Wahrzeichen für NS-Terror

geschrieben von Janka Kluge

1. Juli 2022

Vor 80 Jahren wurde der Ort Lidice zerstört

Am 27. Mai 1942 verübten zwei Soldaten der tschechoslowakischen Exilarmee ein Attentat auf Reinhard Heydrich. Er starb am 4. Juni 1942 an seinen schweren Verletzungen. Die Attentäter waren Ende 1941 mit Fallschirmen über dem Land abgesprungen. Parallel sprangen noch andere Kommandos der Exilarmee ab, die den Auftrag hatten, eine neue Funkstation aufzubauen, die den Kontakt zwischen der Exilregierung in London und den tschechischen Widerstandsgruppen ermöglicht, oder bei geplanten Bombardierungen die britischen Ziele durch Leuchtzeichen zu markieren. Obwohl der Flug und die Absprünge von der Wehrmacht bemerkt wurden, ist es nicht gelungen, die Mitglieder der Kommandos aufzuspüren.

Nur wenige Stunden nach dem Attentat wurde im gesamten Protektorat das Standrecht verhängt. Die Bilanz war grausam. Mehr als 3.000 Menschen wurden verhaftet und über 1.300 hingerichtet. Die Tage des Terrors sind unter dem Begriff »Heydrichiade« in die tschechische Sprache eingegangen.

Trotz des Terrors konnte die Gestapo die Attentäter nicht aufspüren. Am Abend des 9. Juni 1942 umstellten Gestapo und Polizeibeamte den kleinen Ort Lidice, in der Nähe von Prag. Am nächsten Morgen wurden alle anwesenden Einwohner zusammengetrieben. 195 Frauen und Kinder wurden in eine Turnhalle nach Kladno gebracht. 172 männliche Bewohner ab 16 Jahren wurden in kleinen Gruppen in einem Hof am Rande des Dorfes erschossen. Noch am selben Tag wurden die Häuser angezündet, gesprengt und danach niedergewalzt. Nichts sollte mehr an den Ort erinnern. In einer Erklärung, die am 11. Juni 1942 in der in Prag erschienenen Nazizeitung Der neue Tag veröffentlicht wurde, teilte die Gestapo mit: »Nachdem die Einwohner dieses Dorfes durch ihre Tätigkeit und durch die Unterstützung der Mörder von SS-Obergruppenführer Heydrich gegen die erlassenen Gesetze schärfsten verstoßen haben, sind die männlichen Erwachsenen erschossen, die Frauen in ein Konzentrationslager überführt und die Kinder einer geeigneten Erziehung zugeführt worden. Die Gebäude des Ortes sind dem Erdboden gleichgemacht und der Name der Gemeinde ist ausgelöscht worden.« Die Frauen sind in das Konzentrationslager Ravensbrück und die Kinder in ein Kinder- und Jugendlager nach Litzmannstadt (Łódź) deportiert worden. Von den 98 Kindern wurden 17 Babys, die jünger als ein Jahr waren, zur Adoption in SS-Familien gebracht. Die anderen 81 Kinder und Jugendlichen wurden in das Vernichtungslager Kulmhof (Chełmno) transportiert und Mitte Juli vergast. Eine letzte Notiz über die Kinder von Lidice findet sich Anfang Juli 1942 in den Aufzeichnungen des Lagers. Nach dem Mord wurden die Kinder, wie alle anderen in Chełmno ermordeten Menschen auch, in einem kleinen Waldstück in der Nähe verscharrt. Neben anderen Gedenksteinen und Tafeln erinnert dort heute ein Stein mit einer kleinen Spielzeuglokomotive an die ermordeten Kinder aus Lidice.

Das Schicksal der Einwohner von Lidice hat Menschen auf der ganzen Welt bewegt. Noch 1942 begann Heinrich Mann, der die tschechische Staatsbürgerschaft besaß, an einem Roman über Lidice zu arbeiten. Leider hat er für sein Werk einen satirischen Zugang gewählt. Der in Mexiko ansässige Exilverlag »El Libro Libre« bemühte sich darum, den Roman abzudrucken. Nachdem das Manuskript dann aber in Mexiko angekommen war, waren die Mitarbeiter des Verlags, unter anderem Walter Janka und Anna Seghers, nicht mehr so überzeugt von dem Manuskript. Sie kritisierten unter anderem, dass Heydrich zu menschlich dargestellt werde. Musikalisch wurde Lidices auch gedacht. Der in die USA geflüchtete Komponist Max Brand schrieb unter dem Eindruck des Massakers und der Zerstörung des Ortes noch 1942 die »Ballade für Lidice«. Der ebenfalls in die USA geflüchtete tschechische Komponist Bohuslav Martinů komponierte das Orchesterstück »Mahnmal für Lidice«.

Mehrere Orte, hauptsächlich in Amerika nannten sich in Lidice um, oder nahmen den Namen zusätzlich mit auf. Nach 1945 wurde wenige Meter neben dem zerstörten Lidice ein neues aufgebaut. An der Stelle des alten Orts steht jetzt eine Gedenkstätte. Bis heute steht Lidice als Symbol für faschistische Verbrechen.

Foto: Gedenkstein für die Kinder von Lidice im Wald bei Chełmno (Franziska Kracke)