Er will »alle« ansprechen

geschrieben von Thomas Willms

8. März 2022

Die Bewegung Zemmours vor der Wahl in Frankreich

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird der amtierende französische Präsident Emmanuel Macron am 24. April erneut in die Stichwahl um das mächtigste politische Amt Westeuropas einziehen. Die politische Linke wird schon beim ersten Wahlgang am 10. April keine große Rolle spielen, ihre traditionellen Parteien erst recht nicht. Außen vor steht auch die linkspopulistische Bewegung »La France Insoumise« von Jean-Luc Melénchon. Der Bedeutungsrückgang der Parteien erstreckt sich aber auch auf die politische Rechte, deren konservativer Flügel als »Les Republicains«, ihr extrem rechter Flügel als »Rassenblement National« antritt, Namen, die es vor wenigen Jahren noch nicht gab und die eine »Umgründung« der UMP respektive des Front National symbolisieren sollen.

Soviel man an den althergebrachten demokratisch verfassten Parteien (nicht nur Frankreichs) auch kritisieren mag, merkt man spätestens jetzt, wofür sie gut waren: Sie verhinderten, dass einfach »irgendwer« auf der Überholspur vorbeiziehen konnte, und sie sorgten für ein »Ausmitteln« der Posi­tionen. Für die nachhaltige Zerstörung dieser Ebene der Demokratie hat gerade der Staatschef Macron gesorgt, der heute die einzige Alternative zu einer radikal rechten Präsidentschaft darstellt.

Éric Zemmour: La France n‘a dit son dernier mot. Rubempré 2021, 348 Seiten, 25,91 Euro

Éric Zemmour: La France n‘a dit son dernier mot. Rubempré 2021, 348 Seiten, 25,91 Euro

Macron war 2017 nicht der Kandidat der Bewegung »En Marche«, sondern umgekehrt »En Marche« ein willenloser Haufen ohne demokratische Verfasstheit, einzig zum Zwecke der Inthronisa­tion Macrons erfunden. Das französische politische System, dem Anschein nach viel stärker und effizienter als bspw. das deutsche, offenbarte seine Achillesferse. Gerade die Machtkonzentration in den Händen des Präsidenten macht es strukturell labil, denn es bietet die Möglichkeit zum radikalen Umbruch, ja zum »legalen Putsch«.

Wer Macrons Stichwahlgegner wird, entscheidet sich in diesen Wochen in einem Dreikampf der französischen Rechten. Man hat die Wahl zwischen Rechts, Rechter und am Rechtesten. Alle drei Kandidat*innen vertreten die Ideologie vom ­»großen Austausch«, also der rassistischen Großerzählung unserer Zeit. Die republikanische Kandidatin Valérie Pécresse, die parteiintern für »moderat« gehalten wird, hat dabei die geringsten Chancen. Rechts neben ihr, aber im Vergleich zur Wahl vor fünf Jahren deutlich weichgespült, versucht es Marine Le Pen zum dritten Mal.

Das Unglaubliche ist aber, dass Le Pen sogar noch von rechts überholt zu werden droht, und zwar vom »Einzelkandidaten« Éric Zemmour. Was den algerienstämmigen Juden Zemmour dazu treibt, zum Leitwolf einer katholisch-weißen Gegenbewegung zur Moderne werden zu wollen, muss die Psychologie beantworten. Politisch wichtiger ist, dass seine Bewegung »Reconquête« (Wiedereroberung/Rückeroberung) genauso eine Luftnummer ist wie En Marche. Man wird bei ihr »Anhänger«, nicht Mitglied. Gab es bei Macron noch den Widerspruch zwischen Form und Inhalt, sind diese bei Zemmour kongruent. Reconquête (der Name spielt auf die spanische Reconquista des 11. bis 15. Jahrhunderts an) ist dabei so offensichtlich künstlich und konstruiert, dass es beim Zusehen wehtut. Man muss gar nicht nach geheimen Geldgebern suchen, denn dass sie vom rechtsgerichteten Medienmogul Vincent Bolloré finanziert wird, weiß jeder. Dass sich in ihr das Abenteuer ihres Lebens erwartende junge Menschen, Hooligans, denen man gesagt hat, dass sie sich ordentlich anziehen sollen, und feiste Unternehmer wie aus einem linken Propagandafilm von 1930 zusammenfinden sollen, macht einem die Bildregie von Zemmours Versammlungen und Social Media Postings aufdringlich deutlich. Man sieht ausschließlich Weiße, Weiße und noch mehr Weiße.

Zemmour hält sich selbst für einen großen geschichtsphilosophischen Denker. An seinen Anwürfen ist deshalb nichts Zufälliges, vielmehr entspringen sie historisch hergeleiteten Feinderklärungen gegen Individualismus, Liberalismus, Feminismus und Sozialismus. Das verbindet ihn mit Faschisten, macht ihn aber noch nicht zu einem. Er steht vielmehr für einen militanten Ultra-Konservatismus in der Tradition der französischen Konterrevolution des frühen 19. Jahrhunderts. Seine eigene Bewegung ist ihm – anders als Faschisten – nur entsorgbares Zwischenelement, als eigentliches Instrument der Macht gilt ihm der Staat, insbesondere die Polizei. Hemmungslos agitiert er für rassistische Polizeigewalt, denn alles, was Polizei tut, ist für ihn per se rechtmäßig.

Wenn man etwas Positives in dieser finsteren Geschichte lesen will, ist es der Umstand, dass das ganze Zemmour-Konstrukt als trotziges Defensivprojekt angelegt ist, also davon ausgegangen wird, dass die französische Gesellschaft eben ganz anders ist, als der Kandidat es sich erträumt. Sein aktuelles Buch trägt denn auch den kindisch-aggressiven Titel »Frankreich hat noch nicht sein letztes Wort gesprochen«. Es ist von atemberaubender Hemmungslosigkeit und will alle ansprechen und einbinden, denen in den letzten Jahrzehnten auch nur ein bisschen an weißen, kolonialistischen und männlichen Bevorzugungen verlorengegangen ist.