filmisches Kleinod, nicht nur für Hamburger Schulen.

Nächste vorauss. Vorstellung: Sonntag, 30.1.2022, 17 Uhr, Kino Metropolis, Kleine Theaterstraße 10, Hamburg

DVD demnächst erhältlich für 19,80 Euro plus Versand 2,50 Euro: VVN-BdA Hamburg, zu bestellen unter: vvn-bda.hh@t-online.de