Ein anderer Blick

1. Juli 2022

Das Ausstellungsprojekt »brotherland« über die rassistische Gewalt vor 30 Jahren

antifa: Eure Ausstellung »brotherland« beschreibt ihr als »visuelle Recherche über Nationalismus, Rassismus, Gewalt und geplatzte Träume«. Ein großes Feld ist dabei die Geschichte von sogenannten DDR-Vertragsarbeiter:innen und die rassistische Gewalt Anfang der 90er-Jahre, die viele von ihnen miterleben mussten. Was bewegte euch zu dem Projekt?

Thomas Jakobs: Im Grunde geht es uns darum, dass es jahrzehntelang eine mangelhafte oder auch gar keine Aufarbeitung der rassistischen Gewalt nach der »Wiedervereinigung« gab und uns hier ein anderer Blick auf diese Zeit wichtig ist. Interessanterweise sind beispielsweise im RBB und im MDR in den Jahren 2020 und 2021 doch ungewohnt differenzierte Berichte über die »Baseballschlägerjahre« erschienen. Wir wollen die Geschädigten, die ehemaligen Vertragsarbeiter:innen, aber auch Deutsche zu Wort kommen lassen. Mit verschiedenen Mitteln versuchen wir die Komplexität greifbarer zu machen, indem wir bspw. verschiedene Medien benutzten: Visuelles, Bilder, Audiodateien mit den Interviews und ebenso Berichte in textlicher Form.

antifa: Wie kam es zu dem Titel brotherland?

Martina Zaninelli: Hier haben wir eine Bezeichnung aus der DDR für Länder wie Angola, Mosambik, Vietnam oder auch Kuba gewählt. Es waren die befreundeten sozialistischen Staaten, offiziell Bruderländer genannt, mit denen es einen umfangreichen Austausch gab.

antifa: Was ist gemeint, wenn ihr von geplatzten Träumen sprecht?

M. Z.: Damit verbinden wir eine Vielzahl von Ebenen und verschiedene Perspektiven: zum Beispiel die enttäuschten Visionen vieler Vertragsarbeiter:innen, die in die DDR gekommen sind, um hier eine Ausbildung zu genießen, um dann später in ihren jeweiligen Heimatländern einen Beitrag zum Aufbau des Sozialismus leisten zu können. Oder die Enttäuschungen, die es nach dem Ende der DDR – aber vielfach schon vorher – gab. Aber auch die Widersprüchlichkeit eines Traums vieler Ostdeutscher, die die »Wende« herbeigesehnt haben und später resigniert wahrnahmen, was die »blühenden Landschaften« wirklich bedeuteten. Sicher ebenso, wie die utopischen DDR-Vorzeigestädte à la Hoyerswerda, Eisenhüttenstadt oder Rostock ab 1990 zu Orten der Gewalt werden konnten.

antifa: Wann begann eure Arbeit an dem Projekt?

Fot aus der Ausstellung: Martina Zaninelli

Foto aus der Ausstellung: Martina Zaninelli

T. J.: Wir haben uns Ende 2020, angesichts des 30. Jahrestags des rassistischen Mordes an Amadeu Antonio in Eberswalde, zusammengesetzt, und dies war gewissermaßen die Initialzündung für das Projekt. Uns war aufgefallen, dass die Auseinandersetzung mit rassistischer Gewalt nach der »Wende« vielfach mit einem klaren Fokus auf die Täter stattfand – ganz klar in einem Großteil der Medien und auch in der Bundespolitik. Da hieß es dann zu den Angriffen, warum machen denn arme Jugendliche so was? Die neuen Bewohner:innen der Bundesrepublik, die ehemaligen DDR-Bürger:innen, haben doch ihre Arbeit verloren, das war alles ganz traumatisch und schlimm für sie. Vielleicht wäre es angebracht, die Asylgesetzgebung zu ändern, was ja dann auch kam. Hier wurde also die Stimmung dafür bereitet, dem rechten Mob klein beizugeben.

Uns interessierten aber andere Fragen. Zum Beispiel: Was waren es denn für Leute, die aus Angola, Mosambik oder Vietnam in die DDR gekommen sind, und wie kamen sie dort an? Wie war das für sie? Gab es diesen Rassismus in der DDR auch schon? Ebenso die Frage, warum sich viele nach dem Ende der DDR entschieden haben zu bleiben und andere dies eben nicht taten, war uns sehr wichtig. Mit diesen Fragestellungen, aber auch dem Projekt im allgemeinen, wollen wir den Ausstellungsbesucher:innen ermöglichen, die Wahrnehmungen von Rassismus auf verschiedenen Ebenen fühlbar und begreifbar zu machen

antifa: Und wo habt ihr die Ausstellung schon gezeigt oder werdet dies noch tun?

M. Z.: In Dresden haben wir sie beispielsweise im April und Juni offen auf der Straße gezeigt, einmal im Rahmen von Gedenkaktionen anlässlich des Todestages von Jorge Gomondai. Gomondai war ein mosambikanischer Vertragsarbeiter, der 1991 ermordet wurde. Er gilt als erstes Todesopfer rassistischer Gewalt in Sachsen nach 1990. In Montpellier gab es eine Indoor-Variante auf Französisch und Deutsch. Wir haben kein vorgeformtes Format, sondern passen die Ausstellung entsprechend den Orten und dem Publikum an. Bis zum 17. Juli macht sie im Peter-Weiß-Haus in Rostock Station, und sie wird dort im Rahmen der zahlreichen Veranstaltungen zur bundesweiten Demo am 27. August gezeigt. In Kürze wird die Ausstellung in Mecklenburg-Vorpommern auf dem Fusion-Festival und auf dem antifaschistischen Ajuca-Camp zu sehen sein.

antifa: Woran arbeitet ihr aktuell?

T. J.: Brotherland ist noch gar nicht zum Abschluss gebracht. Wir führen weiterhin Interviews, machen Fotos und tragen weiter Material zusammen. Unsere Idee ist, aus dem Projekt ein Buch zu machen, aber wir wissen, dass noch viel Arbeit vor uns steht. Wir können allen Interessierten also empfehlen, ab und an auf Neuigkeiten auf unserer Website zu achten.

Martina Zaninelli und Thomas Jakobs stecken hinter dem mehrsprachigen Ausstellungsprojekt »brotherland«. Weitere Informationen:
www.brotherland.info und brotherland@riseup.net

Infos zum Gedenken am 27. August in Rostock: gedenken-lichtenhagen.de

Das Gespräch führte Andreas Siegmund-Schultze

Foto aus der Ausstellung:Martina Zaninelli