Aufklären und Einmischen

geschrieben von Nils Becker

1. Juli 2022

Eine wissenschaftliche Podcastreihe

Am Anfang standen die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Hürden, politische Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit zu machen. Für größere Institutionen der Zivilgesellschaft, deren Modell darauf beruht, permanent in der Öffentlichkeit vertreten zu sein (auch um für Spenden und Fördermittel attraktiv zu sein), fielen die zentralen Formate der Wissensvermittlung und Meinungsbildung wie (Abend-)Veranstaltungen, Vernetzungstreffen, Seminare und Verteilung von Publikationen, erst mal weg. Onlineveranstaltungen als Notbehelf brachten vielfältige Probleme mit sich. Fehlende Interaktion und Vernetzung unter den Teilnehmenden; immer wieder technische Probleme und letztlich Ausschluss von Menschen; das Verschieben von Inhalten aus tatsächlich greifbarer physischer Öffentlichkeit (z. B. die Veranstaltung in einem Stadtteilzentrum) in virtuelle Öffentlichkeiten, die keine zufälligen Begegnungen (auch bei Formaten ohne umständlichen Einladungscode) möglich machen.

Viele haben zur Vermittlung ihrer Arbeit die sogenannten Podcasts – faktisch eigene Radiosendungen – entdeckt. Sie können als Audiodatei auf dem Computer oder Handy abgehört werden. Die Tonstücke sind sehr einfach produzierbar (Mikro an, einsprechen, schneiden, hochladen, Link bewerben) und mit anderen Medien kombinierbar (z. B. kann auf längere Texte verwiesen werden). Allerdings hat auch dieses Medium nur beschränkte Möglichkeiten. Bei der Podcast-Reihe »Aufklären & Einmischen: Vor Ort«, die seit März 2020 von NSU-Watch und dem Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG), produziert wird, kommen diese zum Vorschein.

Sisyphusarbeit: 80 Folgen zum NSU seit 2018

Alle Folgen unter verband-brg.de/podcast und nsu-watch.info/podcast sowie unter dem Stichwort »Aufklären und Einmischen« bei Spotify und anderen Podcast-Plattformen

Alle Folgen unter verband-brg.de/podcast und nsu-watch.info/podcast sowie unter dem Stichwort »Aufklären und Einmischen« bei Spotify und anderen Podcast-Plattformen

NSU Watch hat seit Anfang 2018 immerhin 80 Folgen über die Aufklärung des NSU-Komplexes produziert, um die komplizierte Arbeit in 13 parlamentarischen Untersuchungsausschüssen pointiert in die Öffentlichkeit zu bringen. Spezialwissen, bei dem niemand mehr durchsteigt, sollte so vermittelbarer werden. An diesem Modell wurde nun angeknüpft und dem VBRG bzw. den angeschlossenen Opferberatungsstellen die Möglichkeit gegeben, in bisher 27 Folgen von konkreten Fällen zu berichten. Moderiert von Caro Keller (NSU-Watch) und Heike Kleffner (VBRG) kommen pro Folge bis zu sechs Personen, meist Nebenklagevertreter*innen, aber auch Journalist*innen und Aktivist*innen, die sich um Fälle von Polizeigewalt, Rassismus und rechter Gewalt kümmern, zu Wort. Dass Betroffene selbst fast nie vorkommen, wirkt ungewöhnlich, zeigt aber auf, worum es bei dem Podcast geht: keine unmittelbare Bildungsarbeit, sondern ein Austausch unter Profis zu den Themen, an denen sie gerade in ihren Kontexten arbeiten.

Im Geschehen bleiben, statt nur mal reinzuhören

Aufgrund der Länge von 45 bis 120 Minuten, mit wechselnden Sprecher*innen mit ihrem fachspezifischen Vokabular, ist es eigentlich unmöglich, beiläufig zuzuhören. Wer sich dennoch die Mühe macht, lernt nicht nur die Arbeit der z. T. noch sehr jungen Opferberatungsstellen in den Bundesländern kennen, sondern kann die Exposés zu geplanten Forschungsarbeiten, die Manuskripte von noch unveröffentlichten Büchern, die sonst in der Öffentlichkeit nicht diskutierten Nebenklagestrategien, den für die meisten doch oft unsichtbaren Druck auf die Justiz und Politik und letztlich den Aufbau und die konkrete Arbeitsweise dieses Teils der Zivilgesellschaft (teilweise abhängig von staatlichen Fördermitteln bei gleichzeitiger Distanz zu Polizei- und Geheimdiensten) gut nachvollziehen. Diesen recht prominenten Anwält*innen und Autor*innen beim Denken und Vernetzen zuzuhören ist sehr bereichernd für alle, die selber Bestandteil dieser Vernetzung sind oder es werden wollen.

Die besprochenen Fälle werden sehr genau aufbereitet und handhabbar gemacht. So der rassistische Mordversuch in Köln-Porz. 2019 schoss ein CDU-Kommunalpolitiker einem jungen Mann aus rassistischen Gründen bei einem Streit am Gartenzaun in die Schulter. Was danach passiert ist, wie sich der Betroffene Gehör verschafft hat, dass die Medien ihren Anteil am Verschweigen des rassistischen Motivs hatten und später die Mordkommission auf den extrem rechten Hintergrund des Täters hingewiesen hat, erfahren wir von der Initiative »Tatort Porz« und der Anwältin des Betroffenen, Edith Lunnebach. Sie liefert auch eine treffende Analyse des Ermittlungsmusters bei solchen Taten, nämlich dass zunächst ein politisches Motiv ausgeschlossen wird, wenn ein weißer Mann eine nicht weiße Person mit dem Tode bedroht. Auch nach den Erkenntnissen aus den NSU-Morden hat sich daran nicht viel geändert. Ein weiterer Vorteil des Podcast-Formats ist das serielle. In Folge 26 wird berichtet, wie es weitergegangen ist mit fünf Fällen, die in den letzten beiden Jahren vorgestellt wurden. Was hat sich an der Arbeit der Justiz und Polizei verändert, wo liegen weiterhin die Schwierigkeiten. Gern würde man dazu weiter ins Gespräch kommen, ist aber aufgrund des Radioformats auf den Konsum beschränkt.