Editorial
4. September 2022
Dieser Sommer ist deprimierend – vor allem, weil wir uns auf den Herbst vorbereiten müssen. Während die einen ihre Warnungen vor einer rechten Vereinnahmung von Sozialprotesten so laut hinausschreien, dass AfD und Co. gar nicht anders können, als Großdemos gegen Energiepreiserhöhungen zu organisieren, beschwören andere die Notwendigkeit einer Querfront, um den Frechheiten des Kapitals zu begegnen (Beiträge Seiten 3 und 6). Im Herbst sollte es eigentlich auch eine »Friedensoffensive« geben. Warum es nicht dazu kommt, lesen wir im Beitrag von Florian Gutsche im Länderteil dieser Ausgabe.
Zu Rostock-Lichtenhagen haben wir in den letzten Ausgaben schon einiges geschrieben. Mit den Eindrücken vom Gedenken heimkehrend noch einige Worte: »Es gilt für uns alle, wachsam zu sein für haarfeine Risse im Zusammenleben, wehrhaft gegen die Feinde dieser Gesellschaft und friedfertig im Umgang miteinander und solidarisch mit den Bedrohten« – so mehrdeutig sagte es Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) beim offiziellen Gedenken 30 Jahre nach dem rassistischen Pogrom in Rostock. Dem wenig Glauben schenkend und Widerspruch auf den Lippen, versammelten sich am 27. August rund 5.000 Menschen in Rostock, um »dieser Gesellschaft« auf die Sprünge zu helfen, was zu tun wäre, wären diese Worte ernst gemeint: Solidarität nicht nur gegen Neonazigewalt, sondern Alltagssolidarität gegen Alltagsdiskriminierung zu organisieren. Nicht nur Anerkennung von Betroffenenperspektiven, sondern sich selbst zum »Handlanger« der Betroffenen zu machen. Das würde dann auch schonungslose Aufarbeitung von erlittenem Unrecht und Konsequenzen für die Verantwortlichen bedeuten. Und daraus ergibt sich auch die Frage nach angemessener Entschädigung – wenn schon eine Wiedergutmachung nicht möglich ist. Um dieser »Schande für unser Land« (auch Steinmeiers Worte) endlich Rechnung zu tragen, wäre es angemessen, nun diejenigen dazu zu überreden, die was aufzuarbeiten haben und sich größtenteils hinter ihren Gardinen verschanzten.