Regressiver Durchbruch

geschrieben von Cornelia Hildebrandt

8. März 2022

Europas rechte Parteien: Vormarsch auch dort, wo sie bisher kaum verankert waren

Betrachtet man heute die gesellschaftspolitischen Landschaften in Europa, so zeigt sich eine stärkere Dynamik auf Seiten der Rechten als auf Seiten der Linken. Selbst in Ländern, in denen extrem rechte Parteien bisher lange außerhalb des Parlaments blieben, gelang ihnen wie in Spanien 2019 mit der Vox (15 Prozent) und nun auch 2022 in Portugal mit Chega (7 Prozent) der parlamentarische Durchbruch als drittstärkste Kraft vor den Parteien der Linken.

Noch deutlicher wird die vorherrschende Dynamik, wenn man Wahlergebnisse oder derzeitige Umfragen der Linksparteien ins Verhältnis setzt zu denen extremer Rechter. In Frankreich z. B. liegt das Potenzial der drei Rechtsparteien mit Marine Le Pen (17 Prozent), Éric Zemmour (15 Prozent) und mit Valérie Pécresse (14 Prozent) bei gut 45 Prozent. Die Kandidaten der gespaltenen Linken unter Einschluss der Sozialisten und Grünen kommen auf 26 Prozent, darunter Jean-Luc Mélenchon auf elf Prozent.

In Belgien liegt die Belgische Arbeiterpartei (PTB) bei unglaublichen 18 Prozent in den Umfragen. Vor ihnen liegen der rechtsradikale Vlaams Belang mit 24 Prozent und die nationalistische Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA) mit 20 Prozent. Noch schwieriger ist die Situation in Italien: Der sozialdemokratische Partito Demokratico (PD) führt zwar in den Umfragen, doch ihm folgen die rechtsradikale Fratelli d`Italia mit 20 Prozent und die Lega mit 17 Prozent.

In Schweden erhielt bei den Wahlen 2018 die Linke acht Prozent und die Schwedendemokraten über 17 Prozent.

Cornelia Hildebrandt/Danai Koltsida/Amieke Bouma (Hg.): Left Diversity zwischen Tradition und Zukunft. Linke Parteienprojekte in Europa und ihre Potenziale. VSA-Verlag, Hamburg 2021, 400 Seiten, 19,80 Euro

Cornelia Hildebrandt/Danai Koltsida/Amieke Bouma (Hg.): Left Diversity zwischen Tradition und Zukunft. Linke Parteienprojekte in Europa und ihre Potenziale. VSA-Verlag, Hamburg 2021, 400 Seiten, 19,80 Euro

Ähnlich die Situation in Finnland mit acht Prozent für die Linksallianz und 18 Prozent für die Wahren Finnen bei den Wahlen 2019.

Auch in den Ländern Mittelosteuropas und Südosteuropas lässt sich nach 2015 ein Rechtsruck verzeichnen. Allerdings geht es hier weniger um den prozentualen Stimmenzuwachs für Parteien der extremen Rechten bei Wahlen als vielmehr um die Öffnung der Konservativen nach rechts. Erfolgreiche Rechtsparteien gibt es u. a. in Tschechien mit der extrem rechten Partei »Freiheit und direkte Demokratie« (SPD) mit etwa zehn Prozent. In der Slowakei erreichen die extremen Rechten rund 20 Prozent der Wählerschaft.

In Polen gibt es neben der nationalistisch-konservativen PIS auch die »Konföderation der Freiheit und Unabhängigkeit«, eine extrem rechte Koali­tion mit einem Potenzial von knapp sieben Prozent.

In den baltischen Ländern ist die Situation unterschiedlich. In Estland konnte die nationalistische EKRE bei den Wahlen 2019 knapp 18 Prozent erreichen und liegt derzeit in den Umfragen bei 24 Prozent. Sie gehört zusammen mit der tschechischen SPD zur extrem rechten Europafraktion »Identität und Freiheit«.

In Lettland erhielt die nationalistische Nationale Allianz elf Prozent. Sie ist mit der polnischen PIS und der litauischen Partei der polnischen Minderheit (LLRA) Teil der euroskeptischen Europafraktion der Konservativen und Reformer (ECR).

Jobbik im Wandel?

Bemerkenswert sind die Entwicklungen der Fidesz in Ungarn nach ihrem Austritt aus der Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten, EVP). Während sich diese zunehmend antisemitisch und offen faschistisch ausrichtet, ähnelt das Profil der Jobbik infolge mehrfacher Auf- und Abspaltung und dem Ausschluss ihrer extremsten Parteimitglieder einer gemäßigten Rechtspartei. Allerdings versammelt Jobbik hinter sich noch immer Teile der altbekannten Wählerschaft, während die Wähler der Fidesz sich als Wähler der Mitte verstehen, obwohl die Partei sich längst extrem rechts verortet und Ministerpräsident Viktor Orbán versucht, seine Wählerschaft weiter nach rechts zu ziehen. Nicht zuletzt angesichts dieser Entwicklung hat sich im Vorfeld der Parlamentswahlen am 3. April 2022 ein ungewöhnlich breites Oppositionsbündnis aus Sozialdemokraten, Liberalen, mehreren grünen Parteien und der Jobbik gebildet. Den erfolgreichen Probelauf dieser Regenbogenallianz gab es zu den Kommunalwahlen 2019 mit dem Ergebnis, den Bürgermeisterposten in Budapest und in anderen großen Städten zu gewinnen. Ob diese Veränderungen der Jobbik taktischer Natur sind, oder ob sich das Profil dieser Partei längerfristig verändert, muss abgewartet werden.

Und auch wenn es dieser Allianz gelingen wird, Orbán »vom Thron zu stürzen«, wird es Zeit brauchen, den Hass, mit dem dieser die ungarische Gesellschaft »vergiftet« hat, zu verdrängen. Ob Jobbik auch hierzu bereitsteht, wird man sehen.

Grundsätzlich ist es jedoch notwendig, nicht nur auf die extreme Rechte zu sehen. Die Rechtsverschiebung vollzieht sich teilweise auch bei sozial­demokratischen und vor allem konservativen Parteien. Für die Linke bedeutet dies, ihren konsequenten Kampf gegen Faschismus, Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit fortzusetzen und mit dem Kampf um gesellschaftliche Alternativen vor Ort konkret zu verbinden.

Cornelia Hildebrandt ist wissenschaftliche Referentin für Parteien und soziale Bewegungen für die Rosa-Luxemburg-Stiftung.