Alle waren sauer auf Berlins Polizei

geschrieben von Markus Tervooren

1. Juli 2022

Eindrücke vom 8. und 9. Mai am Sowjetischen Ehrenmal in Treptow

Aktivist*innen der Berliner VVN-BdA und befreundeter Antifagruppen haben am 8. und 9. Mai, zwei lange Tage, am Sowjetischen Ehrenmal in Treptow zugebracht. Unsere Kundgebungen wendeten sich gegen den Krieg, den Russland in der Ukraine führt, und sie waren zugleich mit dem Dank an die Befreier*innen verbunden. Kein einfaches Unterfangen. In den letzten Jahren haben wir als Organisator*innen unseres Festes zum »Tag des Sieges«, das stets unter dem Motto »Wer nicht feiert, hat verloren!« in der Nähe des Ehrenmals stattfand, das Zeigen von Nationalfahnen verhindert. Solidarität statt Nationalismus gehört(e) schließlich zum Programm! Die Fahnen der Alliierten, allen voran – wir sind in Berlin! – die Sowjetfahne, waren gerne gesehen. Спасибо, cпасибі, thank you, merci!

Und 2022? Alle waren sauer und empört über das von der Berliner Polizei am 8. Mai (Tag der Befreiung) und am 9. Mai (Tag des Sieges) verhängte Fahnenverbot: Die Boxerbrüder Klitschko in Hamburg bzw. Kiew. Der ukrainische Botschafter in Berlin. Die ukrainischen Demonstrant*innen, denen das Zeigen der Landesfahne verboten worden war. Zahlreiche Menschen postsowjetischer Provenienz, die auf russische Fahnen in allen Varianten (Zarenfahne, Donbass, Schwarzmeerflotte etc.) verzichten sollten. Nicht zu vergessen: die DKPler*innen. Und natürlich auch Antifaschist*innen, die die Fahne der Befreier*innen – das geliebte rote Tuch mit Hammer und Sichel – wie alljährlich am 8. und 9. Mai einmal öffentlich auslüften wollten.

Zuvor hatten Politik, Regierung und Polizei eine ihrer schärfsten Waffen gezückt: das Allgemeine Gesetze zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin (ASOG), anderswo als Polizeiaufgabengesetz bekannt. Es war schließlich angesagt, so Polizeipräsidentin Barbara Slowik, »das würdevolle Gedenken an 15 Gedenkstätten und Mahnmalen durch umfassende Regelungen [zu schützen], die jede Auseinandersetzung an diesen Orten verhindern sollen«. Befürchtet wurden Zusammenstöße von Gruppen der jeweiligen Fahnenträger*innen, teilweise verkleidet mit sowjetischen Uniformen und »Katjuscha« singend, die dabei »Ausrufe tätigen, die aufgrund der aktuellen Situation geeignet sind, den Krieg in der Ukraine zu billigen, zu glorifizieren oder zu verherrlichen«.

1.500 Fähnchen an 1.500 roten Nelken. Darauf zu lesen war: Нет войне!

1.500 Fähnchen an 1.500 roten Nelken. Darauf zu lesen war: Нет войне!

Am 8. Mai fiel dann auch unser Flugblatt, mit dem wir zu unserer Antikriegskundgebung am 9. Mai aufriefen, den Polizeikontrollen am Eingang des Ehrenmals zum Opfer. Da die Polizist*innen den russischsprachigen Teil – die Übersetzung des Aufrufs – nicht verstanden, wurde die Verbreitung kurzerhand untersagt. Dem Verbot fielen auch Che-Guevara- und Juri-Gagarin-T-Shirts, jugoslawische Fahnen, ein Schal mit dem Abzeichen der griechischen KP, eigentlich alles, was rote Sterne oder Hammer und Sichel zierte, anheim. Aber auch im gelb-blauen Dress ging es nicht weiter.

Am 9. Mai verbot die Polizei während der Gedenkveranstaltung der Russischen Botschaft jegliche Antikriegsparolen und -transparente. Sie stoppte die Lautsprecheranlage der VVN-BdA-Kundgebung und kassierte eine Antifa-Aktionsfahne ein. Zumindest kurzfristig wurden die Verbote über beide Tage hinweg jedoch immer wieder umgangen. Zu den befürchteten handgreiflichen Auseinandersetzungen kam es dann tatsächlich nur am Rande. Die Polizei, die das Mahnmal quasi besetzt hatte, griff schnell ein. Kriegsverherrlichende, -befürwortende, -verharmlosende Äußerungen wird es zuhauf gegeben haben, teilweise wurde dies auch bei den Gesprächen an unserem Stand deutlich. Ansonsten blieben die verbalen Auseinandersetzungen dem nicht russisch- oder ukrainisch-sprachigen Publikum und auch der Polizei meist verborgen.

Über die Versuche, Gesinnung und Meinung, Gedenken und politische Aktion in Nationalfahnen zu kleiden und damit ein Gespräch, ein gemeinsames Gedenken gar nicht erst aufkommen zu lassen, heißt es zu streiten. Hier wird politisches, ideologisches und geographisches Territorium markiert. Auch die – an diesen Tagen verbotene – Sowjetfahne wurde ganz unterschiedlich in Dienst genommen.

An den beiden Tagen wurde ein erbitterter Kampf ausgetragen. Eine gemeinsame Erinnerung an die Befreiung, die gemeinsame Freude über den Sieg über den deutschen Faschismus, die gemeinsame Trauer über jene, die dem Faschismus zum Opfer fielen, sie existiert nicht mehr. Darüber wird zu reden sein. Aber die geschichtslose Anmaßung der Behörden, die in der Nachfolge von Nazideutschland stehen, den Nachfahren der Opfer an ihren Ehrenmalen (hier liegen Tote aus allen ehemaligen Sowjetrepubliken begraben) und jenen, die der Befreiung gedenken wollen, vorzuschreiben, wie zu gedenken sei, ist von Antifaschist*innen zurückzuweisen. Die Sowjetfahne, sie gehört noch immer auf den Reichstag. Die russischen und ukrainischen Nationalfahnen, sie hätten an diesen Tagen ausgehalten werden müssen, jedenfalls von der Polizei. Wir ließen am 8. und 9. Mai 1.500 Fähnchen an 1.500 roten Nelken zurück. Darauf zu lesen war: Нет войне!

Markus Tervooren gehörte zu den Organisator*innen der antifaschistischen Kundgebungen der VVN-BdA am 8. und 9. Mai in Berlin.

Die Losung »Нет войне!« gibt es auch auf Buttons und Transparenten. Erhältlich im Webshop der VVN-BdA (kurzelinks.de/keinkrieg-button sowie kurzelinks.de/keinkrieg-transparent)