Nach 1945 reorganisiert
13. Mai 2022
Spannender Einstieg zu Faschismus in Italien mit Vorsicht zu genießen
Gerhard Feldbauers insgesamt gut lesbares Büchlein wirft Schlaglichter auf wesentliche Weichenstellungen des letzten Jahrhunderts italienischer Geschichte. Aus marxistisch-leninistischer Sicht wird beleuchtet, warum die Entfaschisierung Italiens scheiterte, warum sich ultrarechte Kräfte gleich nach 1945 reorganisieren und in den 60er-, 70er-Jahren mit Anschlägen und Putschversuchen die Demokratie erschüttern konnten. Um 1992/93 ging der italienische Nachkriegsparlamentarismus in einem gigantischen Korruptionsskandal unter. Seither haben weit rechts stehende bis neofaschistische Kräfte in Italien Konjunktur und waren bereits an mehreren Regierungen beteiligt oder führten diese sogar.
Geraffter und sprunghafter
Während Feldbauer die Zeit direkt vor und nach 1945 relativ ausführlich behandelt, wird seine Darstellung immer geraffter und sprunghafter, je näher sie der Gegenwart kommt. Am Ende geht dies zu Lasten der Nachvollziehbarkeit. Viele spannende Themen werden nur sehr kurz angesprochen, etwa die finanzielle Unterstützung der italienischen extremen Rechten durch US-Behörden und -Konzerne im Kalten Krieg oder die antikommunistische, mit Faschisten durchsetzte geheimdienstlich aufgebaute NATO-Untergrundstruktur »Stay behind/Gladio«. Hier gibt es leider auch wenig Hinweise auf Quellendokumente und auf weiterführende wissenschaftliche Literatur. Feldbauers Sichtweise ist klar parteiisch und fest gefügt. Offene politische oder historische Fragen und auch Forschungskontroversen werden bei ihm nicht sichtbar.
Das Überleben und Wiedererstarken des Faschismus in Italien wird vor allem dem reaktionär-bürgerlichen katholischen Kreisen und dem Vatikan sowie der massiv intervenierenden USA angelastet. Außerdem kritisiert Feldbauer vehement die in seinen Augen zu große Nachgiebigkeit und Kompromissbereitschaft der sozialistisch-kommunistischen Parteiführungen. Er wirft ihnen vor, in entscheidenden historischen Momenten ihre Massenbasis nicht mobilisiert zu haben und zu milde gegenüber den Faschisten gewesen zu sein.
Äußere Zwänge für Linke
Allerdings, so Feldbauer, unterlagen die linken Führungspersonen in der Zeit des beginnenden und des voll entwickelten Kalten Krieges auch bestimmten äußeren Zwängen. So hätte eine konsequente antifaschistisch-demokratische Neuordnung nach 1945 gegen erhebliche Teile der italienischen Bevölkerung, wenn nicht deren Mehrheit, und außerdem gegen Großbritannien und die USA gewaltsam durchgesetzt werden müssen. Die kriegsmüde und im Gegensatz zur USA noch nicht nuklear bewaffnete Sowjetunion unter Stalin wäre damals keine große Hilfe gewesen. Angesichts dessen setzten die kommunistische und die sozialistische Partei auf Verhandlung und Kompromiss. Andernfalls hätte ein blutiger und von den Linken kaum zu gewinnender Bürgerkrieg ähnlich wie in Griechenland 1945–1949 gedroht. Damit fügten sich die hegemonialen Kräfte der italienischen Linken auch einer Stalinschen Weltpolitik, der es nicht »um weltweite revolutionäre Veränderungen, sondern um die Sicherung des erreichten Einflusses auf der Grundlage der Fortsetzung einer einvernehmlichen Zusammenarbeit mit den westlichen Alliierten« ging (S. 78). Während Feldbauer diesen Teil der Geschichte nachvollziehbar erzählt, bleiben andere Zeitumstände unterbelichtet. Zu diesen Umständen gehört die Macht traditionell-katholischer Ideologie und Mentalität in großen Teilen der einfachen italienischen Bevölkerung bis tief in die sozialistisch-kommunistische Massenbasis hinein.
Feldbauer tadelt die italienische Linke, dass sie die Gefahr des Alt-, Post- und Neofaschismus nach 1945 verkannt und verdrängt hätte. Er selbst verteilt das Faschismusetikett ziemlich großzügig, so auch an Silvio Berlusconis Politik- und Regierungsstil und dessen Retortenpartei Forza Italia. Mehrmals zitiert Feldbauer mehr oder weniger prominente Stimmen, die anhand eines Einzelaspekts den Faschismusvorwurf gegen eine Partei, Person oder Institution erhoben. Feldbauer klärt den Begriff des Faschismus jedoch nirgendwo und verweist auch auf keine bestimmte Faschismustheorie oder -definition. So bleibt dieser Begriff bei ihm, wenn es um die jüngste Geschichte geht, ein Mittel der Skandalisierung und schafft es nicht zur Analysekategorie. Wenn es auf Seite 171 ohne weitere Einordnung und Erklärung heißt: »An die Stelle der unter dem Faschismus Mussolinis und Hitlers verfolgten Juden treten bei der [heutigen ultrarechten Partei] Lega die Migranten«, so trägt das weder zum Verständnis des historischen faschistischen Antisemitismus und seiner beispiellosen Verbrechen noch zum Verständnis des heutigen Rassismus der extremen Rechten etwas bei. Die Skandalisierung endet in Bagatellisierung.
Doch trotz solcher der Polemik geschuldeten Schwächen ist Feldbauers Buch lesenswert. Es kann ein Startpunkt für tiefer gehende und auf breitere Quellenbasis gestützte Beschäftigung mit der Geschichte und Gegenwart Italiens aus antifaschistischer, radikal demokratischer und humanistischer Sicht sein.
Der Autor betreibt das Internetprojekt faschismustheorie.de.