Beginn des rechten Terrors
13. Mai 2022
Vor 100 Jahren wurde der deutsche Außenminister Walther Rathenau ermordet
Walther Rathenau kannte die Gefahr und trug eine Pistole bei sich. Aber er hatte keine Chance. Auf dem Weg von seiner Villa in Berlin-Grunewald zu seinem Dienstsitz wurde sein Auto am 24. Juni 1922 aus einem vorbeifahrenden Fahrzeug mit einer Maschinenpistole beschossen. Ihn trafen acht Kugeln. Er erlag kurze Zeit später seinen Verletzungen.
Die Mörder handelten aus politischen Gründen. Sie gehörten als Mitglieder der Organisation Consul zum militärischen Arm einer Koalition der Feinde der jungen Republik. Sie waren Feinde der Demokratie und ihrer Vertreter in Politik, Staat und öffentlichem Leben. Zwar wurde der deutsche Außenminister von der Polizei gewarnt, aber nicht effektiv geschützt. Auch war er nicht das erste Opfer der organisierten rechten Gewalt, die neben Vertretern der Arbeiterparteien und der Gewerkschaften auch die Symbolfiguren des Staates im Fokus hatte. Bereits am 26. August 1921 hatten Mitglieder der Organisation Consul den ehemaligen Finanzminister und deutschen Beauftragten zur Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens am Ende des Ersten Weltkrieges, den Zentrumspolitiker Matthias Erzberger, ermordet. Auf den sozialdemokratischen Politiker und Kasseler Oberbürgermeister Philipp Scheidemann war am 24. Juni ein Mordversuch unternommen worden, der nur knapp scheiterte. Auch der Fraktionsvorsitzende der USPD im bayerischen Landtag, Karl Gareis, fiel am 9. Juni 1921 einem von hunderten sogenannten Fememorden während der Weimarer Republik zum Opfer.
Der ehemalige Spiegel-Journalist Thomas Hüetlin hat über diesen Stoff ein spannendes Buch im Stil eines True-Crime-Romans geschrieben. Er rekonstruiert das Innenleben der Organisation Consul, einer rechten Terrortruppe, die zu Beginn der zwanziger Jahre mit etwa 5.000 Mitgliedern in fünf Oberbezirken regional tätig war und mit 30 hauptamtlichen Mitarbeitern in der Tarnorganisation Bayerische Holzverwertungsgesellschaft in München ihren Sitz hatte. Die Organisation ging aus der Marine-Brigade Ehrhardt hervor, einem Freikorps, das 1920 offiziell aufgelöst worden war. Deren Kommandeur, Kapitän Hermann Ehrhardt, formierte die Organisation nach dem Scheitern des Kapp-Putsches aus den Reihen der Marine-Einheit. Die Brigade Erhardt hatte bereits maßgeblichen Anteil an der blutigen Niederschlagung der Novemberrevolution und der Bayerischen Räterepublik gehabt. Die Organisation Consul wurde von Reichsregierung und Reichswehrführung lange geduldet, die mit ihr und ähnlichen Bünden hofften, die Rüstungsbeschränkungen des Versailler Vertrags unterlaufen zu können. Erst nach dem Rathenau-Mord wurde die Organisation Consul auf der Grundlage des am 21. Juli 1922 erlassenen Republikschutzgesetzes verboten, lebte aber im neu gegründeten Bund Wiking wieder auf. Nach dem Mord an Matthias Erzberger wurden zwar schnell 34 Mitglieder der nationalistischen und antisemitischen Organisation Consul verhaftet, aber bald wieder freigelassen. Sie konnten ihre Planungen weiterführen und ermordeten mit Rathenau eine Symbolfigur der Republik, die für Frieden, Versöhnung und internationale Kooperation stand, für all das, wogegen die republikfeindlichen Nationalisten und später Hitler und dessen NSDAP standen.
Hüetlin beschreibt die elitäre und antisemitische Einstellung der Täter und die vergiftete Atmosphäre ihrer Männerbünde, die in Justiz, Militär und Politik erhebliche Unterstützung fanden. Deren Taten waren mehr als ein Vorspiel zur späteren Machtergreifung der Nazis. Ohne deren antiliberalen, nationalistischen und antisemitischen Hass wäre der Aufstieg der Nazis kaum möglich gewesen. Der preußische Militarismus mit seinen Kadettenanstalten wirkte hierbei wie ein Katalysator. Hüetlin beschreibt auch die auffällige Trägheit bei der strafrechtlichen Verfolgung der rechten Gewalt, die Neigung, das Thema kleinzureden. Von Einzelfällen, Alkoholeinfluss und verwirrten jungen Leuten ist da die Rede.
All das kommt uns sehr bekannt vor, wenn wir uns die Entwicklung der radikalen Rechten in den letzten Jahrzehnten anschauen und uns den nachsichtigen Umgang des Staates mit den Feinden der Demokratie vor Augen führen. Für die Demokratie und ihre Zivilgesellschaft ist die Lehre aus dem rechten Terror von damals längst klar: In einem Klima des öffentlichen Hasses kommt es zu rechter Gewalt, insbesondere dann, wenn der parlamentarische Weg zur Macht aussichtslos ist. Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke als ein weiteres aktuelleres Beispiel prominenter Opfer in der Tradition des rechten Terrors ist dabei eine weitere brutale Wegmarke. Die alltägliche rechte Gewalt gegen MigrantInnen, Linke, sozial Benachteiligte und alle Arten von Minderheiten untergräbt systematisch den Boden der Demokratie. Ob es dem Staat angesichts eines jahrzehntelang gepflegten linken Feindbildes tatsächlich gelingt, aus der Verklärung nationalistischer Aushöhlung der Demokratie herauszukommen, wird die Zukunft zeigen.
Thomas Hüetlin: Berlin, 24. Juni 1922. Der Rathenaumord und der Beginn des rechten Terrors in Deutschland. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022, 304 Seiten, 24 Euro