Ein Fall von gut gemeint

geschrieben von Tanja Berger

8. März 2022

Will viel, verliert aber den Fokus: Die Doku-Drama-Serie »Nazijäger«

Die Titelbilder der Doku-Serie »Nazijäger – Reise in die Finsternis« zeigen die Protagonisten samt KZ-Lagertor vor Gewitterwolken und loderndem Höllenfeuer. Auch die Beschreibung, die dokumentarischen Grundlagen des Films – die Verhörprotokolle – führten »in die tiefsten Abgründe der menschlichen Seele« (nicht etwa: »der Nazis«), winkt mit dem Zaunpfahl, jetzt »ganz Böses« zu sehen zu bekommen und lässt nichts Gutes ahnen. Dann die Überraschung: Die erste Folge lässt sich trotz des mystifizierenden Titels recht überzeugend an. Sie stellt die Protagonisten der Sondereinheit »War Crimes Investigation Unit« der britischen Armee vor und schneidet zwischen dokumentarische Aufnahmen nach der Befreiung der Konzentrationslager Szenen, in denen sich der auf der »Rattenlinie Nord« verhaftete Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß zunächst jammernd als Landarbeiter Franz Lang ausgibt. Später korrigiert er im Verhör überheblich die Zahl der unter seiner Verantwortung ermordeten Menschen deutlich nach oben. Ungläubig erwidert die Ermittlerin: »Sie brauchen nicht übertreiben. Sie sind sowieso der größte aller Massenmörder.«

Das Leugnen, die routinierten Berichte und die Kälte der Täter macht Ermittler wie Publikum fassungslos und wütend, z. B. wenn ein Lagerkommandant mit verständnisloser Miene fragt, was denn schlimm daran sei, Befehle auszuführen. Ergänzt und gebrochen werden die Spielszenen auch von Bildern einer Gruppe, die heute über das Gelände der Gedenkstätte Auschwitz geführt wird und u. a. die Kratzspuren der Fingernägel an den Gaskammerwänden betrachtet.

Die durch diese Komposition der Bilder spürbar werdende Grenze der Vermittlung der Realität der KZ-Häftlinge wird auch im Dialog reflektiert. Auf die Worte der Überlebenden: »Sie werden niemals begreifen, was in Belsen geschehen ist«, reagiert ein Ermittler, der das Lager mit befreit hat, empört: »Anita, ich war da! Ich habe es gesehen!« Sie lächelt nur kurz über den Versuch, sein Entsetzen über das, was er bei der Befreiung sehen musste, mit dem Erleben des Grauens gleichzusetzen: »Ja, du warst da – als Befreier!« Mehr muss dazu nicht gesagt werden. Sie lenkt dann den Fokus wieder auf die filmische Gegenwart, die Täter und fragt: »Warum erweisen wir den Mördern so viel Menschlichkeit?« Wie ein Teil der Ermittler verzweifelt sie darüber, dass zwar die Überführung von Höß gefeiert wird, aber unzählige Verbrecher straffrei ausgehen. Ein Verhör wird als Theaterszene, als interessantes Doku-Spiel-im-Spiel-Element inszeniert: Der Schauspieler, der den Unternehmer Tesch darstellt, der Zyklon B nach Auschwitz lieferte, präsentiert dessen Aussagen von damals in einer Halle vor heutigem Publikum. Auch das Filmteam rückt ins Bild. Dieser Verfremdungseffekt, der dem Publikum seine zuschauende Haltung vor Augen führt, öffnet einen Moment der Reflexion über die Inszenierung selbst und fordert das Publikum zur Bewertung des Gezeigten auf. In den weiteren Folgen verschiebt sich aber der Fokus der Serie, es wird nicht mehr gezeigt und bewertet, sondern nur noch Mitleid erregt und gefühlt.

Der Schauplatz wird vom Ermittlungsbüro in die Kinderbaracke von Auschwitz 1944 verlagert, um die Geschichte der Zeitzeuginnen Andra und Tatjana Bucci, bzw. ihres Cousins Sergio »nachzuspielen«. Sergio wurde mit anderen Kindern nach Neuengamme gebracht, wo Ärzte Menschenversuche an ihnen durchführten und die Kinder am Ende am Bullenhuser Damm ermordeten. So verdienstvoll es ist, diese Geschichte zu erzählen, die Inszenierung trägt zu dick auf und kippt.

Die Unterbrechung der Spielszenen durch die Berichte der überlebenden Schwestern, stellen keine Fragen oder öffnen Denkräume; sie werden von der Inszenierung regelrecht in Dienst genommen, unterstreichen deren Authentizität und verstärken sie emotional. Ein Beispiel: Die Kamera begleitet die überlebenden Schwestern beim Gang über das Gelände der Gedenkstätte. Bei den Gleisen sagen sie: »Hier hat er uns verlassen«. Im Anschluss blickt die Kamera durch ein Loch in einem Waggon, und man hört ängstliche Kinderstimmen. Wenn dann die dreckig geschminkten schauspielenden Kinder mit großen Augen in die Kamera schauen, gleitet die Serie immer mehr in Richtung Kitsch.

Auch die aufdringliche Musik oder die zunächst rätselhaften Rückblenden in die Zeit vor dem Lager, in glückliche Kindheitstage samt Kanarienvogel, Weichzeichner und atmosphärischen Klängen, helfen da nicht. Die inszenierten Verhöre, die zu Beginn gegen dokumentarische Bilder geschnitten werden, funktionieren durch den erzeugten Widerspruch als Entlarvung der Täter. Die Bebilderung des Leids der Opfer funktioniert nicht mehr. Die Serie will zu viel, verschiebt und verliert den Fokus und »endet weder als Dokumentation noch als Drama, sondern als Essayfiktionskitsch« (so Mathias Dell auf zeit.de) und in einer auf Rührung zielenden Szene, in der die Zeitzeuginnen die sie verkörpernden Kinder umarmen. Womit wir wieder beim Zaunpfahl wären, der nun nicht mit dem Bösen und dem Abgrund, sondern mit seinem guten Gegenpart Rührung und Hoffnung winkt.

Die Serie findet sich in der ARD-Mediathek.

Die Serie findet sich in der ARD-Mediathek.

»Nazijäger« lässt leider offen, was mit den Überführten geschieht: Die Lagerkommandanten Höß, Kramer und Pauly, der Unternehmer Tesch sowie der Arzt Trzebinski werden zum Tode verurteilt. Der Arzt Heißmeyer taucht unter, wird erst 1967 in der DDR verhaftet und stirbt während seiner Haft in Bautzen.

Die Ermittler der War Crimes ­Investigation Unit:

Hanns Alexander verlässt Deutschland und schwört, nie wieder dorthin zurückzukehren. Über seine Erlebnisse spricht er ungern: »Ich bin aber hasserfüllt. Es macht mich krank zu sehen, wie viele Mörder ich gehen lassen musste.« Im Dezember 2006 stirbt Alexander im Alter von 89 Jahren. Fred Pelican kehrt im September 1946 zu seiner Familie zurück. Er betreibt erfolgreich Teppichgeschäfte in London und gilt als angesehenes Mitglied der Branche. 1993 veröffentlicht er seine Memoiren »From Dachau to Dunkirk«. Anton Walter Freud wird Ende 1946 im Rang eines Majors aus der britischen Armee entlassen. Er ist 25 Jahre alt und studiert chemisches Ingenieurswesen. Er wird britischer Staatsbürger. Er spricht nie über die furchtbaren Details seiner Ermittlungen und stirbt im Februar 2004.